Österreichs Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein über die neuen Corona-Regeln wie 1G und den für einen Grünen bemerkenswerten Satz: „Man wird in den sauren Apfel beißen müssen und mit den Taliban das Gespräch suchen.“
„Krone“: Herr Dr. Mückstein, angenommen Sie sitzen als Allgemeinmediziner zu Hause vor dem Fernsehapparat und sehen in der „ZiB 2“ den Gesundheitsminister, der sagt, eine Diskussion über die 1G-Regel komme für ihn zu früh. Nur wenige Stunden später erklärt derselbe Minister, dass er sich 1G, also den Zutritt nur für Geimpfte, vorstellen kann. Welche Diagnose würden Sie stellen?
Wolfgang Mückstein: Im Sommer ist der Vorschlag aus Wien gekommen, in der Nachtgastronomie 1G einzuführen. Das war für mich zu früh, weil die Jungen noch wenig Möglichkeit hatten, sich impfen zu lassen. Jetzt haben wir eine Situation, in der wir leider die erhoffte Durchimpfungsrate nicht erreicht haben. Jetzt sagen Experten, wir müssen handeln. Es ist etwas zu tun.
Komplexitätsforscher Niki Popper warnt davor, dass wir in den nächsten Wochen eine Million Menschen impfen müssen, oder die Politik braucht einen Plan B. Bitte konkret: Was ist Ihr Plan A für den Herbst, was ist Plan B?
Die Intensivstationen beginnen sich wieder zu füllen. Wir müssen aus dem Sommermodus raus. Der Plan liegt beim Koalitionspartner. Wir werden auch mit den Bundesländern kommende Woche die Maßnahmen entscheiden und kommunizieren.
Haben diesen Sommermodus vielleicht nur Sie erlebt? Österreichs Ober-Statistiker Erich Neuwirth hat anhand seiner Daten bereits Anfang Juli erkannt, dass wir uns in eine vierte Welle bewegen. 59 Tage später sagen Sie jetzt zu mir, es gebe Handlungsbedarf. Warum sind Sie so spät dran, oder wartet die Regierung die Oberösterreich-Wahl ab, um niemanden zu verschrecken?
Die Wahl spielt für meine Überlegungen keine Rolle. Mir geht es um die Gesundheit, um die Schulen, um die Arbeitsplätze. Ich habe ja auch zwei Töchter. Wir werden als Erstes einen Schritt bei der Maskenpflicht indoor machen.
Die Maskenpflicht wurde in Wien nicht aufgehoben und trotzdem steigen die Zahlen dort an. Heute sind die Infektionszahlen österreichweit achtmal so hoch wie im Vorjahr zur gleichen Zeit. Welche Regeln kommen noch?
Das Virus unterscheidet zwischen ungeimpften Menschen und geimpften. Wir haben daher besonders heikle Bereiche, wo viele Ungeimpfte aufeinandertreffen. Ein Bereich ist die Nachtgastronomie, aber auch Stehpartys wie beim Après-Ski. Wir müssen die Ungeimpften schützen. Das heißt, dass Ungeimpfte in diese Risikobereiche keinen Zutritt haben sollen. Zu ihrem eigenen Schutz.
Das ist also fix?
Das ist jetzt Teil dieses Plans, der beim Koalitionspartner liegt. Im Oktober ist die Umsetzung sinnvoll.
Bundeskanzler Sebastian Kurz hat im Juli gesagt: „Für jeden, der geimpft ist, ist die Pandemie vorbei.“ Heißt das: Kein Lockdown mehr für Immunisierte, keine nächtlichen Ausgangssperren, keine frühe Gastro-Sperrstunde? Nie wieder? Bekommen die Geimpften die Mückstein-Garantie, dass es für sie nie wieder einen Lockdown gibt?
Uns sagen die Experten, dass es keinen Unterschied macht, ob Geimpfte zu Hause bleiben oder nicht.
Also kein Lockdown mehr für alle?
Wie gesagt, die Ungeimpften zu schützen ist wichtig. Es macht aber keinen Sinn, Geimpfte irgendwo nicht hineinzulassen.
Österreich impft weiter im Schneckentempo. Platz 17 von 27 in der Union. Der EU-Schnitt liegt bei 70 Prozent, wir haben nur 58 Prozent an Vollimmunisierten. Wie wollen Sie die Österreicher zum Impfen bewegen?
Die Länder haben hier in den letzten Monaten eine hervorragende Arbeit gemacht. Es wird seitens der Kammer und der Ärzte eine Informationskampagne geben. Das wichtigste Tool ist, mit Menschen zu reden.
Gelingt das noch? Geredet haben wir genug, oder?
Das ist ein laufender Prozess. Wir haben gruppenspezifisch geworben, Impfaufrufe gemacht, auch in Fremdsprachen. Das betriebliche Impfen kommt wieder verstärkt zum Einsatz. Es sind jetzt alle wieder da, die Zahl der Reiserückkehrer nimmt ab.
Angenommen ich wäre ein Impfgegner. Wieso verpflichten Sie mich nicht zur Impfung? Italien überlegt eine Impfpflicht gegen Covid, in anderen Ländern gibt es sie gegen andere Krankheiten sowieso schon. In Belgien gegen Kinderlähmung, in Frankreich gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Masern. Es gibt Impfpflichten in Italien, Tschechien, Ungarn usw.
Ich halte eine allgemeine Impfpflicht für nicht zielführend. Das ist meine Erfahrung als Arzt, wo man mit Druck das Gegenteil erreicht. Was wir uns laufend anschauen müssen, ist die Impfung in sensiblen Bereichen wie Krankenhäusern oder Pflegeheimen.
Ich bin skeptisch gegenüber Bezahlungen, aber nicht generell gegen Impfanreize. Ich bin eher jemand, der aufklärt.
Über Impf-Lotto und -Hunderter
Bitte konkret. Soll das ganze Gesundheitspersonal, auch das bestehende, Ihrer Meinung nach jetzt zu einer Impfung verpflichtet werden? Ja oder nein?
Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass nur Geimpfte in diesem Setting arbeiten.
Österreich ist bekanntlich eine Bussi-Bussi-Gesellschaft. Sind Wangenküsse in dieser Phase der Pandemie sehr klug?
Nein! Das ist nicht klug.
Haben Sie das dem Bundeskanzler auch schon gesagt?
(Minister Mückstein schaut sich unser gereichtes Foto an, auf dem Sebastian Kurz auf dem ÖVP-Parteitag am 28. August Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner innig begrüßt) - Santa Maria. Ich nehme an, dass alle dort doppelt geimpft sind.
Also für doppelt Geimpfte ist Bussi-Bussi klug?
Nein (lacht). Ich glaube, dass die Distanzregel eine ganz wesentliche ist. Ich bin bei der Begrüßung immer noch bei der Faust.
Kommen wir zu anderen Themen. Türkis-Grün nimmt keine Kinder aus Moria auf, die Regierung will niemanden aus Afghanistan retten, dafür werden hier geborene Schüler abgeschoben. Wo ist der Unterschied zu Türkis-Blau?
Die Grünen haben sehr klar Position bezogen. Wir haben uns auch dafür ausgesprochen, dass wir Menschen aus Afghanistan helfen. Es gibt internationale Bemühungen, und Österreich hatte historisch ein hohes internationales Ansehen, dem müssen wir auch jetzt gerecht werden.
ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg hat vergangene Woche gesagt, man solle die radikalislamistischen Taliban „an ihren Taten messen“. Was haben Sie sich da gedacht?
Im Vordergrund steht jetzt, dass man den Menschen in Afghanistan hilft. Dann wird man in den sauren Apfel beißen müssen und auch mit den Taliban das Gespräch suchen, zum Wohl der Menschen dort.
Zum Thema Arbeit. Der Bundeskanzler hat erklärt: „Wir werden klar einfordern, dass jeder, der arbeiten kann, auch arbeiten geht.“ Das klingt nicht so schlecht, oder?
Ich glaube, dass jeder, der arbeiten kann, arbeiten will.
Wirklich? Aber wie umgehen mit Langzeitarbeitslosen, die können, aber vielleicht doch nicht wollen?
Es ist wichtig, dass ein Prozess gestartet ist, was das Thema Arbeitslosigkeit betrifft. Wir sind dafür, dass darüber gesprochen wird, wenn klargestellt ist, dass es für arbeitssuchende Menschen, die oft von Armut betroffen sind, keine Verschlechterungen gibt.
Zum Abschluss eine Frage an den Mediziner Dr. Mückstein, weil Sie ja für Schlagzeilen gesorgt haben: Ist Rauchen während des Fahrens auf einem Roller sehr gesund?
Nein, das gehört sich auch nicht. Ich habe mich für die auf die Straße geworfene Zigarette entschuldigt, 500 Euro der Krebshilfe gespendet und mir einen mobilen Aschenbecher gekauft. Inzwischen habe ich 25 davon, weil mir viele Menschen einen geschickt haben.
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