Botschafterin Bakhtari

„Terroristen können keine Regierung bilden“

Politik
07.09.2021 06:00

Manizha Bakhtari ist die Botschafterin Afghanistans in Wien. Im großen „Krone“-Interview erklärt sie, warum die Taliban sie nicht absetzen können und warum sie viel Hoffnung in die Jugend Afghanistans setzt. Für Bakhtari ist das „Krone“-Interview eine emotionale Angelegenheit. Wenige Stunden davor erfuhr sie vom Tod eines engen Freundes und dem Mord der Taliban an einer schwangeren Polizistin vor den Augen ihrer Kinder. „Ich könnte so ein Regime nie als Botschafterin vertreten“, sagte sie ...

„Krone“: ... und beantwortet somit die Frage, wie es mit ihr als Botschafterin weitergeht?
Manizha Bakhtari:
 Ich habe mit den Taliban nichts gemein. Aber ich kann nicht zurück. Und die Taliban können mich nicht absetzen. Dafür müsste Österreich das Regime offiziell anerkennen.

Was sagen Sie zu den Neuigkeiten aus Afghanistan?
Soweit wir wissen, haben die Taliban 98 Prozent Afghanistans eingenommen. Sie sagen, sie haben auch das Panjshir-Tal, aber wir haben anderes gehört. Die Taliban haben das Tal angegriffen und dabei Kriegsverbrechen begangen. Und sie hatten Hilfe von der pakistanischen Luftwaffe, die das Tal bombardiert hat. Der pakistanische Außenminister lobbyiert für die Taliban, Pakistan war für sie immer ein sicherer Hafen, und sie reisen mit pakistanischen Pässen.

„Krone“-Redakteur Clemens Zavarsky bat die afghanische Botschafterin in Wien, Manizha Bakhtari zum Interview. (Bild: Zwefo)
„Krone“-Redakteur Clemens Zavarsky bat die afghanische Botschafterin in Wien, Manizha Bakhtari zum Interview.

Haben Sie die Sorge, der Westen könnte eine Taliban-Regierung anerkennen?
Ich rufe alle Regierungen dieser Welt auf, ein Taliban-Regime nicht anzuerkennen. Das sind Terroristen. Wie können sie als Terroristen eine legitime Regierung bilden? Das ist ein Widerspruch. Der mögliche neue Regierungschef Mullah Baradar saß als verurteilter Terrorist zehn Jahre im Gefängnis.

Es gibt mittlerweile viele Stimmen, die sagen, man muss mit den Taliban reden.
Die internationale Gemeinschaft soll bitte Bedingungen setzen und diese auch einfordern: die Errungenschaften der letzten 20 Jahre respektieren, als wir Afghanistan wieder aufgebaut haben. Respekt vor Frauenrechten, Respekt vor der demokratischen Verfassung sowie Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Das Scharia-Gesetz verbietet Frauen in der Politik. Es verbietet Bildung ab einem gewissen Grad. Die Scharia verbietet Frauen in der Gesellschaft.

Zitat Icon

Die Kinder der Demokratie sind die größte Hoffnung. Sie waren zwar arm, kennen aber die Freuden der freien Gesellschaft.

Manizha Bakhtari, Botschafterin Afghanistans

Vor ziemlich genau einem Monat baten Sie die österreichische Regierung, Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen. Daraufhin wurden Sie ins Außenministerium zum Rapport zitiert, was für viel Kritik sorgte. Haben Sie seitdem etwas gehört? Eine Entschuldigung vielleicht?
Nein. Keine Entschuldigung und auch sonst nichts. Vor fünf Tagen meldete sich jemand, fragte, wie es mir geht, und leitete mir eine Interview-Anfrage weiter. Das war’s. Der Außenminister hat mit seinem pakistanischen Amtskollegen über die Situation geredet, aber nicht mit uns. Aber es gab viel Solidarität aus der österreichischen Bevölkerung und von anderen Politikern.

Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid sagte im „Krone“-Interview, das Regime würde straffällig gewordene Asylwerber zurücknehmen. Was würde dann passieren?
Die Taliban nutzen einen offenen Gerichtshof, da geht es wild zu. Das hat nichts mit einem zivilen Gericht zu tun. Man würde auf alle Fälle ihr Leben riskieren.

Der Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid (li.), mit Shams Ul-Haq, der vor Ort für die „Krone“ recherchiert (Bild: Shams Ul-Haq)
Der Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid (li.), mit Shams Ul-Haq, der vor Ort für die „Krone“ recherchiert

Bundeskanzler Sebastian Kurz sagte neulich, Österreich werde keinen einzigen Afghanen mehr aufnehmen.
Es gibt ein Sprichwort in Afghanistan: Ein König weiß am besten, was für sein Königreich am besten ist. Kanzler Kurz hat jedes Recht zu entscheiden, was für das Land am besten ist. Es gibt jedoch die Menschenrechtskonvention. Und die besagt: Wenn jemand Hilfe oder eine sichere Zuflucht braucht, hat er auch das Recht dazu. Egal, ob Österreicher, Syrer oder Afghane.

Präsident Ashraf Ghani hat entgegen aller Versprechungen das Land verlassen, die Regierung und das Militär fielen auseinander.
Was Ashraf Ghani angeht, war ich schockiert, enttäuscht und angewidert. Er hat in seinen Reden angekündigt, er würde kämpfen. Und am nächsten Tag floh er heimlich. Wir wissen, dass es in der Regierung Personen gab, die den Taliban halfen. Sonst wären nicht so viele Provinzen kampflos in ihre Hände gefallen.

Glauben Sie, dass sich die Taliban geändert haben?
Sie behaupten, sie hätten sich geändert. Aber sie kündigen immer nur an, etwas zu ändern. Sie sagen, sie wollen mit den Menschen in Panjshir eine friedliche Lösung, und töten dann dort wehrlose Zivilisten.

Wie lange können die Taliban das Regime aufrechterhalten?
Wenn uns die Geschichte Afghanistans eines gelehrt hat, dann dass sich kein Regime lange halten konnte.

Die Taliban sind dafür bekannt, dass sie mit voller Härte gegen ihre Feinde vorgehen. (Bild: AFP/WAKIL KOHSAR)
Die Taliban sind dafür bekannt, dass sie mit voller Härte gegen ihre Feinde vorgehen.
Im Panjshir-Tal gibt es noch Widerstand gegen die radikalislamischen Taliban. (Bild: AFP/AHMAD SAHEL ARMAN)
Im Panjshir-Tal gibt es noch Widerstand gegen die radikalislamischen Taliban.

Was ist Ihre Hoffnung für Afghanistan?
75 Prozent unserer Bevölkerung sind jung, zwischen 15 und 35 Jahre alt. Diese Generation sind die Kinder der Demokratie, sie haben von der Demokratie und der Meinungsfreiheit profitiert. Sie waren zwar arm, kennen aber die Freuden der freien Gesellschaft. Auch wenn die Taliban den Widerstand in Panjshir brechen sollten, wird er durch diese Generation anderswo wieder aufflammen.

Zur Person

Manizha Bakhtari ist Dozentin, Diplomatin und verheiratete Mutter von vier Kindern. Sie war Botschafterin in den nordischen Ländern (2009-2015) und Stabschefin im Außenministerium in Kabul (2007-2009).

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