Verschwörungstheorien
„9/11 war Kennedy-Attentat des 21. Jahrhunderts“
Auch 20 Jahre nach dem 11. September 2001 verstummen die Verschwörungstheorien rund um die Terroranschläge nicht. Nach wie vor zweifeln viele Menschen die offizielle Version der US-Regierung an - trotz wissenschaftlicher Beweise und Fakten. Doch warum ranken sich gerade um 9/11 so viele Mythen und wie entstehen sie? krone.at sprach mit Michael Butter. Er ist Professor für amerikanische Literatur und Kulturgeschichte, leitet ein EU-Forschungsprojekt zur Analyse von Verschwörungstheorien und forscht an der Universität Tübingen.
krone.at: Warum ranken sich gerade um 9/11 so viele Verschwörungstheorien?
Michael Butter: Ich glaube, dass das zum einen mit der globalen Bedeutung dieses Ereignisses zu tun hat, aber auch mit den Auswirkungen und Folgen, etwa dass danach Kriege geführt wurden. Wobei man sagen muss, dass 9/11-Theorien anfangs besonders in den USA anfangs gar nicht so sonderlich populär waren, das begann erst mit dem Irakkrieg. 9/11 war in Sachen Verschwörungstheorien so ein bisschen das Kennedy-Attentat des 21. Jahrhunderts - auch da sind viele Theorien erst später entstanden. In Europa verbreiteten sich die Theorien zu 9/11, besonders die zur Involvierung der US-Regierung, anfangs etwas schneller, was damals auch auf eine Zunahme des Anti-Amerikanismus zurückzuführen war.
Wie sind diese Theorien entstanden? Was ist der Hintergrund?
Verschwörungstheorien sind immer eine Reaktion auf die Suche nach Antworten und Sinn. Theorien, die die US-Regierung beschuldigen, sind im Zuge des Irakkrieges populär geworden, nachdem relativ schnell klar war, dass die amerikanische Regierung offensichtlich gelogen hatte, was die Massenvernichtungswaffen angeht und auch eine Zusammenarbeit von Saddam Hussein mit Osama bin Laden. Und dann haben sich die Leute eben gefragt: Wenn das schon nicht stimmt, was war dann mit den Anschlägen? Dazu kommt noch, dass 9/11 ein extrem visuelles Ereignis war, das von unzähligen Kameras aufgenommen wurde. Verschwörungstheorien haben sich seitdem immer mehr zum Interpretieren von Bildern hin verschoben, etwa, dass man dann auf den Videos irgendwelche Explosionen von Sprengungen in den Türmen erkennen will.
Welche Rolle spielte das Internet bei der Verbreitung?
Das Internet ist natürlich für die Verbreitung und Entstehung nicht zu unterschätzen. Wobei wir dazu neigen, zu vergessen, dass immer noch sehr viel in Printform passiert. Gerade bei 9/11 hat das Internet anfangs keine große Rolle gespielt. Soziale Netzwerke gab es ja damals auch nicht in dieser Form wie heute. Besonders in Europa ging da zuerst mal viel über Bücher. Aber natürlich hat das Internet Verschwörungstheorien wieder sichtbarer gemacht, es macht die Ideen schneller und einfacher verfügbar und die Vernetzung von Menschen, die daran glauben, leichter. Und natürlich hat sich auch die Geschwindigkeit, mit der sich diese Theorien und Ideen verbreiten, um ein Vielfaches erhöht.
Sehen Sie Ähnlichkeiten mit Verschwörungstheorien rund um das Coronavirus?
Was die Argumentationsstrukturen angeht, ist es genau dasselbe, man argumentiert mit vermeintlichen Experten und Alternativwissen gegen ein Ereignis. Und dann werden angebliche Doktoren und Professoren vor die Kamera geholt und mit Titeln geschmückt, obwohl sie in dem Bereich, zu dem sie sprechen, eigentlich keine Kompetenz haben. Verschwörungstheorien funktionieren in diesem Punkt nach einem Baukastenprinzip, sie tauchen auf und gehen dann irgendwann in größeren Theorien auf, etwa zum „großen Austausch“ oder „globaler Weltherrschaft“. In diese Theorien wurde dann auch Corona integriert. Einer der sichersten Indikatoren übrigens, dass jemand an 9/11-Verschwörungstheorien glaubt, ist, dass er auch an Corona-Verschwörungstheorien glaubt.
Wie gefährlich sind Verschwörungstheorien und ihre Anhänger für Gesellschaft und Demokratie?
Das kommt darauf an, welches Land wir uns anschauen. International betrachtet sind nicht alle Verschwörungstheorien-Anhänger gefährlich, aber es gibt zwischen den Staaten und Kulturen deutliche Unterschiede. Generell gibt es drei Bereiche, in denen Verschwörungstheorien gefährlich sein können:
1. Wenn diese Theorien dazu führen, dass jemand zur Waffe greift und Gewalt anwendet, teilweise exzessiv. So war zum Beispiel der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik ein Anhänger von Verschwörungstheorien, auch der Attentäter von Christchurch. Auch in extremen religiösen Milieus sind Verschwörungstheorien häufig weit verbreitet.
2. Wenn diese Theorien zu Gefahr für Leib und Leben führen, weil etwa medizinische Fakten geleugnet werden. Wenn jemand zum Beispiel davon überzeugt ist, dass das Coronavirus gar nicht existiert, dann wird er sich kaum an Maskenpflicht und Abstandsregeln halten, geschweige denn sich impfen lassen. Und damit gefährdet er sich selbst und andere.
3. Verschwörungstheorien können zu einer Gefahr für die Demokratie werden, weil sie eben dazu führen, dass die Anhänger meinen, in einer Diktatur zu leben und sich gegen ein System stellen, das in Wirklichkeit ja demokratisch ist. Aber auch hier gibt es Unterschiede, sogar in Deutschland und Österreich. In Deutschland gibt es natürlich die Corona-Verschwörer - in Österreich sind es aber sogar politische Akteure, die solche Theorien immer wieder öffentlich zum Besten geben. Auch in den USA, wo wir eine große Partei haben, die sich mehr und mehr den Verschwörungstheorien verschreibt und das politische System damit Schaden nimmt.
Wie soll man mit Menschen umgehen, die an solche Theorien glauben?
Nun, man muss Verschwörungstheorien schon ernst nehmen, aber ich würde auch von zu viel Alarmismus warnen. Unentschlossene, die sich einfach nicht sicher sind, kann man zumeist sehr gut mit Fakten erreichen. Wenn jemand aber so richtig drin ist in dieser Szene, dann hilft das nichts, sondern ist eher kontraproduktiv. Bei solchen Menschen solle man hingegen versuchen, durch Fragen stellen einen Prozess der Selbstreflexion auszulösen. So könnte man sagen: „Ich möchte verstehen, warum du die Welt so siehst, wie passt das, was du mir heute erzählst, mit dem zusammen, was du mir letzte Woche erzählt hast?“ Aber Grenzen markieren, wenn zum Beispiel antisemitische Thesen verbreitet werden. Generell sollte man aber versuchen, mit diesen Menschen in Kontakt zu bleiben, sonst driften sie meistens total in diese Szene ab und sind dann aufgrund von Vereinsamung ein leichtes Ziel für Extremisten.
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