Forscher haben herausgefunden, dass Antikörper für eine große Anzahl schwerer Covid-19-Verläufe verantwortlich sind. Das Phänomen war bereits bekannt, das Ausmaß ist jedoch dramatischer als angenommen. Bei jedem zehnten untersuchten schweren Fall wurden fehlgeleitete Antikörper entdeckt, die statt dem Erreger das eigene Immunsystem angreifen.
Die Untersuchung wurde vom weltweit größten Covid-Forschungskonsortium, dem Covid human genetic effort (COVIDhge), durchgeführt. Rund 120 internationale Experten tauschen sich darin wöchentlich über den aktuellen Forschungsstand aus. Unter anderem suchen die Experten nach genetischen Ursachen für schwere Verläufe.
„Auch junge Personen ohne Vorerkrankungen können schwer an Covid-19 erkranken. Männer, ältere Menschen und jene, die bestimmte Risikofaktoren aufweisen, sind tendenziell häufiger betroffen“, verwies der Innsbrucker Lungenfacharzt Ivan Tancevski, der Teil des Konsortiums ist, auf bekannte Daten zu schweren Verläufen.
Besonders Menschen über 70 und Männer betroffen
Im Oktober vergangenen Jahres habe Konsortiumsleiter Jean-Laurent Casanova entdeckt, dass manche schwer an Corona erkrankte Menschen bestimmte Autoantikörper besitzen, die die Immunantwort negativ beeinflussten, erinnerte sich der Lungenfacharzt. In den neuesten Untersuchungen des COVIDhge zeigte sich, dass dies vor allem bei Menschen über 70 und Männern der Fall sei. „Womöglich eine Teilerklärung, warum diese Personengruppen häufiger schwerer erkranken“, schlussfolgerte Tancevski.
Diese Autoantikörper, die laut dem Experten rund 0,3 Prozent der Gesamtbevölkerung in sich tragen, blockieren sogenannte Interferone im Körper, die beim Schutz gegen Viren beteiligt sind. „Interferone werden von bestimmten Zellen in der Lunge auf Virusreize hin produziert. Sie greifen nicht direkt das Virus an, sondern geben Signale an andere Lungenzellen ab, sodass diese eine Vermehrung und Übertragung des Virus verhindern“, erläuterte Tancevski. Bei Patienten mit Antikörpern gegen Interferone funktioniere das Immunsystem also nicht mehr richtig, auch sei deren Interferonspiegel während der akuten Erkrankung deutlich erniedrigt gewesen, so der Mediziner.
Mehr als 1000 Proben Schwererkrankter aus der ganzen Welt wurden im Zuge dieser Studie untersucht, die Kontrollgruppe umfasste 35.000 gesunde Personen. „Über 20 Prozent der Über-80-Jährigen wiesen besagte Autoantikörper auf“, zitierte Tancevski die Ergebnisse.
Experten für Screening bei Neuaufnahme von Patienten
Die Studie laufe weiter, bald sollen auch rund 200 Blutproben aus Innsbruck mitberücksichtigt werden, die kürzlich übermittelt wurden. Die neuen Erkenntnisse hätten sowohl Auswirkungen auf die klinische Therapie schwer erkrankter Corona-Patienten als auch auf die Impfpriorisierung, betonte der Lungenfacharzt. So sei anzudenken, dass bei der Neuaufnahme von Corona-Patienten ein Screening durchgeführt werde, um herauszufinden, ob die Person jenen Autoantikörper in sich trägt - damit könne man „entsprechend frühzeitig reagieren“, so der Wissenschaftler.
Tiroler Arzt: Betroffene sollen früher dritten Stich erhalten
So eine Messung sei einfach durchzuführen, dafür nötige Instrumentarien könne man rasch in bestehende Labors einbauen, meinte Tancevski. Schwer erkrankten Patienten mit Autoantikörpern könnte man zusätzlich zu einer Steroidtherapie gegebenenfalls Interferone oder neutralisierende Antikörper gegen SARS-CoV-2 verabreichen. Bei der Impfung sollten Menschen, die den Antikörper in sich tragen, zur Risikogruppe gezählt werden, zitierte Tancevski die Meinung des COVIDhge Konsortiums. „Man müsste diese nun auch beim dritten Stich priorisieren“, fand er.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.