Bebengefahr in EU
Atomunfall heizt AKW-Diskussion in Europa neu an
In Europa sind derzeit insgesamt 93 Kernkraftwerke in 18 Ländern am Netz, Spitzenreiter innerhalb der EU ist Frankreich mit 20, gefolgt von Deutschland mit derzeit zwölf am Netz laufenden Atomkraftwerken. Der Atomalarm in Japan wirft nun einerseits ein Schlaglicht auf die Risiken der Kernenergie allgemein, im Besonderen aber auf die Erdbebensicherheit von Atomkraftwerken.
Zwar betonen Behörden und Betreiber auch in Europa, sie würden die Meiler auf die bisherige seismische Aktivität des jeweiligen Gebietes ausrichten, doch ist diese Vorgangsweise nicht unumstritten. So meint der deutsche Geologe Eckhard Grimmel, dass auch in Mitteleuropa alle Atomkraftwerke gegen starke Erdbeben gesichert werden müssten, weil Modellrechnungen auf Basis bisheriger Beben Sicherheit nur "vortäuschen" würden.
Wegen der vergleichsweise geringen seismischen Aktivität sind etwa die deutschen Atomkraftwerke nur für schwache oder mittlere Erdbeben gerüstet. Allerdings gibt es in Europa auch einige AKWs, die in Gebieten mit mittlerer bis hoher Erdbebengefahr liegen.
- Krsko, Slowenien (Bild li.): Anfang der 1980er-Jahre vom US-Konzern Westinghouse für das damalige kommunistische Jugoslawien errichtet und in den 1990er-Jahren nachgerüstet, erfüllt das slowenische Atomkraftwerk (angeblich) moderne Sicherheitsstandards. Allerdings ist die Erdbebengefahr in ganz Slowenien erhöht, erst im Jahr 2004 ereignete sich im Westen des Landes - rund 100 Kilometer von Krsko entfernt - ein Erdstoß der Stärke 5.
- Fessenheim, Frankreich (re.): Das AKW im Elsass wird als "akut erdbebengefährdet" eingestuft - zumindest von Atomgegnern. Einer Schweizer Studie zufolge wurde das Erdbebenrisiko beim Bau des Atomkraftwerks in den 1970er-Jahren unterschätzt. Die Experten weisen darauf hin, dass im nahe gelegenen Schweizer Basel im Jahr 1356 das stärkste Erdbeben in Mitteleuropa stattgefunden habe, das mit 6,5 eingestuft wird. Der Meiler würde dem nicht standhalten.
- Chooz, Frankreich: Mittlere seismische Aktivität gibt es im nordfranzösischen Chooz. In den dortigen beiden Atomreaktoren wurden vor zwei Jahren erhebliche Mängel bei den Sicherheitsventilen festgestellt. Der Kraftwerksbetreiber räumte damals ein, dass "das Funktionieren der Ventile im Fall eines Erdbebens nicht garantiert werden konnte". Die Mängel seien mittlerweile behoben worden, hieß es.
- Cofrentes, Spanien: Laut Greenpeace liegt das Atomkraftwerk nahe Valencia auf einer Erdbebenlinie. Außerdem grenzt es an die seismisch äußerst aktive Zone in Südspanien. Die Atomsicherheitsbehörde betont jedoch, dass Cofrentes auf "viel stärkere Beben" als die restlichen spanischen Atomkraftwerke ausgelegt sei. Man habe vor dem Bau "erschöpfende" Studien zur Erdbebensicherheit betrieben.
Zusätzlich zu den vorhandenen Atomkraftwerken in potenziellen Risikogebieten gibt es auch geplante Meiler, deren Standorte möglicherweise Erdbeben-gefährdet sind:
- Belene, Bulgarien: Derzeit sucht die Regierung in Sofia noch Investoren für das im Norden des Landes geplante Atomkraftwerk, das bis zum Jahr 2016 fertiggestellt werden soll. Dabei wird aber wohl sehr viel in die Erdbebensicherheit investiert werden müssen. Im Jahr 2009 hat sich nämlich in unmittelbarer Nähe von Belene ein Erdbeben der Stärke 5,3 auf der Richterskala ereignet.
- Albanien: Das postkommunistische Land will sich als Atomproduzent für Südeuropa etablieren, unter anderem möchte Italien - dessen Bürger nach der Tschernobyl-Katastrophe für die Stilllegung aller Atomkraftwerke gestimmt haben - auf der anderen Seite der Adria billigen Atomstrom produzieren lassen. Pläne für ein gemeinsames Atomkraftwerk hat Albanien auch mit Kroatien. Der Meiler soll am albanischen Ufer des Skutarisees bei Shkoder entstehen. Doch für dieses Projekt gilt extreme Erdbebengefahr: Erst vor 30 Jahren wurde die dortige Küste von einem Erdbeben der Stärke 7 getroffen. Ein "ruhigerer" Standort für ein AKW wird sich aber in Albanien ohnehin kaum finden lassen: Auf der Gefährdungslandkarte der "Europäischen Seismologischen Kommission" ist nämlich das ganze Land in tiefstem Violett gehalten, was höchste Erdbebengefahr bedeutet.
Demo gegen Atomenergie in Deutschland
Mit den Unfällen in Japan hat sich am Wochenende in Deutschland eine neue, heftige Atomdebatte entfacht. Opposition und Umweltschützer warnten am Samstag erneut vor den Gefahren der Atomenergie. In Baden-Württemberg protestierten mehrere Zehntausend Atomkraft-Gegner gegen die Energiepolitik der Bundesregierung. Obwohl in Deutschland bereits der Ausstieg bis 2020 aus der Atomenergie beschlossen wurde, zieren sich die Behörden.
Die Deutsche Umwelthilfe forderte die Bundesregierung auf, unverzüglich den Beschluss über die Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke rückgängig zu machen und die sieben ältesten Reaktorblöcke stillzulegen. Wer nach Fukushima weiter auf die Laufzeitverlängerung setze, verabschiede sich "endgültig aus jeder seriösen Debatte über eine zukunftsfähige, verantwortbare und risikoarme Energieversorgung", erklärte die DUH.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat inzwischen angekündigt, nach dem Reaktorunglück in Japan Konsequenzen für Deutschland zu prüfen. Die Bundesregierung wisse zwar um Sicherheit der heimischen AKWs, nach dem Vorfall in einem technisch entwickelten Land wie Japan könne man aber in Deutschland nicht zur Tagesordnung übergehen. Der Energiekonzern RWE will allerdings nach eigenem Bekunden seine Atomkraftwerke in Deutschland wie geplant länger am Netz lassen. "Alter ist kein Maßstab für die Sicherheit einer Anlage. Entweder ein Atomkraftwerk erfüllt die Sicherheitsanforderungen oder nicht", sagte das Vorstandsmitglied der RWE Power AG, Gerd Jäger.
Österreich umgeben von Atomkraftwerken
Obwohl Österreich selbst keine Atomkraftwerke betreibt – das in Niederösterreich errichtete AKW Zwentendorf wurde nach der Volksabstimmung 1978 stillgelegt –, kommt hierzulande sehr wohl Atomstrom aus der Steckdose. Umgeben von Atomkraftwerken in den Nachbarländern, kommen etwa 50 Prozent der Energieimporte aus der Kernkraft. Innerhalb der EU nimmt Österreich nach außen hin allerdings gerne die Position der Gallier gegen die Römer in Sachen Atomenergie ein. Mit der Ausnahme, dass die meistens gegen die feindliche Übermacht gewinnen.
Besonders Tschechien wurde in den vergangenen Jahren immer wieder Lieblingsfeind der Atomgegner. Das Kernkraftwerk Temelin, gerne als "Schrottreaktor" bezeichnet, liegt nahe der österreichischen Grenze, die fatalen Folgen im Falle eines Atomunfalles für Österreich liegen auf der Hand. Nach Auffassung der Chefin der Tschechischen Behörde für atomare Sicherheit, Dana Drabova, sind diese Sorgen aber unbegründet. Auf die nukleare Katastrophe in Japan angesprochen, meinte sie, die AKWs Temelin und Dukovany seien "nach besten internationalen Standards" auch für den Fall eines Erdbebens geplant worden, obwohl sie in seismisch ruhigen Zonen liegen. Ein Erdbeben der Stärke 9,0 wie in Japan könne man in Tschechien "ganz ausschließen".
Frankreich um Ruhe bemüht
Auch die EU-Atomnation Nummer eins, Frankreich, ist um Beruhigung bemüht: Industrieminister Eric Besson trat allen Befürchtungen zur Sicherheit französischer Nuklearanlagen vehement entgegen. "Alle französischen Kraftwerke wurden unter Berücksichtigung der seismischen Risiken und der Überflutungsgefahr konstruiert", sagte Besson am Samstag in Paris.
Nach Ansicht französischer Atomkraftgegner macht die Erdbebenkatastrophe in Japan jedoch deutlich, "dass die Atomkraft ein Riese auf tönernen Füßen ist". Nach Angaben der Gruppe "Raus aus der Atomkraft" erfüllen nicht alle französischen Atomkraftwerke die Erdbeben-Sicherheitsstandards. In Frankreich wird in 58 Reaktoren Atomstrom erzeugt, der 80 Prozent des nationalen Energiebedarfs deckt.
Europas Atomtrauma: Tschernobyl
Die Schreckensbilder vom explodierten Kernkraftwerk Tschernobyl,xplodierte in der damals noch zur Sowjetunion gehörenden Ukraine ein Druckröhrenreaktor - die bis dahin schwerste nukleare Katastrophe weltweit und der einzige "Super-GAU". Die Zahl der Todesopfer infolge des schweren Unglücks ist umstritten. Noch heute leiden in der Region große Landstriche unter der Verstrahlung.
Konstruktions- und Bedienungsfehler führten am 26. April 1986 zur Kernschmelze und zur Explosion des Reaktormantels. Ein druckfester Sicherheitsbehälter fehlte, Trümmer und spaltbares Material wurden hinausgeschleudert. Dabei breitete sich die tödliche Strahlung nicht gleichmäßig über die Umgebung aus. In den Flammen stiegen die radioaktiven Partikel kilometerhoch auf. Südwind trug einen Großteil des radioaktiven Fallouts in das benachbarte Weißrussland. In den folgenden Wochen gab es auch in West- und Nordeuropa Strahlenalarm. Die ukrainische Millionenstadt Kiew, 150 Kilometer südlich von Tschernobyl, war kaum betroffen. Die angrenzende Region um den Reaktor ist dagegen bis heute Sperrgebiet.
Über Tage hatte die Sowjetführung das Ausmaß der Katastrophe verschwiegen. Zwischen 500.000 und einer Million "Liquidatoren" wurden zwangsverpflichtet, die meisten von ihnen junge Soldaten. In Minuten-Einsätzen bauten die oft ahnungslosen Männer eine provisorische Schutzhülle (Sarkophag) um den Reaktorkrater oder entsorgten verstrahltes Material. Viele von ihnen erkrankten schwer.
Studien über Opfer sind bis heute eine Definitions- und Glaubensfrage. Im Vorfeld des 20. Jahrestages der Tschernobyl-Katastrophe sorgte eine Publikation der Weltgesundheitsorganisation bei Atomkraftgegnern für Empörung. Demnach gab es "weniger als 50 Opfer" direkt im Umfeld des Reaktors, bei denen die Strahlung nachweislich zum Tode führte. Später bezifferte die WHO die Zahl der Toten infolge der Katastrophe insgesamt auf 14.000 bis 17.000. Atomkraftgegner sprechen dagegen von bis zu 100.000 Toten.
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