Trotz Japan-Drama

China und Co. halten weiter an AKW-Ausbau fest

Ausland
14.03.2011 16:55
Nach den Atomunfällen in Japan hat am Montag in zahlreichen Ländern eine rege Debatte über Atomenergie und ihre Sicherheit stattgefunden. Einige europäische Staaten wie etwa Deutschland kündigten bereits erste Maßnahmen an, andere bleiben bei ihrem bisherigen Kurs. Die EU-Kommission lädt am Dienstag kurzfristig zu einem Atomenergie-Gipfel. China, Russland und die Türkei wiederum lassen sich durch die Tragödie in Japan nicht beirren und halten weiter strikt am - teils massiven - Ausbau der Atomenergie fest.

In China werden derzeit 25 Reaktoren errichtet, was 40 Prozent der weltweiten AKW-Bautätigkeit entspricht. Vizeumweltminister Zhang Lijun sagte am Montag, dass diese Pläne weiterverfolgt würden. Man wolle aber Lehren aus der Havarie des japanischen Atomkraftwerks Fukushima ziehen. Ähnlich äußerte sich auch der Chef der staatlichen Energieverwaltung, Liu Tienan. "Alle Beteiligten in China müssen den Unfall in Japan sorgfältig analysieren", sagte er bei einem Besuch im chinesischen Atomenergie-Insitut. China befindet sich nämlich wie sein Nachbarland in einer seismisch äußerst aktiven Zone, wie das verheerende Erdbeben von Sichuan im Mai 2008 gezeigt hat.

Kapazität Chinas soll verachtfacht werden
Der am Montag vom chinesischen Volkskongress beschlossene Fünf-Jahres-Plan sieht vor, dass bis 2015 mit dem Bau von Atomreaktoren mit einer Gesamtkapazität von 40 Gigawatt begonnen werden soll. Dies kommt einer Vervierfachung der derzeitigen chinesischen AKW-Kapazität gleich. Bis 2020 sollen diese Kapazitäten sogar auf 86 Gigawatt verachtfacht werden. Auch der Bau von 70 weiteren Reaktoren wird angedacht. Peking sieht in der Atomenergie das einzige Mittel, um die Abhängigkeit der einheimischen Wirtschaft von fossilen Brennstoffen spürbar zu verringern. Erwartungsgemäß stimmten daher auch 2.778 Delegierte in der Großen Halle des Volkes für den neuen Entwicklungsplan. Nur 56 stimmten dagegen, während sich 38 Abgeordnete enthielten.

Hinter den Kulissen gab es aber monatelang Tauziehen um das Tempo des AKW-Ausbaus. Einige Regierungsvertreter hatten nämlich gewarnt, dass das Land nicht genug Atomexperten hat, um die geplante Anzahl neuer Reaktoren sicher betreiben zu können. Ein Regierungsvertreter in Peking schloss daher nicht aus, dass China im Lichte der japanischen Atomkatastrophe seine Ausbaupläne doch noch einmal überdenken könnte.

Russland: "Wir werden unsere Pläne nicht ändern"
Indes hat auch Russland erklärt, am geplanten Bau von mehr als 20 Atomkraftwerken allein im eigenen Land festzuhalten. "Wir werden unsere Pläne nicht ändern, aber natürlich unsere Schlüsse daraus ziehen, was im Moment in Japan passiert", sagte Regierungschef Wladimir Putin am Montag. Russische Experten verfolgten die Lage in den japanischen Nuklearreaktoren genau. Derzeit gebe es keine Bedrohung für Russland, vor dessen südöstlichstem Teil Japan liegt. Russische Atomexperten gehen im Moment sogar davon aus, dass es in Japan derzeit keine Gefahr einer Atomexplosion gebe, sagte Putin. Russland strebt nach einer führenden Position auf dem Weltmarkt für Atomenergie und baut unter anderem in Indien, China und im Iran Nuklearreaktoren.

"Zu Öl und Gas gibt es nur eine reale starke Alternative: die Atomenergie", hatte Putin bereits vor einigen Wochen erklärt. Alles andere seien laut dem Premier "Spielereien". Bis zum Jahr 2030 sollen in Russland 26 Atomreaktoren gebaut werden. Der Anteil des Atomstroms soll von derzeit 16 Prozent auf etwa 33 Prozent wachsen. Als nächstes soll im Gebiet Kaliningrad - rund um die frühere Stadt Königsberg - mithilfe des deutschen Konzerns Siemens ein Atomkraftwerk gebaut werden.

Türkische Regierung verweist auf neueste Technologie
Auch die türkische Regierung sieht keine Veranlassung, nach der Katastrophe in Japan ihre Pläne für den Bau von zwei Atomkraftwerken auszusetzen. Energieminister Taner Yildiz wies darauf hin, dass die Türkei die neueste Technologie einsetzen werde, während die bei dem Erdbeben in Japan zerstörten Anlagen aus dem Jahr 1971 stammten.

Geteilte Meinungen in Europa - Experten bei EU-Gipfel
Die EU hat für den Dienstag einen Atomgipfel anberaumt. Die 27 EU-Energieminister werden mit dem zuständigen Kommissar Günther Oettinger über die Konsequenzen der Katastrophe in Japan für Europa beraten. Auch Nuklearexperten, Aufseher für die Nuklearsicherheit und Atomkraftwerkbetreiber werden bei dem Treffen dabei sein.

Bereits zuvor hat die deutsche Bundesregierung am Montag die beschlossene Laufzeitverlängerung der 17 Atomkraftwerke in Deutschland für drei Monate ausgesetzt (siehe Story in der Infobox). Auch das Nachbarland Schweiz hat reagiert und die Pläne zur Bewilligung neuer Atomkraftwerke vorerst aufgeschoben. Bei den bestehenden fünf Kernkraftwerken leite die Behörde für Nuklearsicherheit ENSI eine vorzeitige Sicherheitsüberprüfung ein, teilte Bern am Montag mit. Gleichlautendes war aus Ungarn zu vernehmen.

In Paris hingegen betonte man die Sicherheit der französischen Atomkraftwerke. Diese seien gegen Naturkatastrophen geschützt und würden außerdem alle zehn Jahre generalüberholt, sagte Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet. Auch Spanien gab sich zurückhaltend und warnte vor übereilten Reaktionen in der EU: "Wir sollten uns bei den Entscheidungen über die Nutzung der Kernenergie nicht von besonderen Vorkommnissen wie in Japan leiten lassen", so Wirtschafts- und Finanzministerin Elena Salgado.

Tschechien, Bulgarien und Polen sehen kein Problem
Entschiedenere Worte waren aus Prag zu hören: Tschechien sieht nach der Katastrophe in Japan keine Notwendigkeit, die Erdbebensicherheit des umstrittenen Atommeilers Temelin neu zu bewerten. "Das AKW Temelin kann ein Erdbeben in der Größenordnung von 5,5 auf der Richterskala überstehen", sagte der stellvertretende Leiter des staatlichen Amts für Atomsicherheit, Petr Brandejs. Und auch in Bulgarien ließen die Betreiber des AKW Kosloduj wissen: Der Störfall in Fukushima sei weniger auf das verheerende Erdbeben zurückzuführen, sondern vielmehr auf die riesige Tsunami-Welle. "Eine derartige Verkettung ist in Bulgarien nicht vorstellbar." In Polen haben sich gar Politiker aller im Parlament vertretenen Parteien dafür ausgesprochen, trotz der Ereignisse in Japan an der Einführung der Kernkraft in ihrem Land festzuhalten.

In Finnland, wo derzeit ein neuer Atomreaktor in Bau und zwei weitere in Planung sind, haben sich zu Wochenbeginn zaghafte Ansätze zu einer Diskussion über die Zukunft der Atomenergie gezeigt. Der als möglicher nächster Regierungschef gehandelte Konservativen-Chef und Finanzminister Jyrki Katainen rief vorbeugend zur "Zurückhaltung" in einer neuen Atomdebatte in Finnland auf. Eine solche forderten am Wochenende bereits die Grünen und die Linkspartei. Auch in Estland haben sozialdemokratische und Grüne Politiker eine öffentliche Atomdebatte gefordert. Der baltische Staat prüft neben geplanten Investitionen in Atomkraftprojekte in Finnland und Litauen seit einigen Jahren auch den Bau eines eigenen, "kleinen" Atomkraftwerks an der Ostseeküste westlich der Hauptstadt Tallinn.

Litauen lobte erst kürzlich Sicherheit von Japans AKWs
Der Leiter des Litauischen Energieforschungsinstituts LEI, Jurgis Vilemas, glaubt nicht, dass es der Regierung in Vilnius nach den Ereignissen in Japan noch gelingen wird, eine Finanzierung für ein neues AKW in Ostlitauen auf die Beine zu stellen. Litauen hatte erst vor zweieinhalb Wochen in Tokio um Unterstützung bei den Plänen zur Errichtung eines neuen Atomkraftwerks in der Nähe der ostlitauischen Stadt Ignalina angeklopft. Der stellvertretende Energieminister Arvydas Darulis hatte die geplanten Verhandlungen um Investitionen aus Japan Ende Februar mit dem "hohen Standard an nuklearer Sicherheit" der japanischen Atomkraftwerke begründet.

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