Interview & Album

Mandoki Soulmates: Musik sollte Gräben überwinden

Musik
23.09.2021 06:00

Sänger, Musiker, Produzent, Teilzeit-Politiker, Visionär, Brückenbauer - der in Ungarn geborene und seit vielen Jahrzehnten in München lebende Leslie Mandoki ist nicht nur eine Prog-Jazz-Rock-Legende, sondern auch ein künstlerisches Schwergewicht am politischen Parkett. Auf seinem neuen Album „Utopia For Realists“ versammelt er eine ganze Riege an Weltmusikern und kreuzt britischen Prog-Rock mit amerikanischem Jazz. Daneben versucht er beharrlich den Planeten für die Enkelgeneration zukunftsfit zu machen. Ein Gespräch über etwas Musik und viel Gesellschaftspolitik.

(Bild: kmm)

In Budapest ticken die Corona-Uhren anders. Tausende Fans sammelten sich am Wochenende des ungarischen Nationalfeiertags vor der Basilika des Heiligen Stephan, um einem ihrer ganz großen Helden zu huldigen: Leslie Mandoki. Den 68-Jährigen kennt die breite Masse als walrossbärtigen Sänger des Früh-80er-Phänomens Dschingis Khan, doch vom massentauglichen Pop made by Ralph Siegel hat er sich längst emanzipiert. Die Liebe zum Jazz, dem Prog-Rock und der Fusion-Musik war schon immer stark verankert, seit mehr als 30 Jahren leitet er die Mandoki Soulmates, ein globales Musikprojekt, das nicht nur für musikalische, sondern auch politische und gesellschaftliche Vielfalt steht. In Budapest hat er für einen knapp dreistündigen Auftritt internationale Jazz-Kapazunder wie Al Di Meola, Mike Stern, Randy Brecker, Bill Evans oder Till Brönner auf der Bühne versammelt. Dazu noch ex-Rainbow-Keyboarder Tony Carey, den stimmgewaltigen Bassisten Richard Bona oder den „ungarischen Peter Maffay“ Charlie. Jethro-Tull-Flötist Ian Anderson wird per Video zugeschaltet, doch der Rest der illustren Besetzung trotzte den schwierigen Begebenheiten, um leibhaftig für einen besonderen Abend der musikalischen Extraklasse zu sorgen.

(Bild: KLEBATTILA@GMAIL.COM)

Mit Musik Brücken bauen
„Diese Band ist das beste Beispiel für Toleranz, Offenheit und Zusammenhalt“, erklärt uns der redegewaltige Vollblutmusiker im ausführlichen Gespräch, „in Budapest haben alle erlebt, dass es keine Grenzen gibt und wir alle eins sind. So viele verschiedene Menschen und Kulturen treffen aufeinander und spielen mitunter Themen von Béla Bártok. All das mit der tiefsten Überzeugung, dass Musik verbinden und Brücken bauen kann.“ Mandoki und seine famose All-Star-Band hat aber nicht auf ein Best-Of der eigenen Albenhistorie gebaut, sondern das dieser Tage erscheinende, brandneue Studioalbum „Utopia For Realists: Hungarian Pictures“ aufgeführt. Ein durchaus wagemutiges Unterfangen, wie Mandoki zugibt. „So viele Experten haben mir einreden wollen, dass man ein so schweres Stück nicht live in seiner Gänze aufführen könne, aber die Menschen waren begeistert. Britischer Prog-Rock vermischt sich mit amerikanischem Jazz-Rock. Dazu kommen Einflüsse aus Afrika, Ungarn und dem Rest Europas. Ich will Stile verschmelzen und damit zur gesellschaftspolitischen Relevanz zurückkommen. Mein großes Privileg ist, dass all diese famosen Ausnahmekünstler seit 30 Jahren mit mir arbeiten wollen und für ein derartiges Kunstwerk sorgen.“

Wer die beeindruckende Vita Mandokis nicht kennt, dem werden angesichts des politischen Engagements Fragen im Kopf aufploppen, doch der Wahlmünchner ist weit mehr als bloß Musiker und Kreativmensch. 1975 floh er zu Fuß mit Künstlerfreunden vor dem kommunistischen ungarischen Regime über den Karawankentunnel nach Deutschland. Er fungierte anfangs als mäßig erfolgreicher Studiomusiker, der sich aber stets auf die Unterstützung des großen Klaus Doldinger verlassen konnte. Dann kam der Über-Nacht-Erfolg mit Dschingis Khan, die Rückbesinnung auf seine Jazz-Wurzeln und seine Vorteile als beneidenswerter Networker. Mandoki arbeitete u.a. mit Lionel Richie, Phil Collins, Jennifer Rush oder Joshua Kadison, er entwickelte Songs und Musikstücke für Fußballvereine, berühmte Automarken und politische Parteien und trat bei der bayrischen Landtagswahl 2013 selbst für die schwarze CSU an. Daneben pflegt er mehr oder wenige enge Freundschaften mit Viktor Orbán, Angela Merkel, Michail Gorbatschow oder Markus Söder. Trotz der meist konservativen Ausrichtung seiner favorisierten Politiker, steht Mandoki stellvertretend für Diskurs.

(Bild: KLEBATTILA@GMAIL.COM)

Der Diskurssucher
„Wenn ich irgendwo Missstände entdecke, in welchem Land auch immer, werde ich darauf hinweisen und sie offen ansprechen. Ich bin als Künstler ein Freidenker und daher kompromisslos für uneingeschränkte Freiheit. Willy Brandts Motto ,Wandel durch Annäherung‘ gefällt mir. Wir dürfen nicht mit Ausgrenzung reagieren, sondern müssen immer den Diskurs suchen. Ein Andersdenkender ist nicht mein Feind, sondern jemand, den ich mit besseren Argumenten überzeugen will.“ Dass sich Mandoki nach seinem Kurzausflug aufs politische Parkett („mir ging es vorwiegend um die Umweltthemen“) dort nicht festbinden lässt, ist ihm wichtig. „In erster Linie bin ich Künstler und nutze die Möglichkeit, Verantwortung an mein Publikum zu übermitteln. Mir geht es bei der Musik um die Menschlichkeit, aber sie kann auch Botschaften vermitteln. Künstler sind immer ein Stachel im Fleisch der Gesellschaft, das kann ich als Politiker nicht sein. Die Kunst steht im Dienst des Menschen und der Menschlichkeit.“

Eine Utopie ist etwas, das in der Vorstellung der Menschen existiert, aber noch nicht Wirklichkeit ist. So versucht sich Mandoki mitsamt seinen kundigen Soulmates an der Verschmelzung der Kulturen und gießt dieses Vorhaben in epische, fast schon pathetische Songs wie „Sessions In The Village“ oder „Return To Budapest“. Im kurzweiligen „Transylvanian Dances“ verarbeitet er seine eigene Fluchtgeschichte noch einmal und gibt kund, wie sehr ihm das Auskommen zwischen den Menschen am Herzen liegt. „Meine Utopie ist eine generationsgerechte Welt. Meine Generation hat mit dem Fall der Berliner Mauer vor 32 Jahren sehr viel richtig, aber danach auch einiges falsch gemacht. Wir müssen bei allem, was wir tun, prüfen, ob es für die noch ungeborenen Generationen gerecht ist. Wir haben die Verantwortung für unsere Kinder und deren Kinder. Eine realistische Utopie bedeutet für mich, den Mehrwert im Leben und in der Gesellschaft zu erkennen. Solidarität, Zusammenhalt und Vertrauen. Raus aus unseren Blasen, hinein ins richtige Leben. Deine Freunde sind nicht die, die deine Facebook- und Instagram-Postings liken, sondern jene, die mit dir ein Bier trinken gehen, wenn deine langjährige Beziehung in die Brüche ging.“

(Bild: Zsuzsa Darab)

Für die Freiheit eintreten
Dass Mandokis alte Heimat Ungarn in punkto Menschenrechte, Medienfreiheit und beim LGBTQ-Thema nicht unbedingt auf einer Linie mit der westlichen Welt ist und Premierminister Orbán mehr als umstritten wahrgenommen wird, kommentiert der Musiker dann doch überraschend politisch - nämlich mit thematischem Ausweichen, nur um dann doch noch einzulenken. „Als Christ sage ich voller Stolz, dass in meiner Geburtsstadt Budapest vor jüdischen Einrichtungen keine Polizeiwägen stehen müssen, weil das Miteinander zwischen den Religionen frei ist. Ich habe viele Freunde, die der LGBTQ-Gemeinde zugehörig sind und stehe immer für Offenheit und Toleranz. In meiner Wahrnehmung ist es so, dass heterosexuelle Männer wie ich für die uneingeschränkte Freiheit der Homosexuellen eintreten müssen. Wir sind alle sehr unterschiedlich und trotzdem gleich. Die sexuelle Orientierung oder die Religionszugehörigkeit müssen unantastbare, persönliche Entscheidungen sein.“

Auf dem Album „Utopian Realists“ befinden sich nicht weniger als 35 Grammys und mehr als 350 Millionen verkaufter Alben, wenn man die Leistungen der einzelnen Mitstreiter zusammenfasst. Ein Kollektiv, das eben mehr ist als nur eine Band und vom international vergleichsweise unbekannten Mandoki perfekt vereint wird. „Wir hatten in den 30 Jahren noch nie Streit, waren immer eine gute Einheit“, erklärt er die Magie der Zusammenarbeit, „warum es so gut klappt, musst du die anderen fragen. Jedenfalls braucht so ein Projekt einen Bandleader und ich sehe es als unglaubliches Privileg an, mit diesen genialen Geistern arbeiten zu dürfen.“ Dass es überhaupt zu diesem Album kam, war anfangs nicht klar. 2018 tourten die Soulmates quer durch Europa und traten dann im legendären New Yorker Beacon Theatre auf - eingeladen von der Grammy-Organisation. Standing Ovations aus der freien Welt für einen, der einst aus den Zwängen der kommunistischen Diktatur flüchtete. Für Mandoki war dieser Moment eine Zeit lang so etwas wie der absolute Karrieregipfel.

(Bild: KLEBATTILA@GMAIL.COM)

Die Fackel weitertragen
„Nach diesem Gig habe ich mit meinen erwachsenen Kindern ein paar Tage in Van Morrisons früherem Haus in Topanga verbracht, dem Hippie-Viertel von Los Angeles. Wir haben über die Welt und ihre Zukunft reflektiert und diskutiert.“ Erst durch diese Gespräche wurde Mandoki klar, dass gerade Künstler gefordert sind, in einer Welt voller Missstände und Unzulänglichkeiten noch lauter und deutlicher für eine bessere Zukunft einzustehen. In Bali schrieb er an den Nummern und das abschließende „The Torch“ fasst den dahinterliegenden Grundgedanken gut zusammen. „Wie tragen wir die Fackel weiter und können den kommenden Generationen ein Fundament breiten? Ich stecke noch immer voller Energie und solange mir die Leute zuhören, sehe ich mich in der dringenden Verantwortung, diese Fackel weiterzutragen.“ Die Mandoki Soulmates sind mehr als nur eine Band voll kundiger Könner. Mandoki und Co. sehen sich als Bindeglied zwischen Kunst und Kultur, Gesellschaft und Politik, Wirtschaft und Menschlichkeit. Ein zugegeben breiter Spagat, aber gut, dass ihn jemand wagt. Vergangenen August in Budapest, 2022 in Deutschland und vielleicht auch mal in Wien.

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