In den vergangenen Tagen sind die Zahlen nicht mehr explodiert. Das ist sehr gut, so die Experten. Allein: Entwarnung bedeutet das nicht.
Anstieg, Stagnation, Anstieg - wahrlich nichts Neues bei den Zahlen. Dass es nun wieder einmal so weit ist, dass sie sich etwas einpendeln, dafür sorgen die Tatsache, dass der große Urlauber-Rückreiseverkehr vorbei ist, aber auch die gute Teststrategie in den heimischen Schulen sowie die Testungen bei Veranstaltungen, sind sich die Experten einig.
Komplexitätsforscher Peter Klimek sieht weiters durch den warmen September den saisonalen Effekt verzögert. Laut Umweltmediziner Hans-Peter Hutter spielte auch die Kommunikation über den Zahlenanstieg Ende des Sommers eine wichtige Rolle: Viele Menschen hätten sich daraufhin wieder auf einen verantwortungsvolleren Umgang mit dem Virus besonnen. Die große Entwarnung bedeutet das natürlich nicht. Eher eine „Verschnaufpause“, so Klimek. Zur Erinnerung: Heute vor einem Jahr gab es auch eine Stagnation bei den Zahlen - nur um dann in die Höhe zu schnellen.
Mehr Impfungen hätten einen großen Effekt
Ein Anstieg bei der Impfrate sei nach wie vor dringend angeraten, so die Experten. Und Simulationsforscher Niki Popper betont: „Es fehlt ja nicht mehr viel.“ Würden sich in Österreich noch 800.000 bis 900.000 Menschen zusätzlich impfen lassen, könne es voraussichtlich kaum mehr zu größeren Ausbrüchen kommen, die die Kapazitäten der Intensivstationen ernstlich gefährden, so Popper.
Patienten werden jünger - und müssen länger behandelt werden
Bleiben die Impfraten aber wie zuletzt niedrig, könnte es mit täglich identifizierten Neuinfektionszahlen um die 2000 oder mehr noch länger weitergehen. Die aktuelle Prognose geht von 300 bis 350 Covid-19-Intensivpatienten aus. Da nun auch vermehrt jüngere Menschen dort versorgt werden müssen, haben sich auch die Belegungszeiten verändert, zeitweise hatte sich die durchschnittliche Verbleibedauer im Krankenhaus im Sommer bereits auf bis zu drei bis vier Wochen verdoppelt. Jüngere Menschen haben zwar eine bessere Chance, eine schwere Infektion zu überstehen, benötigen dazu aber oft lange Intensivbetreuung.
Schulstart hat immer noch Auswirkungen
Eine wichtige Frage im Zusammenhang mit der Entwicklung sei allerdings auch, wie sich der Schulstart in den kommenden Wochen auswirken wird. Hier geht es vor allem darum, ob die Infektionen in den jüngeren Altersgruppen sich über die Haushalte zu den älteren Jahrgängen verbreiten. Um das zu verhindern, „sind die PCR-Schultestungen wichtig“, betonte Popper: „Idealerweise sollte die Zahl positiver Tests dort jetzt sinken, wenn das System gut funktioniert.“ Der Forscher wünscht sich auch, dass die Tests weiter durchgeführt werden und ihr Weiterlaufen nicht von der Belegung der Intensivkapazitäten abhängt. Letzteres wäre „unverständlich“, da die Intention dahinter aus Systemsicht eine andere ist.
Bei vielen Geimpften gehen dem Virus „die Menschen aus“
In einigen Bevölkerungsgruppen sehe man nun zum Glück bereits „Sättigungseffekte“. Im virtuellen Bevölkerungsmodell könne man in Teilbereiche und Regionen hineinschauen. Gibt es dort beispielsweise schon rund 90 Prozent durch Impfung oder Erkrankung Immunisierte, gehen dem SARS-CoV-2-Virus dort nach kurzer Zeit „die Menschen aus“, die es noch befallen kann. Das Infektionsgeschehen kommt dann quasi zum Erliegen. „Kommt dort eine Mini-Epidemie an, ebbt sie ab und muss einen neuen Anlauf nehmen“, erklärte Popper. Das helfe in der aktuellen vierten Welle nun schon zum Teil. Im Gegensatz dazu hätte sich vor einem Jahr das Virus eben noch ungehemmt weiterverbreitet.
Gute Nachrichten für Genese
Eine gute Nachricht ergibt sich aus den Modellrechnungen in Bezug auf die aktuell knapp 700.000 laborbestätigten Genesenen. Bisher ging man davon aus, dass diese für rund 180 Tage vor Neuinfektionen geschützt sind. Stimmt das, müssten sich aber momentan mehr Genesene anstecken. Die Simulationen auf Basis neuer Daten von Poppers Team legen daher nahe, dass viele Menschen aus dieser Gruppe eher ein Jahr lang geschützt sind. Diskutiere man nun über 2G- oder 3G-Maßnahmen, sollten diese Befunde berücksichtigt werden, auch wenn Genesenen zumindest eine Impfung empfohlen ist, die den Schutz stark weiter erhöht, betonte Popper. Von den aktuell Genesenen ist momentan immerhin mehr als die Hälfte auch zumindest einfach geimpft.
Wann es so weit ist, dass es in der Gesamtbevölkerung eigentlich nur noch zu kleineren Ausbrüchen kommen kann, lasse sich nicht ganz genau prognostizieren. Dass eine Situation in Österreich eintritt, in der es wieder einen Lockdown braucht, „darf uns jedenfalls gar nicht mehr passieren - das ist einfach keine Option“, so Popper: „Jede Impfung zählt daher.“
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