Sie ist die größte Überraschung des vergangenen Wahlsonntags und wird bald die erste kommunistische Bürgermeisterin Europas sein. Elke Kahr (59) über Graswurzelpolitik, Marxismus und ihren Traum.
Was macht die Wahlsiegerin der KPÖ am Morgen danach? Sie empfängt wie jeden Montag Hilfesuchende in ihrem Büro im Grazer Rathaus. Fernsehen und Zeitungen müssen warten. Am frühen Nachmittag ruft sie höchstpersönlich am Handy zurück und nimmt sich Zeit für unser Telefoninterview.
„Krone“: Was ist durch Ihren Kopf gegangen, als sich am Sonntag ein Sieg abgezeichnet hat?
Elke Kahr: Ich habe es zuerst gar nicht glauben können. Als ich es kurz vor dem Auftritt im ORF erfahren habe, dachte ich, die machen einen Schmäh mit mir. Ich hatte natürlich gehofft, dass wir die zwei Stadtratssitze halten können, und wenn da noch ein kleines Plus dabei gewesen wäre, dann hätten wir uns schon riesig gefreut. Aber mit diesem Ergebnis habe ich beim besten Willen nicht gerechnet. Im Lauf des Abends wurde es mir dann erst richtig klar.
Was war Ihr Gefühl?
Immense Freude. Aber bei aller Freude steht für mich immer im Vordergrund, in der Früh wieder gestellt zu sein, meine Arbeit sauber abzuwickeln, die Termine einzuhalten, die schon ausgemacht waren. So ist der ganze Vormittag bis jetzt gelaufen.
Wer war da?
Eine Frau, die uns eine Sozialarbeiterin vermittelt hat. Sie ist in einer Lebensgemeinschaft, die haben ein kleines Kind, und es ist ihnen der Strom abgeschaltet worden. Da war ein Rückstand von 600 Euro, den die beiden nicht bezahlen konnten, weil der Lebensgefährte erst seit einem Monat eine Arbeit hat und der Lohn im Oktober kommt. Ich hab mit 300 Euro geholfen und mit der Energie Graz telefoniert. Dann war ein Ehepaar da, der Mann hatte einen Schlaganfall und kann nicht mehr in den zweiten Stock, weil kein Lift da ist. Da versuchen wir eine neue Wohnung zu finden.
Ist das der Grund, warum die KPÖ am Sonntag die regierende ÖVP überholt hat, weil Sie tagtäglich Menschen in Not helfen?
Das sagen uns zumindest die Leute. Aber ich könnte gar nicht anders. Ich bin jetzt seit über drei Jahrzehnten bei der KPÖ und habe das schon so gemacht, als ich noch gar keine Funktion in der Partei hatte. Ich versuche einfach, da zu sein. Und auch wenn ich nicht helfen kann, den Leuten trotzdem Mut zu machen, ihnen zu vermitteln, dass es immer auch einen „Plan B“ gibt. Man darf niemanden ohne Hoffnung lassen.
Spenden Sie noch immer die Hälfte Ihres Gehalts an Arme?
Mehr. Ich beziehe als Politikerin ein Gehalt von 6100 Euro netto. Davon behalte ich 1950 Euro, den Rest überweise ich an Leute, die es nötiger brauchen. Das mache ich seit 2017, auch von meinem Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Aber das ist nicht so wichtig.
Ich versuche einfach, da zu sein. Und auch wenn ich nicht helfen kann, den Menschen Mut zu machen. Man darf niemanden ohne Hoffnung lassen.
Elke Kahr (59), Chefin der Grazer KPÖ
Graz ist ja seit jeher eine Hochburg der KPÖ. Aber wie kommunistisch ist diese Partei?
Die Frage klingt ein wenig seltsam für mich. Das Ziel der KPÖ ist es seit jeher, eine sozial gerechte Welt zu schaffen. Egal, was wer macht, was er ist und woher er kommt, jeder muss die gleichen Chancen haben. Keiner darf auf der Strecke bleiben. Der Fokus muss dabei auf der arbeitenden Bevölkerung liegen, nicht bei Immobilienverwertungsgesellschaften, großen Konzernen, Managern oder Vermögensberatern. Das können Sie gern „kommunistisch“ nennen.
Das sagen ja die linken Parteien genauso. Was unterscheidet Sie zum Beispiel von der SPÖ?
Der Unterschied ist, dass wir nicht nur reden, sondern auch tun. Menschen haben nichts von tollen Programmen und Reden, sie müssen Politik konkret spüren. Politik muss ihnen helfen, ihre Lebenssituation zu verbessern. Irgendwer hat es einmal Graswurzelpolitik genannt. Das ist meine Vorstellung von Politik und auch mein Traum.
Hat Nordkorea schon gratuliert?
Klassische Frage. Nein (lacht). Aber im Ernst, es ist auch eine seltsame Zuschreibung. Ich habe mit diesem Land nichts am Hut und auch mit seiner Politik nicht.
Zeugt es nicht auch von einer Geschichtsvergessenheit, KPÖ zu wählen? Unter diesem Titel wurden ganze Völker ausgelöscht ...
Verbrechen sind auch im Christentum passiert. Meine Weltanschauung ist der Marxismus. Ein Versuch zu erklären, warum es soziale Ungerechtigkeiten gibt, Kriege, Ausbeutung, warum die Verhältnisse in der Geschichte der Menschheit so sind, wie sie sind. Es ist eben nicht egal, wem was gehört. Alles, was ein Mensch braucht - ob das Wasser, Energie, Schulen, Wohnungen, Gesundheit ist -, das soll er haben. Deswegen ist es wichtig, dass all das im öffentlichen Eigentum bleibt und nicht privaten Glücksrittern überlassen wird. Wer Grund und Boden privatisiert, kann die Infrastruktur nicht mehr steuern und jenen Menschen nicht mehr helfen, die es am meisten brauchen.
Was denken Sie sich, wenn der Bundeskanzler sagt, dass es ihn sehr nachdenklich stimmt, wenn Menschen KPÖ wählen?
Gar nichts, weil es irrelevant ist. Der Herr Bundeskanzler sollte über seine eigene Bewegung nachdenklich werden. Warum hat die ÖVP so viel verloren?
Kanzler Kurz auf krone.tv über KPÖ-Triumph: „Sollte nachdenklich stimmen“
Bürgermeister Siegfried Nagl ist zurückgetreten. Empfinden Sie Genugtuung, Mitleid oder gar nichts?
Genugtuung ist mir fremd. Ich möchte nie, dass wir so denken. Wenn jemand an der Spitze einer Partei gestanden ist und viel Einsatz gezeigt hat, dann weiß ich das zu würdigen. Das ist nicht angenehm. Auch wenn ich die eine oder andere Haltung von Siegfried Nagl nicht teile, so sehe ich das unter dem menschlichen Aspekt.
Muss sich die Grazer Wirtschaft jetzt fürchten?
Nein, Gott behüte! Wir wünschen allen, egal ob das arbeitende Leute oder Gewerbetreibende oder Selbständige sind, ein gutes Leben und ein gutes Auskommen. Aber eines ist wichtig: Die Gewichtung der Mittel und des Einsatzes muss an jene gelenkt werden, die es schwerer haben. Das ist ja an sich logisch.
Von Ihrem Vorgänger Ernest Kaltenegger ist überliefert, dass er manchmal selbst mit der Rohrzange ausgerückt ist. Sie auch?
Nicht nur mit der Rohrzange. Wissen Sie, wie viele Entrümpelungen ich und mein Kollege schon gemacht haben, damit Leute in der Wohnung bleiben können? Während der Pandemie war ich mit dem Manfred fast jeden Tag im Einsatz. Wir haben Sachen repariert, gemacht, geholfen, was nur geht.
Als Politikerin beziehe ich ein Gehalt von 6100 Euro netto. Davon behalte ich 1950 Euro, den Rest überweise ich an Leute, die es nötiger brauchen.
Elke Kahr
Was ist dabei Ihr Motiv?
Ich liebe einfach Menschen und ihre Geschichten. Dabei sind mir Menschen, die es oft schwer gehabt haben, vielleicht näher, ich finde, sie sind bewundernswert und verdienen Unterstützung.
Kaltenegger wurde „Engel der Armen“ genannt. Passt das auch für Sie?
Das ist eine Zuschreibung, die andere tätigen. Mir ist es egal, wie ich genannt werde.
Sie sind mit drei Jahren adoptiert worden. Was ist Ihre prägendste Kindheitserinnerung?
Ich habe großartige Eltern gehabt. Sie haben mich niemals spüren lassen, dass ich nicht ihr leibliches Kind bin. Die prägendste Erinnerung ist das Gefühl von Freiheit. Ich glaube, meine robuste Natur verdanke ich der Tatsache, dass ich frei war und viel draußen spielen hab können.
Was soll man einmal über die erste kommunistischen Bürgermeisterin Europas sagen?
Ich glaube, dass nur jemand, der einen persönlich kennt, etwas Essenzielles über einen sagen kann. Alles andere sind nur Eindrücke aus dritter Hand. Schön wäre es, wenn jene, die mich kennen, einmal über mich sagen: Die Elke ist sich und ihren Prinzipien immer treu geblieben.
Geboren am 2. November 1961 in Graz. Im Alter von drei Jahren wird sie adoptiert und wächst in einem Arbeiterbezirk auf. Nach der Abend-Handelsakademie maturiert sie 1984. Mitglied der KPÖ seit 1983. Seit 1998 ist sie Klubobfrau der Grazer KPÖ, 2012 wird sie Vizebürgermeisterin, 2017 Verkehrsstadträtin. „Die Elke“, wie die Grazer sie nennen, ist in Bürger-, Sozial- und Friedensinitiativen und beim Mieternotruf aktiv. Sie lebt mit dem ehemaligen steirischen KPÖ-Chef Franz Stephan Parteder zusammen und hat einen 30-jährigen Sohn.
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