Hitparadenstürmer Clueso geht mit dem schlicht betitelten „Album“ auf seine vierte deutsche Nummer-eins-Platte in Folge los. Warum er eigentlich wieder Rap-lastiger werden wollte, weshalb er dieses Mal vielen Produzenten und Gastsängern vertraute und wieso seine Tour diesen Winter noch beträchtlich wackelt, das erzählt er uns im ausführlichen Interview.
Stillstand bedeutet Rückschritt. Frei nach diesem Motto setzt Thomas Hübner aka Clueso seit mittlerweile mehr als 20 Jahren seine Karriere an und springt dabei wie ein fröhlicher Geißbock quer durch alle Genres, ohne ein großes Muster erkennen zu lassen. Begonnen hat der Erfurter nach seiner abgebrochenen Friseurlehre als Hip-Hopper, wandte sich dann von Album zu Album immer mehr dem mainstreamigen Deutschpop zu, nur um vor drei Jahren auf „Handgepäck I“ als entschlackter Singer/Songwriter zu überraschen. Dass er sein neues Werk schlichtweg „Album“ nennt, könnte man als großkotzig ansehen. In Wirklichkeit zeigt es aber nur, wie stark Clueso mit seiner akustischen Vielseitigkeit im Einklang steht und dass er sich auch nach acht Alben noch immer auf der Suche nach einem neuen Spin, etwas nicht Dagewesenem befindet.
Hip-Hop und Pop
„Ich war mit dem Autor Benjamin von Stuckrad-Barre spazieren und der haut immer wieder solche Kalauer raus“, lacht der sympathische 41-Jährige beim „Krone“-Interview am Dach des 25 Hours Hotels in Wien, „meine beiden ersten Alben heißen ,Text und Ton‘ und ,Gute Musik‘ - insofern kann das ,Album‘ da jetzt schon anknüpfen.“ Das „Album“ verbindet unterschiedliche Schaffensphasen Cluesos stärker, als man anfangs vermuten würde. Ursprünglich wollte der Hit-Lieferant wieder mehr in Richtung Rap gehen, am Ende erklingen die 19 Songs aber doch sehr eklektisch und vor allem poppig. „Ich verstecke beim Texten immer Doppeldeutigkeiten und so kleine inhaltliche Goldstücke. Das habe ich vom Hip-Hop, denn der Pop ist viel eindeutiger, manchmal dem Schlager näher. Wenn ich im Studio stehe, freestyle und dann plötzlich den halben Text fertig habe, dann ist das genau mein Ding.“
Das „Album“ entstand zwischen Berlin, Wien und Ibiza und wird von unterschiedlichen Produzenten getragen. Clueso hat sich bewusst dafür entschieden viele Köche an den Brei zu lassen, weil ihm die Eindimensionalität einer herkömmlichen Albumproduktion zu fade erschien. „In Ibiza war ich damals einen Monat eingesperrt, weil die Pandemie gerade losging“, denkt er schmunzelnd an den Spätwinter 2020 zurück, „wir wollten dort ein Video drehen und plötzlich ging nichts mehr. Aber wir hatten einen Weg zu einem Felsen am Strand, konnten uns Lebensmittel besorgen und kochen. Eigentlich war das alles ganz okay.“ Das neue Werk entstand gleichermaßen vor und auch während der Pandemie, somit in zwei völlig unterschiedlichen Lebenslagen, die aber schlussendlich für die klangliche Breite gesorgt haben. „Ich hatte plötzlich viel Zeit für das Songwriting und habe insgesamt 35 Nummern geschrieben. Eigentlich bin ich ja nicht so der Teamplayer, aber dieses Mal hat es einfach gepasst.“
Einfach mal anschreiben
Clueso sieht das „Album“ auch eher als ein Mixtape, denn ein Album an, was angesichts der personell und klanglich bunten Zugangsweise nachvollziehbar ist. Man hört als Gäste Bozza, Bausa oder die Wienerin Mathea. Produziert haben RIN-Produzent Alexis Joy und das schwedisch-wienerische Produzentenduo Decco und während des Aufnahmeprozesses gab es sogar einen Ausflug in die Hietzinger Villa Lala von Julian Heidrich alias Julian Le Play. Dazu ist im Video zu „Flugmodus“ Comedian Teddy Teclebrhan zu sehen, was ebenfalls eine interessante Zugangsweise zu einer artifiziellen Querverstrebung darstellt. Alles darf, nichts muss, könnte man dazu sagen. „Ich habe Produzenten einfach auf Instagram angeschrieben und die Dinge haben sich ergeben. Von Decco kommt dieser schöne Bilderbuch-Touch, bei ,Aber ohne dich‘ habe ich eine Trap-Schreibweise verwendet und ich wollte auch bewusst diesen Moombahton-Reggae-Beat, der eigentlich seit Jahren komplett out ist.“
„Album“ klingt durch diese Stilvermischung gleichermaßen zeitlos wie zeitgeistig, was keinesfalls leicht zu schaffen war. „Durch die Übergänge, Samples und Interludes wirkt es nicht wie ein konsistentes Album, außerdem habe ich ja schon sieben Singles vorab rausgeballert“, lacht er, „aber es gibt schon auch eine Geschichte, die erzählt wird. Sie geht von einer gewissen Wärme ins Introvertierte und dann wieder zurück in die Heimat. Dieses Werk ist ein Popalbum mit großen Melodien, aber es trieft nicht vor Behäbigkeit und ist auch nicht pathetisch. Nur für die Kunst anzutreten, wie es Radiohead machen, ist nicht meins.“ Clueso steht offen dazu, sich gerne an Trends anzulehnen und den Mainstream zu suchen. Komponiert er mittlerweile nach Spotify-Algorithmen? „Nicht direkt, aber die meisten Produzenten haben das schon so im Blut. Ich bin ja selbst so. Wenn ich einen Song auf Spotify höre, frage ich mich auch ständig, wann der endlich losballert, weil ich es nicht mehr erwarten kann. Ich sag mal so: wenn der Vibe des Songs stimmt, dann kann er sich gerne dem Algorithmus unterordnen.“
Paradigmenwechsel im Rap
Von der grassierenden und auch notwendigen #deutschrapmetoo-Debatte konnte sich auch der rappende Popper Clueso nicht lösen. „Das war wirklich notwendig. Ich habe ja teilweise selber erlebt, wie rudelhaft und tierisch es dort oft abgeht. Dabei ist es doch ganz einfach: ein nein ist ein nein. Leute dürfen ihre Macht nicht ausnutzen, um anderen physische oder psychische Gewalt anzutun. Ob ein Rapper mit vielen Menschen Sex hat oder nicht, interessiert doch keine Sau. Aber es muss natürlich einvernehmlich sein.“ Dass sich der Rap auch inhaltlich wandelt, findet Clueso per se gut. „Es ist nicht mehr so en vogue, irgendwelche Mütter zu ficken, denn es wurde schon so oft gemacht“, lacht er, „eigentlich sind die Hip-Hopper ja die ärgsten Spießer auf Erden, weil sie immer dasselbe machen. Es gibt aber auch so viel guten Rap, der nicht plakativ brutal und reißerisch, sondern mutig und kantig ist. Man soll ruhig provokant sein, aber wenn man ein Muster erkennt, das nur in eine Richtung geht, ist das auch nicht mehr geil.“
Auf „Hotel California“ spricht Clueso auch das Drogenthema an - ohne dabei bewusst die Eagles streifen zu wollen. „Die Schattenseiten der Drogen haben viele Musiker aus den 60er- und 70er-Jahren erst viel später erkannt. Ich habe mir die Frage gestellt, wie der Umgang mit solchen Substanzen im Hip-Hop in fünf, sechs Jahren aussieht. Sind dann alle in der Betty-Ford-Klinik? Seit ich 19 bin halten die Leute die Hand auf und bieten mir alles Mögliche an. Ich verurteile auch nicht, wenn jemand mit diversen Mitteln besser funktioniert und dann wieder rausfindet. Ich habe das ,Glück‘, das ich als Kind mal Tabletten fand und sie gegessen habe. Danach musste mir der Magen ausgepumpt werden und seitdem bin ich davor gefeit, in Versuchung zu kommen. Bausa singt in seinem Songteil ,man checkt ein und nie wieder aus‘ - das ist gut getroffen und sollte zum Nachdenken geben.“
Impfen als einzige Lösung
Clueso würde mit seinem Album gerne noch im Winter auf Tour gehen und am 29. Jänner im Wiener Gasometer Halt machen, doch er bleibt skeptisch. „Mir empfehlen alle, ich solle diesbezüglich die Klappe halten, aber ich muss es sagen, wie es ist: wenn wir weiterhin nur sechs Tickets pro Tag verkaufen, muss ich die Tour nochmal absagen. Die Leute sind verunsichert und trauen sich nicht, ich verstehe das, aber es macht wirtschaftlich für mich und mein Team keinen Sinn, vor leeren Hallen zu spielen.“ Dass sich Kollegen wie Nena und Co. Corona-Maßnahmen gegenüber eher fragwürdig verhalten, würde die Sache erschweren. „Bei ihr bin ich zwiegespalten, denn sie hatte ja schon immer Probleme mit Obrigkeiten und Autoritäten. Wenn man sich ihre Vita ansieht, muss man nicht gleich die große Empörungskeule schwingen, aber sie ist schon auch gerne dann laut, wenn es nicht notwendig ist. Würden wir uns alle endlich impfen lassen, wäre das Problem schneller vorbei. Und wenn wir davon wirklich alle blöd werden, dann kriegt eben der nächste dumme Film einen Oscar.“
Live in Wien
Clueso soll am 29. Jänner 2022 live im Wiener Gasometer auftreten. Weitere Infos und Karten bekommen Sie unter www.oeticket.com.
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