Es ist leider eine Geschichte, die so immer wieder vorkommt: Herdenschutzhunde tun genau das, wofür sie gezüchtet wurden, nämlich bewachen und verteidigen. Es kommt zum Biss, da die Besitzer sie nicht ordentlich gesichert hatten. Der Hund wird still und heimlich getötet - erschossen oder eingeschläfert. So sollte es auch in diesem Fall sein, doch ein fünfjähriger Sarplaninac aus Wien überlebte wie durch ein Wunder, die Tierärztin ließ den Vierbeiner völlig benommen zurück. Der Verein „Secure Base“, der sich auf die Rettung und Sozialisierung dieser Rassen spezialisiert hat, konnte den Rüden in Sicherheit bringen.
„Ich brauche Hilfe“, lautete die erste Nachricht von Sissy Lippitz an die „Krone“-Tierecke. Sie betreut seit zehn Jahren in Wolfsberg Herdenschutzhunde als Pflegestelle. Rassen wie Kangal, Kuvasz oder Pyrenäen-Berghund sind leider in jüngster Zeit in Mode gekommen, haben aber in unserer Gesellschaft eigentlich nichts zu suchen. Diese Hunde eignen sich auf keinen Fall für die Stadt, sie sind besonders eigenständig und territorial. Wenn die Hunde ihre Grundstücke verteidigen und den Haltern entgleiten, ist die Aufregung groß. Im schlimmsten Fall kommt es zu Bissen. Lippitz‘ Notstelle in Wolfsberg ist überbelegt, denn die Hunde bleiben so lange bei ihr, bis sie sicher vermittelt werden können.
Ihr jüngster Notfall schockiert aber ganz besonders: Ein fünfjähriger Sarplaninac, der vom Welpenalter an bei einer Wiener Familie gehalten wurde. Arttypisch sei der Hund kein Fan von Besuchern auf dem Grundstück oder Artgenossen, daher habe man ihn bei Besuch in einen Zwinger gebracht - vollkommen normal. Vor drei Wochen geschah dann das Unglück: Ein Bekannter trat gemeinsam mit dem Besitzer in den Zwinger des Rüden - dieser biss daraufhin zu. Ein Verwandter hörte die Schreie, eilte zu Hilfe. Auch er und der Halter des Vierbeiners erlitten Verletzungen. Alle drei Männer mussten mit der Rettung ins Krankenhaus und wurden stationär aufgenommen.
„Uns liegen Bilder der Bissverletzungen vor“, erzählt Expertin Sissy Lippitz. „Außer beim Besitzer hatte der Hund definitiv eine Beschädigungsabsicht. Aber keinesfalls Tötungsabsicht, da die Areale im unteren Körperbereich und keine im Hals , Gesicht- oder Kopfbereich waren. Da wir Menschen nun mal schnell kaputt gehen und dementsprechend auch einige Fleischstücke fehlten, sind alle Beteiligten noch in Behandlung.“ Für den Hundebesitzer war klar: Das Tier muss sterben!
Tochter mischte sich ein
Seine Tochter, Frau L., die im selben Haus wohnt und deren Mann eines der Bissopfer ist, war schockiert und rief sofort den Verein „Secure Base“ an, um den Vierbeiner vor dem Tod zu bewahren. „Wir haben ihm erklärt, dass sich hier einige Komponenten getroffen haben und der Hund deswegen so reagiert hat - es braucht nun eben Managementpläne, damit sowas nie mehr passiert. Das Areal ist riesig und es hätte Möglichkeiten gegeben. Aber der Vater wollte mit diesem Hund nichts mehr zu tun haben“, so Lippitz.
Ihr Vater habe einige Tierärzte angerufen und die Einschläferung des Hundes verlangt, so Frau L. Keiner habe zugesagt, da der Hund gesund ist und ohne medizinischen Grund nicht eingeschläfert werden darf. Er habe dann mit einer Bestätigung vom Amtstierarzt eine Tierärztin gefunden, die am 23. September dann eine Euthanasie des Rüden durchführen wollte - mittlerweile stellte sich heraus, dass diese Bestätigung nie ausgestellt worden war.
Einschläferungsversuch scheiterte
Unfassbares soll sich danach ereignet haben: Die Veterinärin verabreichte dem Sarplaninac nach L.s Angaben ein ihr unbekanntes Mittel, der Hund brach zusammen, schleppte sich mit letzter Kraft zum Zaun. Nach einigem Warten sei es der Tierärztin rätselhaft gewesen, warum der Hund noch nicht eingeschlafen sei. „Sie soll die Besitzer dann gefragt haben, ob sie einen Jäger kennen, der ,es‘ schnell erledigen könne, und ließ den komplett fertigen Hund dort mit den Haltern alleine“, gibt Lippitz wieder, was für Szenen ihr geschildert worden waren.
Veterinäre zeigen sich fassungslos
Der Rüde kämpfte, stand später auf, schlabberte sogar ein wenig Futter. Weitere hinzugezogene Tierärzte zeigten sich fassungslos, dass die Kollegin den Hund so zurückgelassen haben soll. Doch wohin jetzt mit dem Tier? „Nach Rücksprache mit unserem Amtsveterinär ist uns eine Übernahme nicht möglich, da wir unsere Kapazitäten ausgereizt haben. Er hat auch zum Ausdruck gebracht, dass diese Tierärztin nicht gesetzeskonform gehandelt hätte“, sagt Lippitz.
Auch Tierbestatterin meldete sich
Es sei verboten, einen Jäger zum Töten eines Hundes zu holen. „Dieses Fehlverhalten solle umgehend den zuständigen Behörden gemeldet werden, was wir selbstverständlich auch tun“, so Sissy Lippitz. Am 24. September meldete sich dann auch noch eine Mitarbeiterin einer Tierbestattung bei „Secure Base“ und bestätigte, dass sie einen Hundekadaver holen sollte, das Tier aber noch am Leben gewesen sei - sie wäre völlig schockiert gewesen.
Der Verein „Secure Base“ nahm sich des Falles schließlich aktiv an, hielt Rücksprache mit der VetMed Wien sowie mit dem zuständigen Nottierarzt. „Der arme Sarplaninac wurde vorübergehend in einer Pension untergebracht, wo er durch Schließer - also zwei geteilte Zwinger mit Innen- und Außenbereich - von außen gefahrlos zu versorgen ist“, so Lippitz. Der Hund ist damit in Sicherheit. „Unser größter Dank gilt dem Pensionsinhaber, welcher sogar bereit war, uns die ersten 30 Tage der Unterbringung zu spenden und keinen Tagsatz für den Hund zu nehmen.“ Sobald eine bessere Möglichkeit gefunden wird, wird der Rüde unter allen notwendigen Sicherheitsvorkehrungen woanders untergebracht. Frau L. kommt übrigens täglich zu Besuch.
Wer finanziell helfen möchte: Raiffeisenlandesbank Kärnten, IBAN: AT293900000001095678, BIC: RZKTAT2K.
Fest steht: Ein Schicksal, das sich so in Österreich zigfach abspielt. Mit dem Unterschied, dass die Tötung des Hundes fast immer gelingt. Herdenschutzhunde brauchen eine Aufgabe, die sich ihnen in unserer Gesellschaft kaum stellt. Sie haben einen sehr ausgeprägten Schutztrieb, sind fast immer Ein-Mann-Hunde, noch dazu dämmerungsaktiv. Und sie wurden für den Schutz von Herden gegen Bären und Wölfe gezüchtet. Einmal im Tierheim gelandet oder gar „auffällig“ gewesen, sind die Vierbeiner so gut wie unvermittelbar. Dennoch reißen die Importe dieser Rassen und deren Mixe nicht ab, viele davon dubios. „Die Dunkelziffer der Einschläferungen ist dramatisch hoch“, ärgert sich Lippitz.
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