Depeche-Mode-Drummer

Christian Eigner: Der stille Weltstar Österreichs

Musik
12.10.2021 19:00

Christian Eigner ist seit fast 25 Jahren Liveschlagzeuger und Songwriter von Depeche Mode, einer der größten Bands der Welt. Der Niederösterreicher hat sich seinen Status mit viel Fleiß und Talent erarbeitet, tanzt aber auch noch auf zahlreichen anderen musikalischen Hochzeiten. Wir haben ihn in seinem Heimstudio in Niederösterreich besucht und über seine famose Karriere gesprochen. Live zu sehen ist Eigner solo am 14. Oktober im Wiener WUK.

(Bild: kmm)

Schon bei Marcus Füreder alias Parov Stelar hat es einige Zeit gedauert, bis man in der Heimat Österreich so wirklich mitbekam, wo und in welchen Bereichen der Welt der Linzer eigentlich überall auf der Bühne steht. Was soll dann erst Christian Eigner sagen? Wenn Sie sich jetzt fragen, von wem hier überhaupt die Rede ist, dann stehen Sie garantiert nicht allein da. Christian Eigner ist so etwas wie der „stille Weltstar Österreichs“, denn seit fast 25 Jahren ist der Niederösterreicher Takt- und Rhythmusgeber bei Depeche Mode, einer der größten Bands der Welt.

Dave Gahan, Martin L. Gore und Andrew Fletcher haben in ihrer etwas mehr als 40-jährigen Karriere mehr als 100 Millionen Alben verkauft, den Synthie-Pop global revolutioniert, spielen jahrelange Touren in den größten Stadien der Welt und wurden 2020 endlich in die „Rock and Roll Hall of Fame“ aufgenommen. Eigner ist mittendrin statt nur dabei - und fällt trotzdem kaum auf.

(Bild: Andreas Graf)

Willkommene Zurückgezogenheit
„Wirklich nervös bin ich nur, wenn ich vor zehn Leuten etwas sagen muss“, erklärt uns der 50-Jährige mit bübischem Lächeln beim Interview in seinem Heimstudio in Niederösterreich. Nach vielen Jahren in London und Los Angeles hat es Eigner vor einiger Zeit wieder in die alte Heimat verschlagen. Für eine Familie gebe es kaum einen besseren Ort als das ländliche Österreich, sagt er, und „der Flughafen ist nur 40 Minuten entfernt“. Wenn die Arbeitsstelle zwischen den größten Metropolen der Welt wechselt, ist der Airport eben wichtiger als die U6.

Eigner verzichtet auf Social-Media-Accounts, hält wenig von Eigenwerbung und gibt nur äußert selten Interviews. Die „Krone“ ist das erste Medium, das außerhalb renommierter internationaler Musikfachmagazine Einlass in sein heiliges Studioreich gewährt bekommt. Hier probt, übt und tüftelt Eigner für seine handverlesenen Drummer-Soloshows, die ihn unter anderem am 14. Oktober ins Wiener WUK führen. Eine niedrige Zahl dreistelliger Fans statt 70.000 Enthusiasmierte in vollen Stadien - für den bescheidenen Schlagzeuger macht das keinen Unterschied.

„Wenn ich hinter meinem Instrument sitze, dann fühle ich mich wohl. Egal, wo und wann.“ Rund 70 Minuten wird das Live-Set dauern und sich aus elektronischen Parts, Old-School-Rock und Jazz-Anleihen vermischen. „Zwischen Jazzrock von Billy Cobham und Peter Gabriels Orchesteralbum“, wie der Musikfreak kundig präzisiert.

Dass eine One-Man-Drummer-Show für den Zuseher herausfordernd sein kann, ist Eigner bewusst. „Die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen ist mittlerweile so kurz, dass sie sich sowieso nur mehr eineinhalb Minuten konzentrieren können. Mich nervt das extrem. Gerade beim Schlagzeugspiel ist der Bogen von A nach B das Interessanteste. Und manchmal dauert so ein Bogen eben acht Minuten, und dafür muss man sich konzentrieren.“

Für Zwischenansprachen oder Geschichten aus dem Depeche-Mode-Universum will sich Eigner bei den Konzerten keine Zeit nehmen. Frei nach dem Motto „let the music do the talking“ geht es einzig und allein ums Handwerk.

(Bild: Andreas Graf)

Ins kalte Wasser
Die ersten Drumsticks nahm er schon als Vierjähriger in die Hand - und damit war der weitere Weg vorgezeichnet. Zeit seines Lebens hatte Eigner keinen einzigen „herkömmlichen“ Job, sondern hielt sich immer mit seiner musikalischen Profession über Wasser - auch wenn das anfangs nicht immer einfach war. „Ich spielte Sachen, die ich nicht spielen wollte, um Geld zu verdienen, aber das war auch schon das Schlimmste. Für meine Eltern war es immer okay, bis ich als 16-Jähriger im Gymnasium sagte, ich will jetzt die Schule abbrechen, weil ich hier meine Zeit vergeude“, erinnert er sich schmunzelnd zurück. „Für mich war das Zeitverschwendung, denn ich musste spielen. Das muss man den Eltern erst einmal begreiflich machen, aber sie haben schnell gemerkt, dass ich es todernst meine, denn ich habe Tag und Nacht geübt und gearbeitet.“

Eigner war aber nicht nur „Trockenschwimmer“, sondern suchte früh die Herausforderung: „Ich habe mir damals noch auf VHS-Kassetten die besten Drummer reingezogen und von ihnen gelernt, selbst viel aufgenommen und so viel wie möglich live gespielt. Seinen Part bei einer Band beizutragen und dort zu lernen, das bringt man dir auf keiner Musikschule bei. Und so kamen die Anrufe und Aufträge wie von selbst.“

(Bild: Andreas Graf)

Ende der 80er-Jahre war das Internet noch eine ferne Chimäre, und Eigner zog sich die Jobs mit Talent, Fleiß und der richtigen Portion Networking an Land. Er spielte beim St. Pöltner Stadtfest und mit Granden wie Ostbahn Kurti, Georg Danzer oder Peter Cornelius. Zunehmend merkte er aber auch, dass die Grenzen für seine eigenen Ansprüche in Österreich zu eng gesteckt waren. „Würde ich hierbleiben, würde sich nie mehr was ändern. Es ging ja in Österreich nicht weiter nach oben, also musste ich dorthin, wo ich hinwollte. Ich habe mir überlegt, ob ich lieber mit Peter Gabriel oder mit Madonna spielen würde. Es wäre Peter Gabriel, also ab nach London und nicht nach L.A.“

„Natürlich war es wagemutig und naiv“
1995, im Alter von 24, übersiedelt Eigner in die britische Hauptstadt, ohne eine Menschenseele zu kennen. „Natürlich war es wagemutig und naiv, aber im schlimmsten Fall wäre ich halt wieder heimgefahren und hätte mich noch einmal in St. Pölten auf die Bühne gestellt.“ Eigner trägt abgewetzte Converse Chucks, ein ärmelloses T-Shirt und eine löchrige Jeans. Ein legerer und lockerer Rockstar ohne Eitelkeit, aber mit einem sympathischen Schmäh und einer beeindruckenden Vita, die er äußerst bescheiden vermittelt.

Keine Zeit zum Archivieren
„Ich habe in London einfach angeklopft und überall gespielt. Es waren keine Auditions, aber damals wurden oft Musiker gebucht, um Demos aufzunehmen. Heute kann sich die jeder im Wohnzimmer zusammenschrauben, aber damals musste man für alles ins Studio. Dabei habe ich viel gelernt und viele Kontakte geknüpft.“ Eigner pendelte zwischen Demoaufnahmen und Showcases, bei denen die großen Macher der Plattenfirmen beeindruckt werden sollten.

Bei einem spielte er mit Aretha Franklins Sohn Teddy Richards, als Keyboarder fungierte Peter Gordeno, der 1998, also ein Jahr nach Eigner, auch zum dauerhaften Live-Mitglied von Depeche Mode werden sollte. „Wenn ich alle Produktionen zusammenrechne, auf denen ich in meinem Leben zu hören war, dann müssten das schon ca. 1000 sein“, reflektiert er nachdenkend. „Ich habe mit 16 angefangen aufzunehmen und bis heute nicht mehr aufgehört. Ich habe mir aber auch nie die Mühe gemacht, diese Arbeit zu archivieren.“ Schade darum.

(Bild: Andreas Graf)

1997 traf Eigner den damaligen Depeche-Mode-Keyboarder Dave Clayton während der Produktion von „Ultra“, der ihn ins Studio mitnahm und wodurch Eigner nach einem ersten Beschnuppern quasi vom Fleck weg engagiert wurde. Eine Beziehung, die seit mittlerweile 24 Jahren hält und zu immer größeren Höhenflügen führte. Was man dabei nicht vergessen darf: Depeche Mode hatten zwischen 1982 und 1995 mit Alan Wilder schon einen Musiker, der die Drums bediente, aber erst Eigner machte das Schlagzeug bei der britischen Kultband salonfähig und brachte seine eigene Farbe ins Spiel.

Der Niederösterreicher ist kein dauerhafter Mietmusiker, sondern essenzielle Kreativachse. „Ich konnte meinen eigenen Stil einbringen, das war mich entscheidend. Ich habe schon in Österreich die Drums anders gestimmt, als es marktüblich war. Da haben sie mich gefragt, ob ich deppert bin. Drüben in England hat das genau gepasst.“

(Bild: Andreas Graf)

Perfekt zum Re-Start
Eigner hatte von Anfang nicht das Gefühl, nur den charismatischen Frontmann Dave Gahan zu unterstützen, sondern gemeinsam mit der Band zu wachsen und gedeihen. Gahan hatte damals gerade die schlimmsten Drogenprobleme überwunden und Depeche Mode waren bereit für einen Karriere-Neustart. Die richtige Atmosphäre für den hungrigen und motivierten Eigner. „Es war damals eine Zeit der Veränderung. Wir wussten nicht, in welche Richtung wir gehen sollten, aber es musste sich was tun.“

Eigner baut nicht nur seine eigenen Schlagzeugparts in die Band ein, sondern schreibt mit Gahan auch immer wieder Songs. So etwa für die Depeche-Mode-Alben „Playing The Angel“, „Sounds Of The Universe“ und „Spirit“, aber auch für Gahans Soloalbum „Hourglass“. „Dave schreibt gerne mit anderen, Martin Gore lieber alleine. Es sind einfach andere Zugänge, die beide haben.“ Zwei bis drei Nummern schreibe man für gewöhnlich für jedes Album gemeinsam, auch Keyboarder Peter Gordeno ist meist aktiv am Werk.

Hier und da begrüßt Eigner so manchen Teamkollegen oder internationalen Kapazunder auch in seinem eigenen Heimstudio. „Bei mir gibt es eine gute Spielwiese. Man kann hier fernab von äußeren Einflüssen in Ruhe arbeiten. Außerdem fällt es mir leicht, das Ego zurückzustellen, denn ich bin dankbar für jeden neuen musikalischen Weg. Egal, woher er kommt.“ Die Beziehung untereinander bei Depeche Mode fand von Beginn weg auf Augenhöhe statt. „Die Band wird ja auch immer größer und dieses Größerwerden endet nicht. Deshalb ist es derzeit auch nicht möglich, live zu spielen.“ 

Depeche Mode waren nie eine Band, die auf Festivals zu sehen war, sondern spielten immer eigene große Touren. Bei gut 150 Leuten Crew und zwei Bühnen ist es derzeit ein Ding der Unmöglichkeit, etwas zu planen, das weiß Eigner nur zu gut. „Ich würde mich irrsinnig freuen, wieder eine richtig große Tour zu spielen. Es geht ja nicht nur um das Livespielen an sich, sondern um das Treffen der Band, der Crew-Leute und all der Freunde, die man hat. Nach zehnmal facetimen macht auch das keinen Spaß mehr. Und am Beispiel Charlie Watts sieht man leider sehr gut, dass das Virus jemandem wichtige Lebenszeit in seiner Leidenschaft gestohlen hat.“

(Bild: Andreas Graf)

Die Situation passt
Nicht verstehen kann Eigner die ewigen Diskussionen darüber, warum Depeche Mode ihn nach 24 Jahren nicht als Fixmitglied der Band ausweisen. „Es ist doch super, so wie es ist. So habe ich das Beste aus beiden Welten. Einerseits spiele ich fix in einer der größten Bands der Welt, ohne klare Vorgaben zu haben. Andererseits kann ich abseits der großen Tourzyklen machen, was ich will, und mich kreativ in alle Richtungen austoben. Aus meiner Sicht könnte ich nicht fixer in einer Band sein. Die Marke stimmt, die Shows stimmen, die Musik stimmt - warum sollte man dann an diesem Konzept etwas ändern wollen?“

Ist Eigner nun der Ronnie Wood von Depeche Mode, also der „ewige Neue“? „Eric Singer ging es bei KISS ja genauso, das ist wohl unser aller Schicksal“, sagt er, um lachend hinzuzufügen: „Ich bin jetzt schon so lange dabei, dass die Leute, die zu Konzerten kommen und mich früher nicht live gesehen haben, sicher in der Minderheit sind.“

(Bild: Andreas Graf)

Eine andere Band als Depeche Mode könnte sich Eigner als Schlagzeuger gar nicht wirklich vorstellen. „Ich wusste von Anfang an, dass es hier passt und ich nicht weggehen möchte. Nur AC/DC hätten mich immer interessiert und es tut mir leid, dass ich nicht mit ihnen spielen konnte. Als Phil Rudd damals wegmusste, hätte ich gerne eine Audition gespielt“, lacht er, „aber die hatten mit Chris Slade einen super Ersatz.“

Es gebe immer viele gute Bands, die ihn interessieren würden, aber das sind wären Combos. „Ich könnte mir etwa gut vorstellen, mit so einer Band ein halbes Jahr auf Tour zu gehen, aber das müsste sich ergeben. Manche Anfragen haben mich nicht interessiert. Es gab in meiner Karriere aber wirklich nie die Situation, dass ich mir in den Hintern biss, weil ich wegen des Depeche-Mode-Terminplans etwas absagen musste. Ich würde den Job bei dieser Band gegen nichts in der Welt eintauschen.“

Zu einem weiteren Studioalbum hält sich Eigner verständlicherweise bedeckt. „Ideensammeln geht immer, aber ohne große Tour macht ein Album wenig Sinn. Wenn das wieder möglich ist, wird wohl auch ein Album rechtzeitig fertig sein.“

Tanz auf vielen Hochzeiten
Einstweilen wird ihm ohnehin nicht fad, denn wie immer prügelt der Schlagzeuger auf mehreren Hochzeiten. So stehen nicht nur die verbleibenden anstehenden Liveshows ins Haus. „Ich mache viele Produktionen für andere Künstler und würde da noch viel mehr im Indie- oder Alternativebereich in Österreich machen. Hier gibt es eine wirklich gute Szene, aber ich bin nicht so gut vernetzt und biete mich nicht so aktiv an. Ich mache viele Produktionen für Acts aus den USA oder Großbritannien. Grenzen kenne ich dabei keine. Der Sound muss einfach gut sein und mein Interesse erwecken - das kann dann alles Mögliche sein.“

Aus den anstehenden Solo-Liveshows könnte sich ein Livealbum ergeben, auch die Variante eines Studioalbums mit brandneuen Instrumental-Tracks liegt im Bereich des Möglichen. Zudem hat er mit einem Freund eine neue Produktionsfirma gegründet, um Musik für fiktionale Filme zu kreieren. „Wir schreiben einen Hauptsong und basteln von dort weg an Sounds für verschiedene Szenen. Da lässt sich mit dem Schlagzeug viel Perkussives machen. Heute klingt alles nach Hans Zimmer, und davon wollen wir unbedingt weg. Es soll einfach etwas Neues sein, das man so noch nicht kennt.“ Der Hunger nach dem bislang Ungespielten treibt Eigner weiterhin unermüdlich an.

(Bild: Andreas Graf)

Live im Wiener WUK
Christian Eigner ist mit seiner Schlagzeug-Soloshow am 14. Oktober im Wiener WUK zu Gast. Weitere Infos und Karten für das Konzerthighlight gibt es unter www.oeticket.com.

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