Weitere Reformen nötig

EU: Weiter kein Zeitplan für Westbalkan-Beitritte

Ausland
06.10.2021 16:13

Die EU stellt den sechs Westbalkanländern trotz schleppender Reformfortschritte weiter einen Beitritt in Aussicht. Bei einem Gipfeltreffen in Slowenien bestätigten Bundeskanzlerin Sebastian Kurz (ÖVP) und die anderen Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten erstmals seit Langem wieder ihr Bekenntnis zum EU-Erweiterungsprozess. Hoffnungen der Balkanländer auf eine klare zeitliche Perspektive für eine Aufnahme in die EU wurden jedoch nicht erfüllt.

Der Abschlusserklärung des Gipfels zufolge sollen Entscheidungen zum Beitrittsprozess auch in Zukunft in Abhängigkeit von Reformanstrengungen getroffen werden. Zudem setzte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine neue Einschränkung durch. So wird in der Erklärung betont, dass die Integration neuer Mitglieder in die EU eine Weiterentwicklung der Union selbst voraussetzt. Mit dem Zusatz will sich die Regierung in Paris die Möglichkeit offenhalten, die Aufnahme neuer Mitglieder zu blockieren, wenn sich die EU in den kommenden Jahren aus französischer Sicht als nicht reformfähig erweisen sollte.

„Region braucht europäische Perspektive“
Bundeskanzler Kurz zeigte sich nach dem Treffen zufrieden. Er sei froh, dass es das Zusammentreffen mit den Staats- und Regierungschefs aus Albanien, Nordmazedonien, Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina sowie dem Kosovo gegeben habe. „Es ist wichtig, dass die Europäische Union in dieser Region in unserer unmittelbaren Nähe stark auftritt, mit der wir nicht nur wirtschaftlich, sondern auch menschlich sehr eng verbunden sind. Den Westbalkanstaaten ist daher eine konkrete EU-Perspektive zu bieten“, erklärte er in einem schriftlichen Statement für die APA. Einen offiziellen Medientermin mit Kurz gab es nicht.

Bundeskanzler Sebastian Kurz mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic (Bild: APA/BKA/ARNO MELICHAREK)
Bundeskanzler Sebastian Kurz mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic

Merkel: „Halte nichts von einer Deadline“
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel verteidigte in ihrer Pressekonferenz nach dem Gipfeltreffen die Entscheidung, den sechs Westbalkanländern weiterhin keine zeitliche Perspektive für einen EU-Beitritt zu geben. „Ich halte nichts von so einer Deadline, die zum Schluss uns unter Druck setzt.“ Sie sei allerdings dafür, dass die EU ihr Wort halte. Wenn die Bedingungen der Union erfüllten würden, müssten Länder beitreten können.

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (Bild: AP)
Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel

Der luxemburgische Premier Xavier Bettel warnte vor dem Einfluss Russlands, wenn sich die EU nicht auf dem Westbalkan engagiere. „Die europäische Hoffnung ist die richtige Antwort.“ Man dürfe die Westbalkanländer nicht enttäuschen. Es gehe auch um Frieden in der Region. „Es ist schon ein Pulverfass“, sagte Bettel.

„Bekenntnis“, aber kein Zeitplan
Echte Klarheit über ihre Chancen auf einen EU-Beitritt haben die Beitrittsaspiranten Albanien, Nordmazedonien, Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und der Kosovo weiterhin nicht. Kommissionschefin Ursula von der Leyen rief die sechs Staaten auf, die Hoffnung nicht aufzugeben: „Kurs halten, weiter machen, nicht aufgeben“, sei ihre Botschaft. „Man sollte nicht unterschätzen, wie viel wir schon erreicht haben“, erinnerte von der Leyen vor Beginn des informellen Treffens im slowenischen Brdo bei Kranj. Entscheidend für den weiteren Verlauf der Erweiterung seien Reformen und die wirtschaftliche Integration in den Beitrittskandidatenländern. Für die Westbalkanstaaten sei die EU der bevorzugter Partner. Die Bürger dieser Staaten würden die beste Leistung bekommen, „ohne weitere Bedingungen“. Die Erweiterung sei auch im Interesse der EU, so die Kommissionschefin.

(Bild: AFP)

Um die sechs Staaten weiter zu Reformanstrengungen zu ermuntern, sollen sie der Gipfelerklärung zufolge allein in diesem Jahr über einen Wirtschafts- und Investitionsplan rund 1,1 Milliarden Euro an EU-Mitteln erhalten. Die Kommission wolle dafür noch ein neues Paket in Höhe von 600 Millionen Euro vorschlagen, heißt es laut Nachrichtenagentur dpa in dem Text. Insgesamt sollen in den kommenden sieben Jahren rund 30 Milliarden Euro für die Region mobilisiert werden - unter anderem auch über neue Garantien.

Gedämpfte Erwartungen bei Westbalkan-Staatschefs
Die Staats- und Regierungschefs der Westbalkanländer waren aber ohnehin mit gedämpften Erwartungen zum Gipfeltreffen gekommen. So zeigte der serbische Präsident Aleksandar Vucic im Vorfeld des Treffens keine „zu großen“ Erwartungen. „Ich habe keine Illusionen über einen schnellen EU-Beitritt“, sagte Vucic laut Tanjug.

Der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti gab sich unterdessen kritisch zur Gipfelerklärung: „Sie hätte besser sein können.“ Er bleibe aber „hoffnungsvoll, dass die EU ihrer Essenz, der Erweiterung, treu bleiben wird“, sagte Kurti. Eine Hinwendung zu Russland und China sei nicht die Richtung für den Kosovo, betonte Kurti. „Die EU ist unser Glaube und unsere Bestimmung. Europa ist unser Kontinent.“

Merkel und Macron bei Vermittlungsgespräch
Mit Montenegro und Serbien führt die EU bereits offizielle Beitrittsverhandlungen, die Aufnahme von Gesprächen mit Albanien und Nordmazedonien wurde im März 2020 nach monatelangen EU-internen Diskussionen beschlossen. Wegen einer Blockade Bulgariens haben sie bisher aber nicht begonnen. Bosnien-Herzegowina und das Kosovo gelten bisher lediglich als potenzielle Kandidaten für Verhandlungen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (Bild: AFP)
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron

Wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete, trafen zu Beginn des Gipfels Deutschlands Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron mit dem nordmazedonischen Regierungschef Zoran Zaev und dem bulgarischen Präsidenten Rumen Radew zu einem Vermittlungsgespräch zusammen. Eine Annäherung gab es jedoch nicht: Präsident Radew warf Nordmazedonien danach erneut vor, die Grundrechte der bulgarischen Minderheit „mit Füßen zu treten“. Vor den bulgarischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 14. November wird keine Bewegung in dem Streit erwartet.

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