„Music Of The Spheres“

Coldplay: Den Kosmos in Pop-Bombast ertränkt

Musik
18.10.2021 06:00

Coldplay haben genug von den eng gesteckten Grenzen der Erde und schießen sich auf ihrem neuen Album „Music Of The Spheres“ in die unendlichen Weiten des Weltalls. Dabei verlieren sie endgültig die klangliche Bodenhaftung, mit der sie vor 20 Jahren die Champions League der Populärmusik eroberten.

(Bild: kmm)

Dass Pop-Darling Chris Martin gerne über die Grenzen des Irdischen hinausgeht ist kein Geheimnis. Man erinnere sich an den kunterbunten und opulenten Auftritt im Wiener Ernst-Happel-Stadion vor viereinhalb Jahren - ein „Holi-Fest“, ohne dabei schmutzig zu werden und irgendwelche Rückstände aus der Kleidung waschen zu müssen. So lässt sich auch Coldplays Musik seit mehr als einer Dekade ganz gut beschreiben. Viel Farbe, kein Dreck. Als Brian Eno die auflösungswillige Band als Co-Produzent 2007 rettete und die Briten ein Jahr später „Viva La Vida Or Death And All His Friends“ veröffentlichten, retteten sie sich selbst und hievten sich endgültig in kommerzielle Höhen, die davor schon angedeutet, aber noch nicht so üppig ausgeführt wurden. Die Soundänderung rückte Coldplay weg vom Travis- und The Verve-Gestus der Frühjahre hin zu einer pathetischen Opulenz á la U2. Mit dem Beigeschmack, dass Martin seine teuren Konzerte nicht zu einer gefühlten Hälfte mit meinungsbildendem Politgeschwafel vollknallt, sondern lieber mit Sound, Licht und Effekten für ungläubiges Staunen sorgt.

Dick und opulent
Dass Coldplay früher oder später einmal Richtung Weltall abdriften würden, war zu erwarten. Erste leichte Hinweise darauf versteckten sie schon auf der Vinyl- und Digibook-Edition des 2019er Albums „Everyday Life“, wo findige Schnüffler gar schon den Titel „Music Of The Spheres“ erspähen konnten. Martin und Co. lieben es seit jeher, Brotkrumen zu streuen, was dem gesättigten Leben von kreativ auf Sparflamme flackernden Multimillionären wahrscheinlich einen temporären Thrill gibt, um sich endlich wieder einmal zu spüren. Die Fraktion der „opulente Coldplay“-Fans wird mit dem neunten Studiorundling jedenfalls große Freude haben, denn reine Songwriting-Perlen wie „Yellow“, „Clocks“ oder „Fix You“ hat man mittlerweile so weit zurückgelassen, dass sie noch nicht einmal mehr im Ansatz erkennbar sind. Einen gewichtigen Anteil daran hat sicher der neue Produzent Max Martin, den Namensvetter Chris Martin im offenbar sauerstoffarmen All-Rauch als „echtes Wunder des Universums“ bezeichnet hat.

Mit „Hit Me Baby One More Time“ von Britney Spears, „I Kissed A Girl“ von Katy Perry, „Shake It Off“ von Taylor Swift oder „Blinding Lights“ von The Weeknd hat er zweifelsohne Musikgeschichte geschrieben, doch Karl Martin Sandberg, wie der Schwede Max Martin mit bürgerlichem Namen heißt, ist auch mitverantwortlich für das generische und sich kaum vom Algorithmen-Einheitsbrei abhebende Songwriting der modernen Mainstreampopkultur. Dass er nicht nur die pathetische und kitschige erste Coldplay-Single „Higher Power“ produziert hat, sondern gleich dem ganzen Album seinen kommerziellen Glanz verlieh, hört man „Music Of The Spheres“ zu jeder Sekunde an. In einem ohnehin schon auf maximalen Perfektionismus getrimmten Klangkosmos nimmt Martin den Coldplay’schen Songs zumeist auch noch den letzten Funken Originalität. Der Preis für diese kreative Beliebigkeit ist aber nicht hoch, denn in den Streaming-Charts und im wuchernden Playlisten-Orbit werden die Tracks glattgebügelt Erfolge garantieren.

Welteroberung
„Higher Power“ haben Coldplay gar auf die Raumstation ISS gestreamt, damit der Track seine Weltpremiere, wenn man das überhaupt noch so nennen will, im All feierte. Weitaus interessanter als die Nummer war dann das Gespräch der Band mit dem französischen Astronauten Thomas Pesquet, das sich um das Leben auf Tour und im All, potenzielle Aliens und den schleichenden Niedergang des Planeten Erde dreht. Schon klar, Coldplay wollen uns nur Gutes tun. „My Universe“ ist eine Ode an den Zusammenhalt und die Gemeinschaft und wurde folgerichtig mit der eigentlich größten Popband der Welt, den Südkoreanern von BTS eingespielt. Ein geschickter Move, denn die Kooperation eröffnet Coldplay und BTS bislang noch zu wenig beackerte Märke in Ost und West, dazu sind Botschaften über die Liebe und das Leben in unsicheren Zeiten wie diesen wichtiger denn je. Die kurzen Interludes und Zwischensamples auf „Music Of The Spheres“ haben Coldplay mit Emojis betitelt, auch hier reitet man auf dem Trend einer Generation, zu der man selbst schon lange nicht mehr gehört.

Natürlich wissen die Briten im Grunde immer noch große Songs zu schreiben, doch Max Martin lässt sie im pompösen Bombast ersticken und beraubt sie damit jener Fragilität, die Coldplay-Songs früher so besonders und einzigartig machten. Die Ballade „Let Somebody Go“ mit Goldkehle Selena Gomez würde entschlackt und unplugged auf allen Linien überzeugen. Was der loungige Autotune-Alien-Schmachtfetzen „Biutyful“ darstellen soll, bleibt auch nach mehrmaligem Durchlauf unklar. „People Of The Pride“ hingegen überrascht mit einem nach vorne marschierenden Marilyn-Manson-Gitarrenlick und lässt für etwa drei Minuten erahnen, dass Coldplay im Grunde ihres Seins eigentlich einmal eine Rockband waren. Der letzte und längste Track, ist dafür nicht nur der mutigste, sondern auch der beste. „Coloratura“ erstreckt sich über mehr als zehn Minuten und beinhaltet von sanften Piano-Passagen über progressiven Pink-Floyd-Schlenkern bis hin zu artifiziell gestrickten Pop-Momenten alles, was der Rest des Albums in seinem Kern schuldig bleibt. Hier gönnen sich Coldplay Platz für Experimente und Ruhe und beweisen, dass Songs in „Unterwäsche“ am stärksten wirken.

Im Trend-Hamsterrad gefangen
„Music Of The Spheres“ ist ein in mehrfacher Hinsicht programmierter Megaerfolg. Die Singles sind eingängig, die Marketing- und PR-Schiene üppig und ausgeklügelt und die pure Leidenschaft, mit der Coldplay trotz ihrer stilistischen Radikalwandlung an ihre universellen Themen herangehen zu jeder Sekunde spürbar. Doch wie schon auf den letzten Alben fehlt es den Briten am Mut zur Reduktion und ehrlichen Verletzlichkeit. Sie wagen es nicht, einen Schritt zurückzugehen, um dadurch kreativ zwei nach vorne zu machen. Viel zu oft schunkelt sich das Quartett durch kompositorische Beliebigkeit und macht den Fehler, der in den oberen Chartregionen mittlerweile Usus ist: man achtet zu sehr auf die gängigen Trends und verliert das Gefühl für Beständigkeit und Zeitlosigkeit. Das mag durchaus gut dem Zeitgeist angepasst sein, könnte sich aber in der Karriere-Retrospektive irgendwann einmal rächen. Wird interessant, wohin die Coldplay-Reise nach diesem ausufernden Elon-Musk-Gedenkalbum hingeht…

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