Die Ermi-Oma ist zurück und spricht vielen aus dem Herzen. Markus Hirtler kennt die Misere im Pflegebereich. Der steirische Kabarettist hat sie 20 Jahre lang miterlebt. Mit viel Humor erhebt „die alte Frau in Stützstrumpfhose“ ihre Stimme für die, die nicht gehört werden.
„Krone“: In dieser Woche spricht alles über den akuten Pflegenotstand, den Sie seit 15 Jahren in der Rolle der Ermi-Oma anprangern.
Markus Hirtler: Endlich wird das thematisiert. Ich rede ja nicht mehr von Pflegenotstand, sondern von Pflegeschande. Die Politik kennt die Zahlen der Überalterung und regelt nichts. Warum können wir es uns in Österreich nicht leisten, auf unsere Alten, Kranken und Pflegebedürftigen zu schauen? Alle sagen, dass es wichtig sei, doch nichts wird umgesetzt. Das alles ist eine große Lüge. Es fehlt bei der Pflege an Geld, Zeit und Personal. Menschen müssen nicht nur gelobt, sondern fair und gerecht bezahlt werden. Das der Corona-500er noch immer nicht ausgezahlt wurde, ist reine Frotzelei. Altersheime und Krankenhäuser sind nicht da, damit sich der Heimleiter seinen nächsten Sportwagen finanziert. Mit Leid, Krankheit und Tod wird Cash gemacht.
Wird da die Ermi-Oma zur Wut-Oma?
Die Ermi-Oma hat einen differenzierten Blick sowohl auf die stationäre als auch mobile Pflege. Da kommt in den Kabarettprogrammen sehr deutlich zur Sprache, wie es den Gepflegten und auch den Pflegern geht. Strukturen interessieren die Ermi-Oma nicht, auch wenn das starre Strukturen-Korsett Wurzel des Übels ist. Als Schreibknecht und Minutenschlüsseleinhalter haben die Pflegenden für ihre eigentliche Arbeit keine Zeit mehr. Die Pflege leidet unter Dokumentationswahn, den die Leute an der Basis ausbaden. Ich habe mich wie ein Mörder im weißen Kittel gefühlt, weil ich einfach keine Zeit gehabt habe, die Leute zu betreuen und zu pflegen.
Die Pflege leidet unter Dokumentationswahn, den die Leute an der Basis ausbaden. Ich habe mich wie ein Mörder im weißen Kittel gefühlt, weil ich einfach keine Zeit gehabt habe, die Leute zu betreuen und zu pflegen.
Markus Hirtler
War das auch der Grund, warum Sie aus dem Pflegeberuf ausgestiegen sind?
Die Krankenpflege war für mich immer ein Beruf mit Berufung. Ich bin jedoch nicht in die Pflege gegangen, um keine Zeit mehr für die eigentliche Berufung zu haben. Pflege ist zur Absicherungspflege verkommen. Wir leben in einer Bewertungsgesellschaft, in der alles, was man tut oder nicht tut, in Frage gestellt, kritisiert, öffentlich bewertet wird. Man hat Angst, dass jemand klagt. Wenn es dem Pflegepersonal schlecht geht, wie sollen sie am Krankenbett gute Arbeit leisten können?
Ist der Beruf des Pflegers unten durch?
Ich glaube nicht, dass die Pflege und der Beruf verpönt sind. Beides hat mehr Achtung verdient. Warum verdienen Leute, die auf unser Geld aufpassen, viel mehr, als jene, die auf unsere Eltern schauen? Das geht an der Ethik und Moral in unserer Gesellschaft vorbei. Wir wollen die beste Pflege, aber es darf nichts kosten. Hol dir einen Installateur, der ist wesentlich teurer als die Hauskrankenpflege oder eine 24-Stunden-Hilfe, die für einen Bruttostundenlohn von 1,32 Euro arbeitet. Das taugt uns, weil wir es auf Kosten anderer bequem haben.
Welche persönlichen Erwartungen haben Sie an die Pflege?
Ich erwarte mir von der Pflege die Hilfe bei jenen Dingen, die ich nicht mehr tun kann. Aber nicht, dass ich kastriert und entmündigt in die Ecke gestellt werde. Ich wünsche mir ein selbstbestimmtes Leben mit professioneller Hilfe, die mich versteht und die Pflegearbeit gelernt hat. Nur nett und lieb mit großem Herz bringt’s auch nicht.
In Ihrem aktuellen Programm prangern Sie die 24-Stunde-Pflege als moderne Sklaverei an.
Ja! Wir haben in Österreich ein Heer von 60.000 meist Frauen in der 24-Stunden-Pflege. Die lassen ihre Kinder in ihrer Heimat zurück, um auf unsere Alten zu schauen. Da rede ich von 150.000 Kindern in Rumänien. Es gibt wunderbare Geschichten, wo das Miteinander funktioniert. Doch ich höre auch von leergeräumten Häusern und Frauen, die kein Wort Deutsch sprechen, von der Pflege keinen Tau haben und ein gefälschtes Pflegediplom ausgestellt bekommen. Ohne Skrupel werden sie von den 1000 Pflege-Agenturen ins Land geholt.
Kann die Ermi-Oma etwas bewegen?
Natürlich habe ich einen Auftrag, nämlich aufzuzeigen, wo es wunde Punkte gibt. Humor ist manchmal eine gute Möglichkeit, Dinge anzusprechen, die man nicht hören möchte. Ich will nicht missionieren und bekehren. Es braucht ein Hin zum Verstehen und verstanden Werden, so wie es auch ein Miteinander in der Pflege geben sollte. Ich glaube, dass ich etwas bewirken und im Herzen etwas bewegen kann. Denn das Verändern beginnt mit dem Wahrnehmen. Hinschauen, reflektieren und daran arbeiten hilft schon eher.
Humor ist manchmal eine gute Möglichkeit, Dinge anzusprechen, die man nicht hören möchte.
Markus Hirtler
Ist auch Corona ein Thema für die Ermi-Oma?
Nein, die macht das nicht zum großen Thema. Aber ich persönlich schon. Ich bin im November des letzten Jahres an Corona erkrankt, es hat mich drei Wochen mit Dauerfieber niedergestreckt. Ich habe mich im meinem ganzen Leben noch nie so krank gefühlt und leide heute noch unter ständigen Kopfschmerzen.
Leiden Sie auch als Künstler an der Pandemie?
Ich warte noch auf den Umsatzersatz von 2020, für den ich jetzt die Steuer zahlen muss. Das ist alles sehr skurril und dubios. Dafür freue ich mich umso mehr, dass ich wieder auf Tour gehen kann.
Wie lange bleibt die Ermi-Oma am Leben?
Keine Ahnung! Ich habe mir in der Corona-Zeit überlegt, in den nächsten zehn bis 15 Berufsjahren etwas ganz anderes zu machen. Aber solange mir das Spaß macht, mache ich weiter. Ist das Feuer verglüht, kriegt die Ermi-Oma ,a schöne Leich‘ (lacht). Das könnte sogar noch ein eigenes Programm werden!
Termine für das neue Programm „24-Stunden-Pflege(n)“: 10. und 11. 10. im Orpheum Graz; 19. 10. in Wagna; 20. 10. in Mürzzuschlag; 21. 10. in Liezen.
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