Nach 16 Jahren legt Daniel Craig die „Lizenz zum Töten“ ab. Er hat die Rolle des James Bond in den letzten 60 Jahren wie kein Zweiter definiert und modernisiert. Zwischen plötzlich männlicher Fleischbeschau, Hollywood-Chic bis hin zur radikalsten Veränderung, die vielleicht bevorsteht.
Aus heutiger Sicht wirkt es mehr als kurios, dass die Unkenrufer 2005 den Untergang des James-Bond-Abendlandes ausriefen. Einen Monat vor Drehstart von „Casino Royale“ wurde Daniel Craig als sechster Bond präsentiert und stieß auf eine Welle der Ablehnung. Zu blond, zu ängstlich und zu unscheinbar war er Presse und Fans. Doch der Brite war in Zeiten gesellschaftlicher Umwälzungen genau jene Veränderung, die das angestaubte Franchise dringend benötigte.
Als er in „Casino Royale“ in blauer Badehose dem Meer entstieg, dachte man an Ursula Andress aus dem ersten Bond von 1962 und Halle Berry, die ebendies 40 Jahre später in „Stirb an einem anderen Tag“ tun sollte. Die Fleischbeschau war plötzlich männlich. Später im Film würde ihm Bösewicht Le Chiffre die Geschlechtsteile malträtieren. Der muskelbepackte Bond litt Höllenqualen und verband plötzlich zwei vermeintlich entgegengesetzte Pole: einerseits die kompromisslose Killermaschine im Dienste ihrer Majestät, andererseits ein verlorener Einzelgänger, dessen Herz gebrochen wird und der an seiner Familienhistorie leidet.
Dekaden vor #metoo
Mehr als 50 Jahre sollte es dauern, bis ein Darsteller den Schmerzen und der Härte des 1953 veröffentlichten Originalromans von Autor Ian Fleming am nächsten kam. Darin war vom Hollywood-Chic noch nichts zu spüren, den brachte ab 1962 erst Sean Connery auf die Leinwand. Er machte 007 mit hochgezogenen Augenbrauen, einem süffisanten Grinsen und lässigen Sprüchen zur Kultmarke, die sich in Brettspielen, Comics und anderen Merchandise-Artikeln niederschlug.
Mit Connery wurde Bond zur globalen Popkultur. Er vereinte Stilsicherheit, Eleganz und Coolness, dazu waren die Frauen anmutig, die Bösewichte auffällig und markant, die Action testosterongeladen. Maskulinität schoss aus allen Poren. Wo Craig die Frauen im neuen Jahrtausend nicht mehr als reine Bettgespielinnen sieht, ließ Connery Dekaden vor der #MeToo-Bewegung wenig anbrennen. Wie er Pussy Galore in „Goldfinger“ gegen ihren Willen in den Heuballen drückt, hinterlässt nicht nur aus heutiger Sicht einen fahlen Nachgeschmack.
Entdeckung der Ironie
Ganz im Gegensatz zur Romanvorlage setzte man in der filmischen Umsetzung zunehmend auf den ironischen Aspekt. Während es bei Bond-Eintagsfliege George Lazenby in „Im Geheimdienst ihrer Majestät“ noch etwas holprig und unfreiwillig wirkt, legte Roger Moore seine Rolle bewusst humorig an. Er war weniger Sexsymbol als Gentleman und betrachtete die Damenwelt mit mehr Respekt. Die Handlungen und Bösewichte rutschten von Film zu Film in absurdere Gefilde ab. Curd Jürgens als Stromberg blieb ebenso in Erinnerung wie Richard Kiel in seiner Lebensrolle als „Beißer“: ein gigantischer Hüne mit Stahlgebiss und dem Herz am rechten Fleck. Bond kämpft gegen die bösen Sowjets und fliegt sogar auf den Mond. Ausgerechnet der ambivalent aufgenommene Timothy Dalton, eigentlich ein Theaterschauspieler, attestierte der Rolle Ende der 80er-Jahre etwas Nahbarkeit. Hier spürte man erstmals Ansätze einer tieferen Charakterzeichnung, die mit Craig 20 Jahre später selbstverständlich wurde.
Die vier Bond-Filme mit Pierce Brosnan sind nachbetrachtet wenig zufriedenstellend. Sein Repertoire war Roger Moore näher als Sean Connery. Er wollte Stil und Esprit mit Härte und Kompromisslosigkeit verknüpfen – ein hehres Unterfangen, an dem der Darsteller samt der kruden Drehbücher scheiterte. Der Wandel hin zum knallharten, aber innerlich zerrissenen Anzugträger mit der „Lizenz zum Töten“ gelang erst Craig. Unter der Leitung von Produzentin Barbara Broccoli besann sich die Agenten-Reihe auf ihre Ursprünge: mehr Härte und weniger Humor. Frauen dürfen endlich selbstständig und stark sein, derweil wird Bond von den Dämonen der Vergangenheit und seiner inneren Zerrissenheit geplagt. Nur die Bösewichte, ob Mads Mikkelsen, Christoph Waltz oder nun Rami Malek, bleiben meist frappant überzeichnet und schlagen die Brücke vom Gegenwarts-Bond zu jenen aus der Vergangenheit.
2021 wird an vielen Dogmen gerüttelt. Wenn Craig in „Keine Zeit zu sterben“ seine „Lizenz zum Töten“ abgibt, wird sie von Nomi-Darstellerin Lashana Lynch geerbt, die „007“ als bloße Nummer betrachtet. Wichtige Parameter wie schön inszenierte Frauen, atemberaubende Actionszenen und angsteinflößende Düsterlinge sind immer noch das Fundament, doch dieses ist nicht mehr in Stein gemeißelt. Craig setzt sich bei den Drehbüchern dafür ein, veraltete Frauenbilder zu entzerren und das gesamte Franchise zeitgemäßer anzulegen. Nach seinem Abschied als Doppelnullagent würde er es nicht gut finden, wenn Bond künftig von einer Frau personifiziert werden würde. „Es müsse bessere Rollen für Frauen und farbige Schauspieler geben“, sagte er der „Radio Times“ in einem Interview. Aber vielleicht ist das Produkt James Bond jetzt bereit für die nächste Radikalkur.
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