Regisseur Martin Gruber, mit seinem aktionstheater ensemble erneut für den Nestroy-Preis nominiert, spricht im Interview über mögliche Gründe, warum wir Österreicher gerne angelogen werden.
„Krone“: Bereits zum dritten Mal wurden Sie und Ihr Ensemble für den Nestroy-Preis nominiert. Was bedeutet Ihnen das?
Martin Gruber: Ich müsste schon lügen, wenn ich behaupte, dass man sich darüber nicht freut. Nachdem wir zum wiederholten Male nominiert sind, ist es tatsächlich eine schöne Bestätigung für unsere Arbeit. „lonely ballads“ war die zweite Pandemiebearbeitung des aktionstheater ensembles. Es freut mich, dass gerade diese radikale Reduktion nominiert wurde. Ein Versuch, den Menschen in seiner Einsamkeit zu zeigen und das ohne die Tools, die ich mit einer größeren Besetzung normalerweise zur Verfügung habe. Es waren ja Monologe. Das nackte Individuum alleingelassen, inklusive Peinlichkeiten und Selbstmitleid. Die Challenge war, wie man einen Zustand darstellt, etwa die Zeit während des Lockdowns, den man eigentlich nicht beschreiben kann. Das ist ja die Aufgabe des Theaters oder der Kunst. Zustände transparent zu machen, die man mit Worten nicht ausdrücken kann.
„Krone“: In einer ersten Reaktion auf die Nominierung sagten Sie, dass Theater davon lebt, Masken und Fassaden zu konstruieren - und haben damit eine Parallele zur Politik gezogen.
Gruber: Auf die Gefahr hin, dass das schon fast ein Kalauer ist: Diese Staatsoperette, die wir gerade zu sehen bekommen, auf eine Bühne zu bringen, wäre schon recht schwierig. Wir versuchen ja, pointiert die Gesellschaft zu spiegeln, aber man muss sagen, dass die Politik derzeit einfach besser darin ist, eine Farce zu produzieren. Und so können wir am Theater nur noch die Mechanismen dekonstruieren, die dahinter stecken, also hinter die Fassade dieses politischen Alltags schauen. Am Theater haben wir nur noch die Möglichkeit, etwas „ehrlicher“ als die Politik zu sein. Die Politik eins zu eins zu karikieren macht keinen Sinn. Dafür musste man auch nicht ins Theater, da reicht es doch schon, sich die „Zeit im Bild“ anzusehen.
Die Politik eins zu eins zu karikieren macht keinen Sinn. Dafür musste man nicht ins Theater, da reicht es doch schon, sich die „Zeit im Bild“ anzusehen.
Martin Gruber
„Krone“: Sie sagen über Ihr Stück „lonely ballads“, dass Sie die Menschen ohne Maske gezeigt haben. Auch in der Politik haben wir nun etwas ohne Maske gesehen. Warum war das für viele Menschen so schockierend?
Gruber: Das habe ich mich auch gefragt. Für mich waren die Vorgänge der jüngsten Vergangenheit eher eine Form von Befreiung, muss ich gestehen. Man konnte hier gut sehen: Obwohl sonst nicht viel funktioniert, der Rechtsstaat funktioniert. Und ich war auch etwas verwundert. Denn wenn man sich als Künstler die Ikonographie dieser Inszenierung anschaut, zum Beispiel die Huldigungsfeierlichkeiten zu Ehren des Kandidaten in der Wiener Stadthalle, fühlt man sich schon ein bisschen an einen ganz anderen Parteitag erinnert - sofern man jemals ein Geschichtsbuch aufgeschlagen hat. Das war gruselig, diese PR-Show. Dass man das nicht gesehen hat, kann ich nicht nachvollziehen. Überraschend sind diese Ereignisse für mich also nicht. Überrascht hat mich eher, dass diese Performance so lange gedauert hat. Zugegeben, einige bringen in dieser Diskussion dann das Argument vor, dass diese Art der Politik in Russland aber schon viel länger andauert. Das stimmt, aber bei uns greift dann eben der Rechtsstaat. In Russland, Polen oder Ungarn tut er das nicht. Aber dank des offenbar funktionierenden Rechtsstaats werden hier in Österreich diese Phasen, wie bei Jörg Haider, immer wieder unterbrochen.
Haider hat das System des Populismus in Österreich implementiert. Das Türkise ist eine Spielvariante dieses Populismus, der immer weitergezogen wurde.
Martin Gruber
„Krone“: Sie sehen da eine Verbindung...
Gruber: Die Türkisen führen im Prinzip eine mehr oder minder smarte Form der Haider-Agenden fort. Haider hat das System des Populismus in Österreich implementiert. Das Türkise ist eine Spielvariante dieses Populismus, der immer weiter gezogen wurde.
„Krone“: In Ihrer Arbeit geht es auch immer um die Zugewandtheit zum anderen, um Solidarität, um Empathie. Woher sollen die Menschen das eigentlich schöpfen? In der Bundespolitik kann man sich diesbezüglich ja kaum inspirieren lassen...
Gruber: Da gibt es einen Klassiker: Was Du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andren zu. Ich denke, im zwischenmenschlichen Bereich funktioniert das besser als vor der Wahlurne, denn da hat man ein direktes Gegenüber. Aber es gibt eben eine grundsätzliche Sehnsucht im Menschen. Die Sehnsucht, beruhigt zu werden. Ich weiß nicht, ob diese Sehnsucht in Österreich stärker ausgeprägt ist als anderswo. Hier braucht man ein bisschen einen Downer, eine kleine Beruhigungspille, weil das Leben sowieso schon so hart ist. Und so eine PR-Show wirkt eben recht beruhigend. Mit Maß und Ziel angelogen zu werden, das will man schon irgendwie in Österreich. Nochmals: Dass niemand gemerkt hat, welche Show hier abgezogen wurde, glaube ich nicht. Da steckt eher eine bestimmte Haltung dahinter: Lüg mich an und halte mir die Flüchtlinge und sonstige Unbill vom Leib. Natürlich darf man das aber nicht zu weit treiben, denn dann kippt es. Denn wie offensichtlich ohne jeden Anstand und ohne jede Moral hier agiert wurde, war nun doch für einige zu viel.
Es gibt eine Sehnsucht danach, beruhigt zu werden. Ich weiß nicht, ob diese Sehnsucht in Österreich stärker ausgeprägt ist als sonst.
Martin Gruber
„Krone“: Manche sagen, dass es nach den Chat-Veröffentlichungen, dem Schock und dem Entsetzen nun zu einem kollektiven Heilungsprozess in der Bevölkerung kommen könnte. Teilen Sie diese Meinung?
Gruber: Wenn man in unserem Kulturkreis besonders intellektuell wirken will, tendiert man dazu, alles besonders negativ zu sehen. Mir ist aber immer schon das Andere lieber gewesen. Ich kann also mit dem Prinzip Hoffnung durchaus etwas anfangen. Und deshalb sage ich: Ja, diese leise Hoffnung besteht auch in mir. Anders gesagt, die Christlichsozialen werden sich neu formieren. Hoffentlich.
„Krone“: Immer wieder hört man - oft als Verteidigungsstrategie -, dass es die einen nun eben erwischt hätte, dass die anderen aber doch um nichts besser wären. Was antworten Sie darauf?
Gruber: Wenn ich in der Sauna sitze und eigentlich entspannen möchte, fällt immer wieder der Satz „Die Politiker sind doch alle gleich!“ Dann weiß ich immer, wen diese Leute wählen. Übrigens: Unser neues Stück hießt „Die große Show“, Uraufführung ist am 7. Dezember in Dornbirn.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.