Ein Vorarlberger folgt dem neuen Kanzler als Außenminister nach. Mit Conny Bischofberger spricht Michael Linhart (63) über die Kurz-Affäre, alemannische Selbstdisziplin und einen Koffer voller Bergkäse.
Genau eine Woche ist es her, als beim österreichischen Botschafter in Paris das Handy läutete. Bundeskanzler Alexander Schallenberg war dran ...
Es ist Sonntagmorgen, im Außenministerium am Minoritenplatz absolviert Michael Linhart seinen ersten Interview-Marathon. Wir begrüßen einander im Vorarlberger Dialekt. An den Wänden hängen helle Bilder junger Künstler, mittendrin eine Lichtinstallation. „Ich mag die Kombination zwischen Modernem und Historischem“, erzählt der Spitzendiplomat und zeigt auf ein Barocktischchen mit weißen Orchideen. „Zu den Kunstwerken kommt noch ein Franz Gassner dazu, der hat mich durch die ganze Welt begleitet.“ Nur das silbergerahmte Familienfoto hat es bis jetzt ins neue Büro geschafft.
„Krone“: Plötzlich Außenminister: Wo waren Sie, als am Sonntag vor einer Woche Ihr Handy geläutet hat?
Michael Linhart: Gerade in Paris angekommen. Meine Frau und ich waren am Wochenende im Bregenzerwald. Am Samstag haben wir noch eine Bergtour gemacht und alles Mögliche eingekauft. Subirer (Anm.: Schnaps aus einer alten Vorarlberger Birnensorte) und einen Koffer voller Bergkäse. Sonntagmorgen haben wir uns auf den Weg gemacht und sind um 17.30 Uhr in Paris angekommen. Um 18 Uhr kam der Anruf vom Bundeskanzler.
Ihr erster Gedanke?
Man schluckt auf jeden Fall einmal. Dann habe ich gefragt: „Wieviel Zeit habe ich?“ Er meinte: „Zwei Stunden. Und am Montag ist Angelobung.“ Ich hab mich mit meiner Familie beraten, so eine Entscheidung trifft man schließlich nicht einsam. Den Entschluss habe ich dann sehr schnell gefasst.
Keinerlei Bedenken?
Keine. Aber ich habe ja zeitlebens im Außenamt und in der Diplomatie gearbeitet, es ist also kein neues Feld für mich. So ein Amt strebt man nicht an, aber wenn man gefragt wird, dann muss man es machen. Also haben wir für den nächsten Morgen einen Flug gebucht.
Blieb der Käse in Paris?
Ein Stück hab ich mitgebracht, der ist von Vorarlberg über Paris nach Wien gereist. - Lacht.
Ist Außenminister der Höhepunkt Ihrer Karriere?
Ja, das kann ich unterschreiben. Für mich war es schon ein Höhepunkt, als ich Generalsekretär im Außenamt wurde, und dann, die Botschaft in Paris zu führen. Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass das noch einmal übertroffen wird.
Sie übernehmen dieses Amt in einer sehr schwierigen Phase. Gegen Ex-Kanzler Kurz und neun weitere Personen in seinem Umfeld wird ermittelt, die Regierung stürzt in den Umfragen ab, die Affäre ist, wie Rudolf Anschober im „Krone“-Interview sagt, „ein Supergau für das Vertrauen in die Politik“. Wie steht Österreich jetzt da in der Welt?
Natürlich wird über solche Vorgänge berichtet, ich habe das in Paris gesehen, das wird sehr genau beobachtet. Krisen kann es immer geben, aber nichtsdestotrotz wird Österreich als ein tief europäisch verwurzeltes Land, als ein verlässliches Land gesehen. Auch als Land der Kultur und der europäischen Werte, als Land der Wirtschaft und Hochtechnologie, als Land mit fleißigen Menschen. Diese Grundwerte sind nicht infrage gestellt.
Wie sehr schadet es dem internationalen Ruf, wenn ein Land im Zusammenhang mit Korruption in den Schlagzeilen ist?
Das ist eine Momentaufnahme. Worum es jetzt geht ist zu zeigen: Wir arbeiten weiter, wir setzen Themen, wir setzen das Regierungsprogramm um, wir sind weiterhin ein verlässlicher Partner in Europa. Ich bin am Montag schon in Luxemburg beim Europäischen Rat, einige meiner künftigen Kollegen kenne ich noch von früher, die haben mir alle gratuliert und gesagt, sie freuen sich auf die Zusammenarbeit.
Was sagen Sie denen, wenn sie fragen: „Was ist denn bei euch in Österreich los?“
Es hat einen Regierungswechsel gegeben, es gibt gewisse Vorwürfe, die aber, davon bin ich überzeugt, restlos aufgeklärt werden. Da habe ich vollstes Vertrauen in den Bundeskanzler, aber auch in Sebastian Kurz. Und die Arbeit geht weiter.
Zuletzt ist Österreich auch dadurch aufgefallen, dass auf dem Bundeskanzleramt die israelische Flagge gehisst wurde. Hätten Sie die auch gehisst?
Ja. Hier geht es um Werte. Um ein klares Zeichen gegen eine terroristische Gruppe, die tausende von Raketen auf Zivilisten und Wohngebiete abschießt. Das war ein klares Signal.
Aber auch eine Irritation für die arabischen Staaten, mit denen Österreich traditionell stets ein gutes Verhältnis gepflegt hat, stimmen Sie mir da zu?
Wir werden uns auch weiterhin um dieses gute Verhältnis bemühen. Und der Terror richtet sich ja auch gegen arabische Bürger.
Apropos Arabische Staaten: Sollte der Westen nicht endlich anerkennen, dass Assad den Krieg gewonnen hat und das Land beim Wiederaufbau unterstützen, so, wie es sogar der Vatikan fordert?
Für mich hat Assad dort nicht gewonnen. Er führt ein grausames Regime, und natürlich wollen wir die Menschen dort bei der Krisenbewältigung unterstützen. Aber das geht nicht mit Alleingängen, sondern eingebunden in die internationale Gemeinschaft. Dort sehe ich mich und nicht auf der anderen Seite.
Werden Sie sich, so wie der neue Bundeskanzler mit Kurz, auch mit Ihrem Vorgänger absprechen?
Absolut. So wie mit allen Regierungsmitgliedern. Das ist in erster Linie der Bundeskanzler, aber auch Karoline Edtstadler, die für Europapolitik zuständig ist.
Ist das ein Wermutstropfen, dass Sie nicht für Europa zuständig sind?
Da gibt es keinen Wermutstropfen. Ich kenne sie seit langem, wir verstehen und sehr gut und werden eng zusammenarbeiten.
Mit Schallenberg als Schattenaußenminister?
Überhaupt nicht. Ich glaube, Schallenberg hat selbst eine Riesenaufgabe. Außenpolitik und Europapolitik sind enorm wichtig, da wird es darum gehen, dass auch ich ihn gut berate und dass wir diese Außenpolitik gemeinsam tragen.
Sie gelten ein wenig als unbeschriebenes Blatt. Können Sie etwas auf dieses Blatt zeichnen, das eng mit Ihrer Person verknüpft ist?
Linhart beginnt, einen Fußball zu zeichnen. - Ich habe schon in der Schule begonnen, Fußball zu spielen. Ich habe in Paris gespielt und habe mir nie nehmen lassen, dass ich der Kapitän der Fußballmannschaft im Außenministerium bin. Sonst hätte ich hier vielleicht kein Leiberl mehr. - Lacht.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Sebastian Kurz?
Absolut vertrauensvoll.
Sind Sie wie Alexander Schallenberg der Ansicht, dass er unschuldig ist?
Ich habe jahrelang mit ihm zusammengearbeitet, ich kenne ihn als einen Menschen, der zu seinem Wort steht und ich bin überzeugt davon, dass er das vollständig aufklären kann.
Waren Sie sehr überrascht, dass er zurückgetreten ist?
Ich habe das aus der Ferne beobachtet. Ich respektiere den Schritt und glaube, dass er die richtige Entscheidung gefällt hat.
Wann haben Sie zuletzt mit ihm telefoniert?
Letzten Montag, nachdem ich dem Kanzler zugesagt hatte. Sebastian Kurz hat mir gratuliert und gemeint, ich wäre auch seine Wahl gewesen.
Halten Sie es für möglich, dass er wieder in die Regierung zurückkehrt?
Ob er zurückkommt, kann heute niemand sagen. Er hat jedenfalls das volle Vertrauen der Partei, er ist vom ÖVP-Klub einstimmig gewählt worden, er ist Parteiobmann. Aber jetzt geht es einmal darum, Ruhe reinzubringen.
Sind Sie schwarz oder türkis?
Ich habe nie viel von dieser Unterscheidung gehalten. Mir ist es in der ÖVP immer um die Sache und um die Werte gegangen. Ich habe für Wolfgang Schüssel genauso wie für Michael Spindelegger oder Sebastian Kurz gearbeitet. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Weder noch, sondern sowohl als auch.
Und was ist das Alemannischste an Ihnen?
Zwei Dinge. Erstens Pünktlichkeit. Ich bin immer gerne eine Spur früher da. Zweitens Selbstdisziplin. Da gehört auch dazu, dass man nicht lange fragt, sondern Dinge einfach macht. So wie diesen Job.
Sie haben in der Vorarlberg-Krone einmal gesagt, dass Sie zu Hause immer an dem Ort sind, wo Sie alle Berggipfel bestiegen haben. Wie sieht es mit den Wiener Hausbergen aus?
Die kenne ich auch sehr gut. Schneeberg, Semmering, Rax. Ich mache dort gerne Skitouren und fahre die herrlichsten Steilrinnen runter. So gesehen wüsste ich nicht, welchen Berg ich noch nicht bestiegen habe. Aber es wird sich sicher einer finden lassen.
Zuletzt war Paris Ihr Zuhause. Was vermissen Sie am meisten?
Das savoir-vivre. Die Salons, die Messen, die Ausstellungen. Und die kleine Brasserie, die bei mir ums Eck war, die „Le Malabar“. Dort gibt es das beste Tatar, dazu trinkt man ein Gläschen Rosè. Das war immer schön. Ich kenne in dem Grätzel jeden, den Bäcker, den Friseur, den Restaurantbesitzer. Aber Wien ist auch wundervoll.
Haben Sie noch Christos Verhüllung gesehen?
Freilich. Alle Phasen. Den Aufbau, die Verhüllung selbst, den Abbau. Das war sehr beeindruckend.
Alexander Schallenberg hat im Interview auf die Frage, mit welcher historischen Persönlichkeit er gerne einen Abend verbringen würde, mit Cicero geantwortet. Wer wäre das bei Ihnen?
Ich würde da eher in die jüngere österreichische Geschichte gehen. Für mich war Leopold Figl, für den mein Vater noch gearbeitet hat, eine faszinierende Persönlichkeit, die für Österreich Enormes geleistet hat. Ich würde mit ihm ins Bundeskanzleramt rübergehen und mir von ihm erzählen lassen, wie er die Geburt der Zweiten Republik erlebt hat.
Geboren am 31. August 1958 als Sohn eines Diplomaten in Ankara. Nach dem Jus-Studium tritt Linhart 1986 in den diplomatischen Dienst ein. Ab 1995 arbeitet er im Kabinett Schüssel, ab 2000 als Botschafter in Damaskus. 2003 wird er Chef der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit im Außenamt, danach ist er Botschafter in Athen. Ende 2013 avanciert er zum Generalsekretär und somit wichtigsten Beamten im Außenministerium. Zuletzt war Linhart Botschafter in Paris. Verheiratet seit 1989 mit der Mittelschulprofessorin Silvia, das Paar hat einen Sohn (32) und zwei Töchter (30, 28). Einer seiner Brüder war bis 2020 Bürgermeister von Bregenz. Linhart liebt Fußball, Bergsteigen und spielt Orgel.
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