Mit seiner Mischung aus Indie-Gitarren, atmosphärischer Elektronik, Sample-Techniken und unheilvoller Melancholie hat sich der gebürtige Burgenländer Christian Fennesz zu einem respektierten und international bekannten Elektronik-Musiker hochgearbeitet. Auch wenn er seine größten Erfolge im Ausland feiert, kehrt der 58-Jährige immer wieder gerne in die Heimat zurück - so wie nun, wenn auch nicht leibhaftig, zur aktuellen Ausgabe des „Wien Modern“ im Konzerthaus. Auf seinem letzten Album „Agora“ hat er Einsamkeit der Coronapandemie fast prophetisch vorweggenommen.
Dass die österreichische Elektronik-Größe Christian Fennesz mit ihrem letzten Album „Agora“ derart frappant den gängigen Zeitgeist erwischt, hätte sie zur Zeit der Entstehung wohl nicht gedacht. Das letzte Studioalbum des oftmals zwischen Wien und Paris pendelten, mittlerweile aber hauptsächlich in Österreich ansässigen Vollblutmusikers erschien 2019 und besteht aus vier überlangen Tracks, die albtraumhafte Klangsphären mit hoffnungsfrohen verzerrten Gitarren und Sample-Techniken verbindet. Ein bisschen so, als würde vertonter Zen-Buddhismus auf die Urwüchsigkeit des Drone treffen, nur ohne einen gleich ins Volume-Nirwana zu bugsieren. „Agora“ nahm Fennesz gezwungenermaßen im Schlafzimmer unter Kopfhörern auf - ein semifreiwilliger Minimalismus, der durchaus ausladende Klangentstehungsweisen der Vergangenheit kräftig konterkarierte.
Gesellschaftlicher Marktplatz
„Ich bin ein großer Bewunderer von Vangelis, Spacemen 3 und den französischen Filmen aus den 70er-Jahren“, erzählte uns der Künstler damals im „Krone“-Gespräch, „all das wollte ich in meinen eigenen Sound einfließen lassen.“ Agora war im antiken Griechenland der zentrale Marktplatz einer Stadt. Ein Handels- und Treffplatz für Menschen aller Art. Fennesz verfolgte den losen Ansatz, diese antike Zugangsweise mit den sozialen Netzwerken, den Marktplätzen der Moderne, in Relation zu setzen. „Wo Agora, da auch eine Agoraphobie. Menschen, die sich mit der sich schnell drehenden heutigen Welt einfach nicht mehr mitverändern wollen. Ich war viel in Japan und dort kannst du dir genau anschauen, wie die Menschen in Isolation verfallen. Rein physisch in den kleinen Wohnungen, aber auch virtuell.“ Der Gedanke an Isolation diente Fennesz als Triebfeder für sein erstes Werk seit dem gefeierten „Bécs“ aus 2014 - dass er damit lose und prophetisch die Thematik des Coronavirus vorwegnehmen würde, macht das Werk in der Rückschau nur noch interessanter.
Das Arbeiten mit Kopfhörern hat den 58-Jährigen nachhaltig beschäftigt, denn eine Fortsetzung gibt es noch bis 3. November im Wiener Konzerthaus im Zuge des „Wien Modern“-Festivals zu bestaunen. Mit seiner Neukomposition Area kreiert er raumspezifische und dreidimensionale Soundareale, die vom Publikum durch ein interaktives Kopfhörersystem individuell beeinflusst und erkundet werden können. Die in Wien entwickelte Audio-Technologie „NOUS Sonic“ ermöglicht dem Hörer durch präzise Erfassung von Position, Bewegung oder Blickrichtung ein immersives Hör- und Raumerlebnis. Im Großen Foyer des Wiener Konzerthaus ist die einzigartige Installation noch bis 3. November täglich von 14 bis 19 Uhr begehbar. Eine weitere wohl essenzielle Klangerfahrung aus dem reichhaltigen Oeuvre des kultigen Künstlers, dem in seiner österreichischen Heimat nie so ganz die Ehre zuteilwurde, die man ihm international seit 20 Jahren attestiert.
Nicht selbstverständlich
Genau dort gelang ihm mit seinem zweiten Album „Endless Summer“ auf dem Wiener Album Mego der Durchbruch. Es folgten Kooperationen mit unterschiedlichsten Künstlern wie Keith Rowe, Ryuichi Sakamoto, Sparklehorse, Stefan Goldmann, Jim O’Rourke, King Midas Sound, Peter Rehberg (R.I.P.) oder Faith-No-More-Exzentriker Mike Patton. Fennesz hat seine musikalische Heimat zwischen Tokio, London, Paris und Berlin gefunden - und wagt immer wieder sehr erfolgreiche Abstecher nach Wien, die zwischen Wiener Festwochen oder Baustellenkonzerte changieren. „Ich habe das eigentlich immer als ganz angenehm empfunden“, erzählt er auf Rückfrage, ob er enttäuscht darüber sei, dass der Prophet im eigenen Land einmal mehr wenig zählt, „Österreich ist eben ein kleines Land und mit einer Musik wie meiner dringst du da schwer durch. Es war leichter woanders anzudocken, aber mich freut es, dass ich immer wieder zu Festivals eingeladen werde. Das ist alles andere als selbstverständlich.“
Ob Fennesz vor ein paar Begeisterten spielt oder vor 50.000 Leuten wie einst beim japanischen Fuji Festival ist ihm prinzipiell egal. „Vor einer so großen anonymen Masse zu spielen ist vielleicht sogar leichter, aber es geht dabei auch einiges verloren.“ In Fennesz‘ Klangwelt muss man eintauchen können. Auch wenn seine Kompositionen manchmal breit und ausladend wirken, ist doch die zarte Intimität der kleinste gemeinsame Nenner, der sich durch seine mittlerweile mehr als 25 Jahre Elektronik-Karriere zieht. Sein Handwerk lernte er zwar Anfang der 90er in der Indie-Band Maische, aber die Faszination für Laptops und Soundprogramme hat beim Wiener schon überhandgenommen, als der gemeine Österreicher mit dem „Blechtrottel“ noch auf schwerem Kriegsfuß stand. Als Person ist er zudem dezidiert politisch, in der Kunst bewusst nicht. „Ich will mit meiner Musik niemandem vor den Kopf stoßen. Ich bin auch kein guter Redner, das können andere besser. Ich weiß nach all den Jahren genau, worin ich gut bin und worin nicht. Und daran halte ich mich auch.“
Zwischen Merzbow und Freejazz
Seine weitläufigen Klangwelten entstehen aus seinem breiten Musikgeschmack. „Ich habe viel Klassik und Jazz gehört. Natürlich auch Elektronisches, Hardcore-Punk und Synthie-Pop aus den 80ern. Ich kann genauso Merzbow- und Freejazz-Fan sein. Für mich widerspricht sich das nicht.“ Als allergrößtes Idol kann wohl Beach-Boys-Mastermind Brian Wilson genannt werden, dessen „Don’t Talk (Put My Hand On Your Shoulder)“ er auch schon einmal coverte. „Die ,Pet Sounds‘ war die vielleicht revolutionärste Platte der Musikgeschichte.“ Sein Handwerk hat Fennesz einst ganz klassisch gelernt - in dem er auf Hochzeiten spielte. „Das volle Programm“, lacht er, „die ganze Nacht durch und dazwischen ein Schnitzerl. Es war unheimlich anstrengend, aber ich würde diese Zeit nicht missen wollen.“ Neben Auftragsarbeiten und Filmmusiken wird Christian Fennesz auch sicher wieder eine neue Platte kreieren. Stress macht er sich dabei wie üblich keinen.
Weitere Infos finden Sie unter www.wienmodern.at (inkl. dem gesamten Festivalprogramm) oder unter www.fennesz.com.
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