Vier Jahre voller privater Umwälzungen, beruflicher Nachdenkphasen und Lebensreflektionen sind seit Ed Sheerans letztem Album und dem neuen Werk „Equals“ vergangen. Auf seinem vierten Album versucht der derzeit größte Popstar der Welt den Spagat zwischen emotionalen Balladen und tanzbaren 80s-Hits zu schaffen. Eine Grätsche, die mehr stilistischen Zwischenraum vertragen hätte.
Es ist eine sich durch alle Zeiten ziehende Ironie der Geschichte, dass sich die am meisten gefeierten und populärsten Superstars zuweilen am einsamsten fühlen. Als Ed Sheeran am 26. August 2019 im Chantry Park seiner Heimat Ipswich den letzten Akkord seiner zwei Jahre dauernden Tour zum Album „Divide“ erklingen ließ, erfüllte ihn eine unheimliche Leere, die er monatelang nicht loswurde. Dem renommierten Magazin „GQ“ diktierte er Anfang dieses Jahres, dass dieser Auftritt die Spitze des Eisberges gewesen wäre. „Ich dachte, von dort an würde alles nur mehr bergab gehen.“ Monatelang rührte Sheeran seine Gitarre noch nicht einmal an, dafür ehelichte der Millionenseller seine Langzeitfreundin Cherry Seaborn und wurde inmitten der Pandemie stolzer Vater seiner Tochter Lyra. Für den 30-Jährigen waren die letzten Jahre eine Zäsur in privater und beruflicher Hinsicht. Nichts blieb so wie es war, alles unterzog sich einem steten Wandel.
Quarantäne-Reflektion
Doch irgendwann während der kreativen Tief- und privaten Hochphase, wo Sheeran es sich in seinem Südlondoner Landsitz gemütlich machte und sich im gedigenen Frühpensionistenleben mit Curry und Burger auf bis zu 100 Kilogramm anfutterte, kam ihm die große Erleuchtung. Sollte seine Tochter ihren Vater beim Aufwachsen nicht als jemanden mit Arbeitsethos erleben? Als eine Person, die Freude und Leidenschaft in seinem Tun verspürt und die Tage nicht einfach nur mehr an sich vorbeiziehen lässt? Das war der Startschuss zu einer Art Comeback, dass man aufgrund der Pandemiewirren gar nicht als solches bezeichnen kann. Denn die Weltlage an sich hat uns gelehrt, dass es im Leben Wichtigeres gibt, als die Jahre zu zählen, in denen Künstler wie Sheeran inaktiv sind. Ähnlich wie Coldplay und Helene Fischer sind auch bei Sheeran ganze vier Jahre seit dem letzten Album ins Land gezogen und ähnlich wie bei den zuvor genannten, schafft es auch der rot melierte Superstar nicht, qualitativ an seine Glanzzeiten anzuknüpfen.
Sheeran hat für „=“, also „Equals“, den im Februar gefeierten 30er genutzt, um eine altersgemäß verständliche Lebensbilanz zu ziehen. Wenn der sympathische Superstar also von seinem bisher persönlichsten Album spricht, dann trifft das auch genau so zu. Deutlich merkbar etwa in der Nostalgie-Ballade „First Times“, wo er melancholisch über die fast schon erdrückend-schöne Last sinniert, als er das erste Mal vor 80.000 Menschen in Wembley aufgetreten ist und von dort aus diverse schöne und weniger schöne erste Kontakte mit Lebenssituationen reflektiert. Sheeran spielt einmal mehr genial auf der Klaviatur des größten Mainstream-Popstars der Gegenwart. Er changiert zwischen Bronski-Beat-80er-Gestus und The-Weeknd-Hittauglichkeit in der Single „Bad Habits“, gebärt in „Shivers“ eine zeitgemäße Version seines Megahits „Shape Of You“ und schrammelt im Opener „Tides“ eine fast schon 90er-Britpop-lastige Gitarre, die freilich wenig Dreck unter den Nägeln hat.
Immer schön zugänglich
Der Brite folgt den gängigen Trends der Mainstream-Musikindustrie, ohne einen künstlerischen Genickbruch wie Coldplay zu erleiden. Wo seine Landsmänner sich einfach plump und geistesverwirrt an eine Generation anbiedern wollen, die mit derart alten Männern in den Playlisten ohnehin nichts anfangen kann, bleibt Sheeran der nette Schulbub von nebenan. Er stellt seine Klimaliebe nicht über die Musik, kann nicht mit privaten Liebesskandalen aufwarten und feiert im Suff lieber friedlich und exaltiert mit seinen Freunden und Bekannten, als dass er Bars zertrümmert oder Saisonkellnerinnen aufs Aprés-Ski-Klo entführt. Selbst wenn er in „Collide“ die Schönheit von Flugzeugsex besingt, ist das nicht verwerflich, denn wie das Gros der Songs auf dem Album huldigt er damit nur seiner Cherry und nicht einer koksummantelten Triebsteuerung mit einer unbekannten Stewardess. Sheeran schafft es, selbst leicht pikant wirkende Texte so lieblich und familientauglich zu vermitteln, dass er auch auf „Equals“ niemals Gefahr läuft, sich auch nur im Ansatz von einer Zielgruppe zu entfernen.
Die Nähe zu den 80ern ist auf „Equals“ mehrfach ausgeprägt. Vor allem das wirklich gelungene „Overpass Graffiti“, das mit Synthie-Drums und leicht düsterer The-Cure-Nähe überzeugt, zeigt, dass dem 30-Jährigen die Dancefloor-Disco mindestens gleich gut zu Gesicht steht wie das Holzfällerhemd im Singer/Songwriter-Bereich. Ein Talent, das Sheeran auf „Equals“ tatsächlich das erste Mal derart deutlich ins Zentrum stellt. Mit der Piano-Ballade „The Joker And The Queen“ wagt er sich in verletzlich-ruhige Gefilde, die er stimmlich gerade noch erreicht. Stichwort Stimme - wenn man dem hitlastigen „Equals“ eine offensichtliche Schwäche attestieren kann, dann deren Gleichförmigkeit. Völlig egal, ob Sheeran die Stroboskop-Lichter einschaltet, zum ruhigen Tanz bittet oder sich noch selten in seine Folk-Ursprünge zurückversetzt, die Nuancierungen seiner Singstimme bleiben fast gänzlich ungenützt. Das Wunder der Geburt, seine undurchdringbare Liebe zur Familie und das gereifte Selbst, das in diesem Leben irgendwo einen Platz zwischen vollgefüllten Stadien und ruhigen Abenden vor dem heimatlichen Herbstkamin finden muss, sind zentrale Themen, die offensichtlich mit den Quarterlife-Problemen eines bodenständig wirkenden Extraterrestrischen spielen.
„Equals“ beginnt mit den Worten „I have grown up/ I am a father now/ Everything has changed/ But I am still the same somehow.“ Damit nimmt Sheeran schon eingangs vorweg, dass die letzten Jahre vor und während der Pandemie und erzwungenen Isolation vor allem jene des Reifens und Nachdenkens waren. Das ist mitunter auch der Grund, warum das Viertwerk trotz vieler offensichtlicher Discopophits von einer Schwere und Melancholie durchzogen ist, die man bei seinem Post-Teenager-Alter-Ego in den letzten zehn Jahren so noch nicht herausfiltern konnte. Das seiner Tochter gewidmete „Sandman“ ist, bei aller Liebe, derart offensichtlich kitschig, dass es ein ähnlicher Bauchfleck ist wie einst Liam Gallaghers 2000er Oasis-Beitrag „Little James“ - gut gemeint, aber schlecht umgesetzt. Sheerans klangliche und emotionale Achterbahnfahrt auf „Equals“ ist die perfekt kalkulierte eines Weltstars, der sich aber viel zu selten aus seinem Kokon heraustraut, um wirklich für ein Meisterwerk zu sorgen. So bleibt unterm Strich, dass sich die Zahl der bislang rund 150 Millionen verkauften Alben zwar gewaltig steigern wird, aber künstlerisch bleibt Ed doch unter den hohen Erwartungen, die vier Jahre Wartezeit so mit sich bringen. 80er-Disco oder Ballade - it’s your choice. Für viel mehr ist auf „Equals“ nicht Platz.
Zwei „Krone“-Konzerte in Wien
Am 1. und 2. September spielt Ed Sheeran zwei „Krone“-Konzerte im Wiener Ernst-Happel-Stadion. Alle weiteren Infos und Karten für die Megashows mit allen Hits finden Sie unter www.oeticket.com.
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