Angehörige gedenken rund um den Jahrestag des Attentats von Wien am 2. November 2020 ihrer Verstorbenen ganz besonders. Bei den Helden von damals kommen nachts die Albträume zurück.
Eine Kunststudentin, ein junger Handwerker, ein fleißiger und höchst angesehener Chinalokal-Besitzer und eine weitere Frau starben im Kugelhagel in der Wiener City vor ziemlich genau einem Jahr. So unterschiedlich die Lebensgeschichten der Opfer auch sind, so ähnlich ist ihr Schicksal. Sie arbeiteten, waren auf dem Weg nach Hause, wollten noch einen schönen Abend vor dem landesweiten Lockdown genießen. Und auf einmal eröffnete ein bewaffneter Dschihadist das Feuer
„Warum?“, das ist die Frage, auf die die Angehörigen bis heute keine Antwort haben. Sie gedenken ihrer lieben Verstorbenen rund um den Jahrestag und das Allerheiligenfest ganz besonders. Die Zeit heilt alle Wunden, sagt ein Sprichwort. Alle? Nein. Aber als Trost bleiben die Erinnerung und die Gewissheit, dass der Schmerz mit den vorüberziehenden Jahren nachlässt. Auch jene Passanten und Zeugen, die damals nicht wegsahen, sondern Zivilcourage zeigten und halfen, werden jetzt von den Bildern wieder eingeholt. Blaulicht, überall Blut.
Osama Abu El Hosna, ein junger Flüchtling aus Gaza, hat in der Terrornacht zum Beispiel einem Polizisten das Leben gerettet. Ein berührendes Video mit weißen Rosen ging damals um die Welt. Jetzt wird es auf YouTube wieder abgerufen.
„Ich muss nach vorne schauen“
Waldemar S. hatte im Wiener Bermudadreieck Dienst, als die Schüsse fielen. Er brachte sofort alle Gäste im „Philosoph“ in den Keller. Ganz egal, ob bei Stammgästen oder Touristen, der Anschlag hat sich in die Köpfe eingebrannt. Vor dem Jahrestag belagern Medien das Lokal im Wiener Bermudadreieck. Es ist eines der wenigen, das dieser Tage offen hat - viele Gastronomen haben aus Trauer und Solidarität geschlossen. Durch die Nähe zu den Gästen kennt Waldemar S. auch deren Leidensweg: „Versicherung, Reha. Keiner wollte zahlen“, so der 30-Jährige.
Mehrere Gäste wurden angeschossen, einer davon schwer verletzt. „Richtige Opferhilfe“ leisteten laut dem Kellner aber nur wohltätige Organisationen. Auch seelische Wunden belasten seit dem Abend sehr. Ein Bekannter von Waldemar wurde von dem Terroristen fast angeschossen. „Bis jetzt fällt es ihm schwer, in die Bar zu kommen.“ Waldemars Philosophie ist es, nach vorne zu schauen: „Wir versuchen ein positives Lebensgefühl zu vermitteln. Uns gegenseitig zu unterstützen ist für uns selbstverständlich.“
In seinen Augen fehlt ein nachhaltiges Sicherheitskonzept - das sei auch am Abend schon so gewesen. „Eine richtige Veränderung spüren wir bis jetzt nicht. Die Lokale sind wieder voll, und es ist keine Polizei hier. Mitten am Schwedenplatz kann es immer zu Eskalationen kommen, und ein bisschen Präsenz am Abend würde nicht schaden.“
„Geld macht Sohn nicht lebendig“
Die Eltern des mit einem Herzschuss getöteten Nedzip V. (21) sind ein Jahr nach dem Drama noch immer am Boden zerstört. „Sie fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen, weil man sich bis heute so gut wie gar nicht um sie gekümmert hat“, bringt deren Anwalt Mathias Burger die Verzweiflung und den Ärger der beiden auf den Punkt. „Niemand hat dafür gesorgt, dass diese Angehörigen eine professionelle Hilfe durch Psychiater oder Psychologen bekommen haben“, prangert der Cousin der Mutter die Politik an. Das sei auch der Grund, weshalb das Ehepaar sowie der Bruder des Mordopfers gleichsam in ein tiefes Loch gefallen seien.
„Nedzips Mama ist seelisch gestrandet. Zudem wurde ihr Mann, ein bis dahin überaus verlässlicher Installateur, gekündigt, da er mittlerweile ebenso wie Nedzips jüngerer Bruder an Konzentrationsschwäche leidet“, sagt der Verwandte, weshalb diese drei Angehörigen am Jahrestag des Terrors auch mit niemandem sprechen wollten. Die gebürtigen Mazedonier haben sich in ihrer Wohnung in Korneuburg (NÖ) gleichsam von der Außenwelt abgekapselt.
Bislang haben sie vom Weißen Ring 1500 Euro erhalten. Wobei es den Eltern keinesfalls um das Schmerzensgeld gehe, „denn das macht unseren Sohn auch nicht mehr lebendig“. Offenbar erhofften sie sich mehr Unterstützung von der Republik, vor allem auf beratender und helfender Seite. Und ein bisschen verärgert sind Vater und Mutter auch deshalb, weil sie den Gedenkstein am Tatort im Herzen Wiens als zu banal empfinden: „Nicht einmal die Namen der Opfer sind eingraviert!“
Er fehlt jeden Tag
Familienvater Chen Zhi B. betrieb am Franz-Josefs-Kai ein beliebtes Asialokal. Der Attentäter stürmte in das Restaurant und erschoss den 47-Jährigen im Lokal, ehe er kurze Zeit später von der Polizei ausgeschaltet werden konnte. Auch ein Jahr nach der Tragödie vergeht kein Tag, an dem die Angehörigen in Wien und fern der Heimat in China nicht an Chen denken. Auch die Angehörigen der chinesischen Gemeinde in Österreich versuchen Trost zu spenden und denken jetzt ganz besonders an ihren verstorbenen Freund.
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