Der renommierte Psychiater, Psychotherapeut und Sachbuchautor Reinhard Haller ist auch als forensisch-psychiatrischer Gerichtsgutachter beschäftigt. Im „Krone“-Interview bekräftigt er seine Überzeugung, bereits im Vorfeld mögliche Gewalttäter aus dem Verkehr zu ziehen. Das soll in der Gedankenwelt junger Köpfe bereits in den Schulen von Vorarlberg bis Burgenland im Rahmen eines neuen Schulfaches verwurzelt werden.
„Krone:“ Herr Professor Haller, Sie fordern bei häuslicher Gewalt mehr Prävention für potenzielle Täter. Wie soll das aussehen?
Reinhard Haller: Die grundsätzliche Voraussetzung bei diesem Thema ist, dass häusliche Gewalt im öffentlichen Diskurs mehr und mehr enttabuisiert werden muss. Es darf nicht sein, dass nur hinter vorgehaltener Hand darüber gesprochen wird. Und man muss bei denen ansetzen, die die Gewalt ausüben.
Wie kann das Thema konkret in die Köpfe der Menschen gelangen?
Ich denke sofort daran, es bereits in der Schule bei den Kindern zum Thema zu machen. So wie Anti-Drogen-Unterricht soll auch ein Emotionsunterricht stattfinden.
Auf welche inhaltlichen Schwerpunkte soll dabei gesetzt werden?
Zu aller Anfang gilt es, das klassische und längst überholte Männerbild in die Jetztzeit zu transferieren. Das bedeutet, dass es völlig legitim ist, dass auch Männer weinen dürfen, wenn sie traurig sind zum Beispiel. Es soll auch klar sein, dass auch Männer über ihre Gefühle sprechen dürfen. Und dass die alte Volksweisheit „einen gestandenen Mann bringt das nicht aus der Ruhe“ nicht mehr gilt.
Wie beurteilen sie die aktuellen Maßnahmen gegen Gewalttäter in der Familie?
Das sechsstündige Anti-Aggressions-Training ist auf jeden Fall der richtige Ansatz. Doch wichtig ist es auch in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass eine Anzeige wegen häusliche Gewalt nicht mehr zurückgezogen werden kann. Und auch der oftmals zu hörende Satz „Wir können erst etwas machen bzw. eingreifen, wenn etwas passiert ist“ muss aus den Köpfen verschwinden.
Der Umgang mit Emotionen und Aggressivität als Thema muss auch in der gesellschaftlichen Mitte ankommen und nicht am Rande behandelt werden.
Reinhard Haller
Was fehlt noch in der Prävention?
Der Umgang mit Emotionen und Aggressivität als Thema muss auch in der gesellschaftlichen Mitte ankommen und nicht am Rande behandelt werden. Zudem muss man zwischen Affekttätern und Ankündigungstätern unterscheiden.
Wie?
Schwer im Vorfeld zu behandeln sind die Affekttäter. Denn diese verhalten sich unauffällig, sind wie graue Mäuse, die lange alles hineinfressen und irgendwann kommt das Ganze zum Durchbruch. Bei Ankündigungs-Täter hingegen könnten Präventionsmaßnahmen wirken. Das sind diese, die Taten ankündigen in vorhergehenden Streiten mit Worten wie „Irgendwann reicht es mir und ich bringe dich und uns um“. Ich gebe zu bedenken, dass in acht von zehn Fällen ein Frauenmord bereits angekündigt war. Gut funktioniert die tertiäre Prävention dann bei bereits Verurteilten, die im justiziellen Bereich im Rahmen von Therapien angebunden sind, kann ich aus meiner Erfahrung sagen. Die primäre Prävention ist eben das Enttabuisieren und etwaiger Schulunterricht, die Sekundäre das Anti-Aggressions-Training.
Was ist Ihnen in diesem Zusammenhang noch wichtig?
Es kann nicht sein, dass nach jedem Frauenmord, die essenziellen Einrichtungen der Frauenhäuser um ihre Existenz kämpfen müssen und auf ihre prekäre finanzielle Situation aufmerksam machen. Solche Einrichtungen müssen fester Bestandteil unserer Gesellschaft sein.
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