Filzmaier fragt nach

„Politiker handeln zu spät und schauen dann groß“

Politik
14.11.2021 10:00

Explodierende Infektionszahlen, überfüllte Krankenhäuser und immer mehr Tote. Die Pandemie hat uns fest im Griff. Warum nur, warum? Welche Fehler wurden gemacht? Was nun? In unserer „Krone“-Serie spricht Politikwissenschafter Peter Filzmaier mit dem Top-Infektiologen Florian Thalhammer über Versäumnisse und Zukunft der Corona-Politik.

Peter Filzmaier: Es gibt nun Lockdowns für Ungeimpfte in Oberösterreich und Salzburg sowie wahrscheinlich bundesweit. Sogar ein neuerlicher Lockdown auch für Geimpfte ist nicht ausgeschlossen. Hätten wir da aus Ihrer Sicht eines Epidemiearztes nicht viel früher wieder Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen und so weiter machen müssen? Überall und für alle? 
Florian Thalhammer: Ich darf die deutsche Zeitschrift „Spiegel“ zitieren: „Die Politik handelt nicht vorausschauend, sie reagiert bestenfalls hektisch. So lässt sich diese Krise nicht bekämpfen.“ Wir hätten uns schon im Spätsommer in Bewegung setzen müssen.

Das haben Sie bereits in unserem damaligen Gespräch gesagt, während man seitens der Bundesregierung die eigene Erzählung vom schönen Sommer und einer angeblich erfolgreichen Bekämpfung der Pandemie fortgesetzt hat. Vergangenen Sonntag haben Sie zusätzlich betont, dass man auch bei Medikamenten und Behandlungen viel vorausschauender hätte handeln können. Was hat es damit auf sich?
Die Europäische Zulassungsbehörde EMA hat diese Woche zwei monoklonale Antikörper als Infusion für die frühzeitige Behandlung von Corona-Infektionen zugelassen. Statt nun groß einzukaufen, diskutiert man seitens der österreichischen Politik lieber, wer das bezahlt. Obwohl ein Lockdown viel teurer ist.

Dabei wären ja bessere Therapien eine Riesenchance für die Bundesregierung, die sonst in ihrer Kommunikation mit dem Rücken zur Wand steht. Entweder muss man womöglich einen Lockdown für alle einschließlich der Geimpften oder Impfpflicht beschließen. Dann steht die Regierung als wortbrüchig da, weil beides ja ausgeschlossen wurde. Oder es wird mit halbherzigen Maßnahmen zugewartet, wodurch mehr Kranke und Tote in Kauf genommen werden. Wären Medikamente in Verbindung mit weniger strengen Maßnahmen wirklich eine dritte Möglichkeit?
Ja! Wenn die EMA ihren Schwung beibehält, könnten wir vielleicht heuer noch eine orale Therapie – also Tabletten zur Einnahme mit dem Mund – haben. Und unsere Politiker? Machen zu lange nichts und schauen dann groß, wenn es nicht ausreichend Ware gibt. Oder beginnen immer zu spät nachzudenken, wie die Logistik für die Verteilung sein könnte.

Nur müssen wir dafür zunächst die kommenden Wochen überstehen, und da ist infolge vieler Versäumnisse ein Lockdown wohl alternativlos.
Leider. Aufgrund zu später Entscheidungen und unzureichender Kommunikation – Ihr Metier – müssen wir jetzt Kontaktbeschränkungen und flächendeckend FFP2-Masken haben, was mangelhaft kontrolliert wird. Genauso müssen wir wegen der Versäumnisse ernsthaft eine Impfpflicht in Erwägung ziehen.

War unsere bisherige Ablehnung einer Impfpflicht falsch, weil wir uns zu sehr auf die politische, mediale und medizinische Überzeugungskraft verlassen haben?
Offensichtlich. Die Impfpflicht wird wohl kommen müssen. Zuerst im Gesundheitsbereich, dann in Risikobereichen wie bei der Energieversorgung. Und schlussendlich für fast alle, die aus medizinischer Sicht geimpft werden können. Aber Achtung: Fake-Bestätigungen, warum man nicht geimpft werden kann, müssen sofort und nachhaltig verhindert werden. Bitte kein Fiasko wie bei den Masken.

Wir sind uns sicher einig, dass sich als Sofortmaßnahme trotzdem möglichst viele in Österreich lebende Menschen freiwillig erst-, zweit- und drittimpfen lassen sollen. Es tut mir leid, aber ich möchte ausnahmsweise einen vertraulichen Teil unserer Gespräche ausplaudern. Sie haben mir schon vor einiger Zeit empfohlen, mich um eine frühere Drittimpfung als erst nach den offiziell empfohlenen sechs oder ursprünglich neun Monaten zu bemühen …
Nur die Stadt Wien hat den Ernst der Lage erkannt und ermöglicht jetzt ALLEN den dritten Stich schon vier Monate nach dem zweiten. Richtig so!

Ich frage stellvertretend für viele Mitmenschen: Ich bin vollständig geimpft, habe ein Kind mit vielen Freunden und einen Beruf, der mich häufig mit anderen Personen in Kontakt bringt. 2G würde mich ja an sich im Alltag wenig einschränken. Wie verhalte ich mich aber abgesehen von den formalen Regeln verantwortungsvoll? 
Maske, Abstand, die Kontakte beschränken und richtig auswählen. Leider.

Derzeit muss ich als Geimpfter nicht in Quarantäne, wenn ich Kontakt mit Infizierten gehabt habe. Zugleich kann ich, obwohl für einen geringeren Zeitraum, trotz Impfung das Virus übertragen. Ist es da nicht gefährlich, mich nicht zu isolieren? 
Wenn Sie als Geimpfter symptomatisch sind, schicke ich Sie sofort in Quarantäne! So oder so gehen Sie mir am Tag 0 einer Kontaktmeldung mit Infizierten und am Tag fünf zum PCR-Test, tragen außer Haus IMMER eine FFP2-Maske und erfreuen sich nicht der Annehmlichkeiten des Lebens durch ein gutes Essen mit Freunden bei der Wirtin ums Eck. Das geht mit Maske nämlich nicht. Wenn Sie Glück haben, ergattern Sie eine Packung Molnupiravir - auch davon haben wir zu wenig eingekauft - und scheiden ab dem vierten Tag kein ansteckendes Virus mehr aus. Erst dann dürften Sie sich wieder relativ frei bewegen.

Ihr Kollege Andreas Bergthaler von der Akademie der Wissenschaften befürchtet, dass die Politik weiterhin zu wenig vorausdenkt. Er meint, dass bereits jetzt eine Strategie für 2022 überlegt werden müsste, wenn es neue Virusvarianten gibt. Stehen wir nach der vierten Welle womöglich im kommenden Jahr genauso schlecht vorbereitet da, weil keiner gewusst haben will, dass Mutationen wahrscheinlich sind und deren Bekämpfung mit angepassten Impfstoffen Zeit dauert?
Ja, das ist anzunehmen. Haben wir 2022 Nationalratswahlen? Ihre Prognose? Meine lautet, wir werden nicht ausreichend planen, und stattdessen Wahlgeschenke verteilen. Das bedeutet, wir müssen in Zukunft um viel mehr Geld neue Intensivstationen bauen anstatt vorzubeugen und zu verhindern, dass noch mehr Menschen ein Intensivbett brauchen.

Zur Person

  • Florian Thalhammer ist Infektiologe an der Medizinischen Universität Wien, Stellvertretender Ärztlicher Direktor und Epidemiearzt am Universitätsklinikum Allgemeines Krankenhaus (AKH) sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (ÖGIT).
  • Peter Filzmaier ist Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und der Karl-Franzens-Universität Graz sowie Leiter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) in Wien.
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