Soziologin Barbara Rothmüller über die Angst vor der Rückkehr in einen Lockdown.
Der letzte Lockdown sitzt einigen Menschen noch an den Hüften und in den Knochen. Viele alleinlebende Singles erinnern sich mit großen Ängsten an den Lockdown-Winter 2020, der nur kurz dauern sollte - und dann doch unendlich lange allein verbracht werden musste. Auch für Eltern war der Lockdown teilweise schrecklich, weil ihre Zeit umgekehrt oft so übervoll war, dass sie kaum mehr wussten, wie sie durchhalten sollen. An Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat die unsichere Pandemiesituation nachhaltige Spuren hinterlassen. Menschen haben Familienmitglieder und Freunde verloren, haben Ängste, Verluste und Trauer durchlebt und gerade erst wieder begonnen, ihr soziales Leben aufzunehmen. Die psychosozialen Folgen der Pandemie für intime Beziehungen sind komplex - und wir wissen noch viel zu wenig darüber.
Vorerst müssen nur jene ihre sozialen Kontakte auf das Nötigste beschränken, die sich wider aller medizinischen Expertise noch immer nicht zu einer Impfung durchringen können. Aber die Ängste vor der Rückkehr zu einem Lockdown für alle steigen, seit Gesundheitsminister Mückstein nächtliche Ausgangsbeschränkungen in den Raum gestellt hat. Back-to-lockdown anxiety sozusagen.
Angesichts der aktuellen Pandemieentwicklung ist es mehr als anmaßend, wenn sich Nicht-Experten über die eigenen Eingebungen zur Pandemie in Rage reden und selbst überhöhen. Dass in Österreich die Wissenschafts-Feindlichkeit so stark ist, ist bitter, aber wenig überraschend. Sie hat in diesem Land eine lange Geschichte. Offenbar fehlen vielen Menschen die notwendigen Fähigkeiten, um wissenschaftliches Wissen von Glauben, Intuitionen, Befürchtungen, Verschwörungen und anderen, nicht gesicherten Meinungen über die Welt zu unterscheiden. Mittlerweile hat die mangelnde Orientierung am besten Argument und am Gemeinwohl in eine Situation geführt, in der Teile der Bevölkerung medizinisch exponiert sind, wie das medial immer und immer wieder wiederholt worden und erklärt worden und diskutiert worden ist. Aber das ist nicht unser einziges Problem.
Bei einem erneut notwendigen Lockdown bauen sich auch wieder psychosoziale Drohszenarien auf. Sie werden nur nicht mit derselben Detailliertheit berechnet und bekämpft wie die Infektionszahlen und die wirtschaftlichen Ausfälle. Es geht bei den psychosozialen Konsequenzen der Pandemie nicht um Folgekosten. Sondern es geht um psychische und soziale Aspekte des Menschseins, die man mit Geld nicht kaufen kann. Solidarität in der Bekämpfung der Pandemie sollte sich nicht nur auf die Impfung beziehen. Es braucht auch eine psychosoziale Versorgung vulnerabler Gruppen. Und damit die strukturelle Entlastung jener Menschen, die seit eineinhalb Jahren mit ihrer Fürsorge in der Familie, im Freundeskreis und im Job die Pandemiegesellschaft zusammenhalten.
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