Harter Lockdown?

Mikrobiologe: „Kein Spielraum für Experimente“

Österreich
17.11.2021 06:54

Zahlreiche Experten befürchten, dass die zuletzt verschärften Corona-Maßnahmen (2G und Lockdown für Ungeimpfte) aufgrund der Infektionsdynamik bereits zu spät erlassen worden sind. Am Wochenende haben 33 Experten Maßnahmen vorgelegt, gebetsmühlenartig wiederholen sie und andere: Kontakte reduzieren (Homeoffice), Virusverbreitung eindämmen (FFP2-Pflicht), Infizierte schneller erkennen (PCR-Tests) und verhindern, dass sie andere Menschen anstecken (2Gplus). Auch ein kurzer harter Lockdown wird von so manchem ins Spiel gebracht. Ohne einen solchen „wird es vermutlich nicht gehen“, betont auch der Wiener Mikrobiologe Michael Wagner.

„Wir haben eigentlich gar keinen Spielraum mehr für Experimente“, meint Wagner im Gespräch mit der APA. Ein Lockdown bringe aber mittelfristig nur etwas, wenn die dadurch gewonnene Zeit genützt wird, um endlich die dringend notwendige hohe Impfquote in Österreich zu erreichen. Hier sei die Politik gefordert. Insgesamt zeigte sich Wagner „frustriert“, dass seitens der Politik auch im zweiten Pandemie-Herbst „immer nur reaktiv“ gehandelt wird. Im „komplett verschlafenen“ Sommer hätte man vorausschauend mit milden Maßnahmen für eine deutlich bessere Ausgangslage sorgen können. Die Impfkampagne stagnierte aber, die Boosterimpfungen wurden trotz eindeutiger Daten aus Israel eigentlich kaum beworben, die Pandemie für Geimpfte einfach abgesagt und nicht ausreichend kommuniziert, dass auch Geimpfte das Virus übertragen und sich darum auch testen müssten.

Mikrobiologe Michael Wagner (Bild: APA/HERBERT NEUBAUER)
Mikrobiologe Michael Wagner

„Österreich hat nicht auf Rat Israels gehört“
Mit diesem „Unsinn“ sei man sehenden Auges in eine Situation gestolpert, in der man der Entwicklung immer hinterherläuft, so der Wissenschaftler. Bei so hohen Auslastungen und „massivem Infektionsgeschehen“ quasi „zehn Minuten nach zwölf“ erst zu reagieren, funktioniere einfach nicht. Darauf haben israelische Forscher schon in der ersten Welle eindringlich hingewiesen. Viele Länder haben auf diesen Rat aber nicht gehört - Österreich leider ebenso.

Selfie bei der Booster-Impfung: Ein Mann erhält in Israel die dritte Dosis Pfizer-Vakzin. (Bild: AP)
Selfie bei der Booster-Impfung: Ein Mann erhält in Israel die dritte Dosis Pfizer-Vakzin.

„Werden auch bei Kindern schwere Verläufe sehen“
Auch übersehen wurde die Situation an den Schulen. Von der Wissenschaft schon im Frühling vorgeschlagene Schutzkonzepte wurden nur teils implementiert. Wie vielfach vorhergesagt, ging die vierte Welle unter Kindern und Jugendlichen los. Als man hier erste Signale gesehen hat, hätte gehandelt werden müssen. Wartet man aber, bis die Entwicklung in den Intensivstationen angelangt ist, ist es „viel zu spät“, betont Wagner. Bei so hohen Infektionszahlen unter den Kindern werde man jetzt vermehrt auch sehr schwere Verläufe sehen. „Zudem werden viele Kinder an Long Covid erkranken", so der Experte von der Universität Wien.

Dass jetzt den Virologen - vermeintlich halblustig gemeint - unterstellt wird, dass sie Menschen gerne einsperren würden, sei extrem unpassend. Die Verantwortung für Schließungen liege nämlich im Bereich jener, die nicht genug zum Schutz der Allgemeinheit unternommen haben, und nicht an jenen, die mehr prophylaktischen Schutz gefordert haben. Eigentlich sei man jetzt „in einem Moment, wo der Schulterschluss mit der Wissenschaft gesucht werden müsste“, unterstreicht Wagner.

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