Seit Pandemiebeginn haben sich mehr als 105.000 Tiroler mit dem Corona-Virus infiziert. Fünf bis zehn Prozent der symptomatisch Infizierten leiden danach an Long Covid. Die Ärzte Judith Löffler-Ragg und Raimund Helbok sprechen über die Last nach der Krankheit.
Eigentlich hätten die Lungenspezialistin Judith Löffler-Ragg und Neurologe Raimund Helbok von der Klinik Innsbruck dieser Tage bei den Gesundheitsgesprächen von ORF und „Tiroler Krone“ dem Publikum Rede und Antwort stehen sollen. Aus bekannten Gründen fällt der Vortrag aus. Doch das Thema ist hochaktuell. Sechs Fragen und Antworten zu Long Covid:
„Krone“: Wer ist besonders gefährdet, an Post Covid oder Long Covid zu erkranken?
Helbok: Grundsätzlich sind es laut Fachliteratur fünf bis zehn Prozent der Corona-Patienten. Diese Beobachtungen beziehen sich vor allem auf Erkrankte in stationärer Behandlung.
Löffler-Ragg: Die gute Nachricht: Wer im Zuge der Infektion keine oder nur milde Symptome hatte, muss laut aktuellen Daten keine Langzeitfolgen befürchten und hat ein geringes Risiko für Long Covid. Menschen mit einem schweren oder hoch symptomatischen Verlauf haben häufiger Beschwerden über 28 Tage hinaus. Hier sprechen wir aber nicht nur von älteren Patienten. In einer Studie der Medizin-Uni Innsbruck zu den langfristigen Folgen von Covid-19 haben wir speziell jene befragt, die die Viruserkrankung daheim auskuriert haben. Das Durchschnittsalter lag bei 44 Jahren. Das deckt sich mit internationalen Daten. Hier sprechen wir von Menschen, die mitten im Arbeitsleben stehen und über Monate sehr eingeschränkt sein können.
Die Symptome sind zum Teil sehr unspezifisch. Was macht Long Covid aus?
Löffler-Ragg: Es bestätigt sich uns ein Muster an Symptomen. Jene, die schwerer betroffen sind, leiden unter Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Herzrasen, Kreislaufstörungen und einer Palette an neurologischen Symptomen. Auch Angststörungen und Depressionen werden oft genannt. Es ist aber noch unklar, was Folge der Viruserkrankung, Verschlechterung einer bestehenden Erkrankung oder Folge der Pandemie-Umstände ist.
Helbok: Zu den neurologischen Symptomen gehören vor allem Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, in der Öffentlichkeit oft als „Brain fog“ bezeichnet. Daneben wird von Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Geruchs- und Geschmacksstörungen oder Muskelschmerzen berichtet.
Können Geruchs- und Geschmacksstörung auch Dauerzustand bleiben?
Helbok: Im Schnitt dauert sie zwei bis drei Wochen. Es gibt aber auch Patienten, die Monate oder ein Jahr nach Erkrankung noch darüber klagen. Langzeitdaten fehlen noch. Wir gehen davon aus, dass fünf Prozent der symptomatischen Patienten längerfristig betroffen sind. Wir wissen aber auch, dass grundsätzlich 20 Prozent der Bevölkerung Geruchsstörungen haben. Manche merken das erst durch eine Covid-19-Erkrankung.
Jede Erkrankung erschöpft. Wie erkennt der Arzt, dass es mehr als die übliche Schwäche nach einer Infektion ist?
Löffler-Ragg: Das ist die Herausforderung. Es gibt mittlerweile Leitlinien für Hausärzte. Bis vier Wochen kann die Erschöpfung nach dem akuten Infekt andauern, sollte sich aber von Woche zu Woche bessern. Tritt keine Besserung ein oder bei Verschlechterung, klärt der Hausarzt zunächst organische Beeinträchtigungen ab.
Die Faustregel lautet: Wenn Symptome länger als drei Monate andauern, ist es Zeit für eine genaue Abklärung.
Neurologe Raimund Helbok
Helbok: Der Hausarzt ist der erste Ansprechpartner. Oder ein Facharzt, wenn Patienten bereits in Behandlung sind. Die Faustregel lautet: Wenn Symptome länger als drei Monate andauern, ist es Zeit für eine genaue Abklärung. Dafür braucht es einen interdisziplinären Ansatz. Oft sind es komplexe Symptome, die mehrere Organsysteme betreffen.
Gilt auch für Long Covid: Impfen schützt?
Löffler-Ragg: Absolut. Wer sich trotz Impfung infiziert, hat ein um die Hälfte vermindertes Risiko für Long Covid.
Wie schaut die Behandlung aus und wie ist es um die Rehabilitationsmöglichkeiten in Tirol bestellt?
Helbok: Wir haben eine multidisziplinäre Diagnostik und eine individuelle Behandlung. In einer allgemeinen Long-Covid-Ambulanz kann nur schwer eine spezialisierte Therapie erfolgen. Auch hier ist der Hausarzt primärer Ansprechpartner. Dieser überweist dann zum jeweiligen Fachmediziner.
Natürlich würde sich jeder wünschen, dass er einfach eine Tablette nehmen kann – und in zwei Tagen ist es vorbei.
Lungenspezialistin Judith Löffler-Ragg
Löffler-Ragg: Natürlich würde sich jeder wünschen, dass er einfach eine Tablette nehmen kann – und in zwei Tagen ist es vorbei. Die Vielfalt der Symptome und noch fehlendes Wissen über die Ursache erschweren eine medikamentöse Therapie. Dafür haben wir ambulante oder stationäre Rehabilitation. Mehr als 800 Patienten sind in Tirol seit Pandemiebeginn rehabilitiert worden. Das Gesundheitssystem stellt sich immer besser auf die Anforderungen ein.
27 Spezialisten haben auf der neuen Internet-Seite www.postcovid.tirol relevante Informationen zu Symptomen, Behandlung, Anlaufstellen und Prävention rund um das Phänomen Long Covid zusammengetragen.
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