Was wir aus der Geschichte über Impfpflicht, Impfskepsis, aber auch über heuchlerischen Umgang mit Vakzinen lernen können. Die „Krone“-Historikerin Martina Winkelhofer blickt zurück.
Das Muster war erstaunlich modern: Was vom politischen Gegner kommt, muss per se schlecht sein und ist strikt abzulehnen. Unter dieser Prämisse wurden selbst medizinische Erfolge zu einem Spaltpilz und feuerten Aufstände an. Eines der frühesten und eindrücklichsten Beispiele stammt aus der österreichischen Geschichte - Andreas Hofers Freiheitskampf gegen Bayern und Frankreich, eine Seuche und „Fake News“: 1805 fiel Tirol nach der Niederlage der Habsburger gegen Napoleon bei der Schlacht von Austerlitz an Bayern.
1809 brach in Tirol unter der Führung von Andreas Hofer ein Volksaufstand gegen die bayrische Besetzung aus. Hofers rhetorischer Einpeitscher - heute würden wir „Pressesprecher“ sagen -, der Kapuzinerpater Joachim Haspinger, brachte eine neue Niederträchtigkeit der Bayern unter die Tiroler: die Impfpflicht. Bayern hatte sie 1807 als erstes Land der Welt eingeführt, um die Bevölkerung endlich von der „Blattern-Geisel“ zu befreien, und hatte nun Gleiches in Tirol vor.
Pockenimpfung kein Novum
Nun war die Pockenimpfung in Österreich nichts Neues, schon 50 Jahre zuvor hatte die große Gesundheitsreform von Landesmutter Maria Theresia der Ausrottung der Seuche durch eine flächendeckende Pockenimpfung höchste Priorität gesetzt. Außerdem gab es seit dem Jahr 1800 mit dem Kuhpockenserum sogar ein neues, weit weniger gefährliches Serum, das die Impfbereitschaft deutlich steigerte.
„Bayerisches Gedankengut einzupflanzen“ mit Stich
Doch in der politischen Auseinandersetzung ging es nicht mehr um die Gesundheit und den Schutz der Tiroler vor einer Seuche, sondern um Weltanschauung. Für die konservativ-reaktionären „Mander“ Andreas Hofers war klar: Alles, was aus Bayern kam, das sich einem radikalen Modernisierungsprogramm verschrieben hatte, war schlecht. Eine Verfassung, die Abschaffung ständischer Privilegien, das Ende der Leibeigenschaft, die Gleichstellung von Katholiken und Protestanten und eben auch die Pockenimpfung.
Sie hatte nur einen Sinn, wie Haspinger lautstark propagierte: den Tirolern „bayerisches Gedankengut einzupflanzen“. Andreas Hofer war wenige Jahre nach der Einführung der ersten staatlichen Impfpflicht und seiner Niederlage auf dem Schlachtfeld bereits Geschichte, was aber blieb, waren die Verknüpfung von Weltanschauung und Impfung und ein ständiger Diskurs darüber, wann und unter welchen Bedingungen der Staat eine Impfpflicht verordnen darf.
Im 1871 gegründeten deutschen Kaiserreich wurde angesichts immer wieder aufflackernder Pockenepidemien mit einer Impfpflicht nicht lange gefackelt: Der „eiserne“ Reichskanzler Otto von Bismarck führte 1874 mit dem Reichsimpfgesetz eine Impfpflicht ein. Pro oder contra Impfung wurde gar nicht erst diskutiert. Wer sich der Impfung verweigerte, dem drohten Geldstrafen, Haft und die Zwangsimpfung.
Polio-Vakzin rottete die Kinderlähmung fast aus
Im Kaisertum Österreich gab es damals keine Impfpflicht. Erst mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 wurde auch hierzulande Impfen staatlich verordnet. Allerdings änderte sich nun die persönliche Haltung der Mächtigen zu Impfstoffen bzw. was sie propagierten und selbst lebten, drastisch. Ließ Maria Theresia ihre eigenen Kinder noch öffentlich impfen und verweigerten sich bis dato auch die Mächtigen nicht den von ihnen empfohlenen Impfungen, so war der Umgang mit Impfungen unter der NS-Herrschaft heuchlerisch.
Während NS-Größen wie Heinrich Himmler und Rudolf Hess öffentlich esoterische Ansichten vertraten und dem deutschen Volk verkündeten, dass ein gestählter Körper gegen alle viralen Angriffe immun sei, impfte das Reichswehrministerium Millionen deutsche Soldaten – selbstverständlich ungefragt, z. B. gegen Tuberkulose. Aus der Impfpflicht wurde ein Impfzwang. Schließlich musste die Wehrfähigkeit des Deutschen Reiches erhalten bleiben. Dass das Regime Impfen als „jüdisch“ bezeichnete, war dann kein Thema mehr.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es riesigen Zulauf zu einer neuen, höchst erfolgreichen Impfung: Es war ein Vakzin gegen die hochansteckende Viruserkrankung Polio bzw. Kinderlähmung entwickelt worden. Vor den Impfzentren bildeten sich lange Schlangen. Erstmals herrschte auch in Friedenszeiten Angst vor einer Triage. Fiel bei Polioerkrankten die Atemmuskulatur aus, war die „Eiserne Lunge“ oft die letzte Rettung – nur gab es von diesen Geräten in den 1950er-Jahren nicht viele. Über Pro und Contra Impfungen und eventuelle Nebenwirkungen diskutierte damals kaum jemand. Heute gilt Polio als fast, die Pocken als vollständig ausgerottet.
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