Der Abschied von Sebastian Kurz, die Regierungsumbildung, und gleichzeitig alarmierende Zahlen aus den Intensivstationen: Für den ehemaligen grünen Gesundheitsminister Rudi Anschober war es eine Woche der Rückblenden. Ein Gespräch über Politik, Corona und ein beschaulicheres Leben.
Sebastian Kurz, Gernot Blümel und Heinz Faßmann wollen keine Interviews mehr geben. Die neuen Minister treten, mit Ausnahme von Magnus Brunner, erst am Montag an die Öffentlichkeit. Rudi Anschober hingegen, der der türkis-grünen Regierung bis April angehörte und seit Oktober in der „Krone“ schreibt, hatte so viel zu sagen, dass seine Kolumne dafür nicht ausreichte.
Während wir am Samstagnachmittag telefonieren, sitzt er in seinem neuen Zuhause im Westen von Wien und studiert wie einst als Gesundheitsminister die aktuelle Lage. „Es ist erfreulich, dass die Infektionszahlen jetzt sinken, aber sie sind noch immer auf einem enorm hohen Niveau.“ Seine Stimme klingt besorgt. „Wir haben heute den höchsten Stand der Schwerkranken auf den Intensivstationen, die Zahl der Todesopfer steigt.“ Ihm zu Füßen, auf dem kurdischen Teppich, liegt sein Hund „Agur“ und bewegt die Pfoten im Schlaf. „Er träumt wohl, dass er rennt“, mutmaßt sein Herrchen. Und lässt im „Krone“-Gespräch eine Woche voller Überraschungen Revue passieren.
„Krone“: Am Donnerstag hat sich Sebastian Kurz aus der Politik zurückgezogen. Hatten Sie da ein Deja-vu-Erlebnis?
Rudi Anschober: Ich bin im April - aus anderen Grünen - von der Politik in das Privatleben gewechselt. Ich weiß, wie es ist, eine Abschiedsrede zu halten. Ich weiß nicht, was während der Rede in Sebastian Kurz vorgegangen ist, aber ich glaube, es war die richtige Entscheidung.
Sein Vorgänger Reinhold Mitterlehner hat gesagt, Kurz sei über sich selbst gestolpert. Hat er recht?
Ich kann nur von meiner Zusammenarbeit und den eineinhalb Jahren in der Bundesregierung sprechen und da hat es Licht und Schatten gegeben. Es hat sehr schwierig begonnen, nämlich mit der Frage einer menschlichen und wirtschaftlich vernünftigen Lösung für Asylwerber in einer Lehrlingsausbildung. Da war zunächst kein Millimeter Bewegung. In der ersten Phase der Pandemie haben wir dann sehr gut zusammengearbeitet. In der Folge ist seine Unterstützung für notwendige Maßnahmen immer schwächer geworden. Das hat in einem, wie ich glaube, großen Fehler von ihm geendet, nämlich die Pandemie für beendet zu erklären. Das war ganz einfach falsch, wiewohl das viele Menschen damals hören wollten. Aber in einer Krisensituation muss man Klartext reden, auch wenn es unpopulär ist. Da geht es um Sicherheit und sonst um nichts.
Vertrauen kann sich die neue Regierung erarbeiten. Alles andere hätte als Konsequenz eine Neuwahl, dafür wäre jetzt der falscheste Zeitpunkt.
Rudi Anschober
Sind Sie letztlich über ihn gestolpert?
Ich bin ja nicht gestolpert, sondern ich habe alles gegeben. Manchmal mehr als hundert Prozent und das hält niemand auf Dauer aus. Ich bin froh, zum richtigen Zeitpunkt die Notbremse gezogen zu haben und jetzt wieder wirklich voll fit zu sein.
Jetzt wäre die Zeit für den gemeinsamen Kaffee, der geplant war. Werden Sie ihn anrufen?
Ich denke, er hat jetzt andere Dinge im Kopf, deshalb hat das keine Priorität. Aber irgendwann werden wir das angehen und miteinander reden. Mir ist das wichtig, dass man Dinge klärt, die in der persönlichen Beziehung falsch gelaufen sind.
Die ÖVP hat am Freitag ihre Regierungsmannschaft umbesetzt. Sie nennt die fünf Neuen ein Team der besten Köpfe. Kommen wir so aus der Krise?
Das werden die nächsten Wochen und Monate zeigen. Wichtig ist, dass sich die ÖVP in der Regierung jetzt durch konsequente Sacharbeit stabilisiert. Stabilität ist die Grundvoraussetzung für Vertrauen - innerhalb der Regierung, aber auch in der Bevölkerung. Und Vertrauen ist in einer Gesundheitskrise der wichtigste Wirkstoff, den es überhaupt gibt.
Hat die Bevölkerung Ihrer Einschätzung nach noch Vertrauen in diese Regierung?
Vertrauen kann man sich erarbeiten, davon bin ich überzeugt. Alles andere hätte ja als Konsequenz eine Neuwahl. Dafür wäre jetzt der falscheste Zeitpunkt, weil eine Wahlauseinandersetzung mitten in der Krise die Stimmung noch verschärfen würde. Jetzt brauchen wir Zusammenhalt, auch zwischen den Parteien. Der Bundespräsident hat sehr klar artikuliert, dass die Bevölkerung, gerade in einer Gesundheitskrise, ein Anrecht darauf hat, dass jetzt sehr konsequent zusammengearbeitet wird, vor allem bei Klimakrise und Pandemie.
Trauen Sie Karl Nehammer es zu, dass er die ÖVP wieder nach vorne bringt und das Vertrauen der Bevölkerung gewinnt?
Grundsätzlich ist die Chance gegeben, das Vertrauen wiederherzustellen. Das ist jetzt ein Wendepunkt, in gewisser Weise auch ein Neubeginn.
Heinz Faßmann hat die Tatsache, dass er nicht mehr Bildungsminister ist, damit begründet, dass er weder den Bünden angehört noch auf einem Bundesländerticket steht.
Die Personalbesetzungen sind Sache der ÖVP, ich kenne einen Teil der Persönlichkeiten überhaupt nicht. Es wäre daher vermessen, sie jetzt zu beurteilen. Entscheidend ist nun ohnehin die Bekämpfung der Pandemie. Ich fürchte, die Lage wird von Teilen der Bevölkerung, aber auch von einzelnen Wirtschaftsvertretern schon wieder unterschätzt.
Die Pandemie für beendet zu erklären war ganz einfach falsch, wiewohl das viele Menschen damals hören wollten.
Rudi Anschober
Glauben Sie nicht, dass das der letzte Lockdown ist?
Jeder, der glaubt, das prognostizieren zu können, überschätzt sich. Ich traue mir das nicht zu. Wenn vorschnell geöffnet wird, muss später umso länger wieder geschlossen werden, abgesehen von menschlichem Leid, Erkrankung und Tod. Das ist die Erfahrung, die wir in der Pandemie gemacht haben. Also lieber jetzt vorsichtig sein. Die Stadt Wien ist ein sehr gutes Beispiel. Sie hat als erstes aller Bundesländer Schutzmaßnahmen gesetzt und ist heute in der vergleichsweise besten Situation.
Wären Sie für eine Verlängerung des Lockdowns über Weihnachten?
Man muss die Entwicklungen in den nächsten Tagen abwarten. Der Schutz der Gesundheit muss oberste Priorität haben, so schwierig das für Teile der Wirtschaft auch sein mag.
War die generelle Impfpflicht der richtige Schritt?
Ich war immer skeptisch, was die Impfpflicht betrifft. Aus epidemiologischer Sicht gibt es jetzt aber kaum mehr eine Alternative. Allerdings würde ich mir begleitend dazu eine wirklich umfassende Aufklärungskampagne wünschen. Und einen Österreich-Dialog, damit wir wieder miteinander reden und mit denjenigen, die noch nicht geimpft sind und sich Sorgen machen, ins Gespräch kommen, statt sie in die Arme jener zu treiben ...
Die Entwurmungsmittel gegen das Virus empfehlen?
… die ihr politisches Geschäft mit diesen Sorgen machen. Während wir telefonieren, demonstrieren wieder Tausende. Ich habe gerade den Tweet einer Mitarbeiterin aus einer Intensivstation gelesen. Sie schreibt: „Andere demonstrieren, ich kämpfe auf der Intensivstation um das Leben von Corona-erkrankten Menschen und das ist wieder einmal Schwerstarbeit.“
Was würden Sie Herbert Kickl, wenn er jetzt zur Tür hereinkäme, gerne sagen?
Dass wir uns in der schwersten Gesundheitskrise befinden, bei der es um Tod oder Leben geht und jeder verantwortungsbewusste Politiker jetzt einfach jene Maßnahmen umsetzen sollte, die von der Wissenschaft einhellig empfohlen werden. Und das ist die Maske, der Mindestabstand, ein Reduzieren der Kontakte und die Impfung.
Sie haben letzten Sonntag in Ihre „Krone“-Kolumne dazu aufgefordert, ein paar Impfskeptiker im Bekanntenkreis von der Impfung zu überzeugen. Wie viele haben Sie schon geschafft?
Ich habe auf diese Kolumne unglaublich viele Rückmeldungen bekommen, weit über 500. Mir haben auch einige Leute geschrieben, dass sie jetzt drauf und dran sind, sich impfen zu lassen. Gestern etwa hat mir eine ältere Dame nach längerem Dialog geschrieben, dass sie es nun geschafft hat, sie hatte Angst. Viele meinten, dass sie jetzt das Gespräch mit Ungeimpften suchen. Und genau das brauchen wir jetzt. Den Dialog, das Miteinander.
Wie schätzen Sie die Stimmung in der Bevölkerung ein?
Es gibt Wütende, Radikalisierte und Aufgehetzte, aber viel mehr noch gibt es noch immer einen relativ großen Teil in der Bevölkerung, der verunsichert ist, der sich deswegen noch nicht für eine Impfung entschieden hat. Und genau um diese Menschen geht es, die müssen wir gewinnen, die müssen wir überzeugen. Das schaffen wir am besten durchs Gespräch. Und die brauchen wir dringend, damit wir insgesamt als Gesellschaft geschützt sind.
Wenn nach diesem Lockdown vorschnell geöffnet wird, muss später umso länger geschlossen werden. Abgesehen von Leid, Erkrankung und Tod.
Rudi Anschober
Tut es Ihnen manchmal leid, nicht mehr mitbestimmen zu können?
Nein, es war wichtig, rechtzeitig die Notbremse zu ziehen. Gesundheit geht vor. Und nun macht es mir große Freunde, mit Vorträgen, Büchern und der Kolumne in der „Krone“ meine Erfahrungen weiterzugeben.
Geboren am 21. November 1960 in Wels, erlernter Beruf Volksschullehrer. Politisch aktiv seit den 1980er-Jahren. 1990 zieht er als Verkehrssprecher der Grünen in den Nationalrat, ab 1997 ist er Abgeordneter im OÖ-Landtag, ab 2003 Umwelt- und Integrationslandesrat. Im Jänner 2020 wird er Minister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, im April 2021 tritt er aus gesundheitlichen Gründen zurück. Seit Oktober ist Anschober „Krone“-Kolumnist. Sein fiktives Sachbuch „Pandemia“ erscheint im Zsolnay Verlag.
Wie geht es eigentlich mit Ihrem Buch voran?
Ich hatte in den letzten Wochen eine sehr kreative, spannende Phase, in der ich weniger geschrieben habe als ich mit vorgenommen hatte. Aber ich bin viel zum Denken gekommen, und das ist genauso wichtig. Weihnachten soll das Buch in den Satz gehen, also werde ich die nächsten Wochen noch intensiv nutzen. Ich will ja nicht nur, dass es im März erscheint, sondern auch, dass es jene Qualität hat, die mir vorschwebt.
Arbeiten Sie mit dem Buch auch Ihre Zeit in der Politik auf?
Ja. Gerade in den letzten drei, vier Wochen, gab es sehr oft Situationen, die mich stark an den Herbst 2020 erinnert haben. An Entscheidungen, an Fehler, an unsere Verantwortung in so einer Krise. Es ist immer viel leichter, von außen zu urteilen und zu verurteilen, als selbst vor Entscheidungsfindungen zu stehen. Deswegen bin ich mit öffentlichen Zurufen auch sehr vorsichtig.
Das Buch heißt „Pandemia“. Wird es im März noch aktuell sein?
Ich fürchte, noch viel länger. Wie lange, hängt stark von uns und der neuen Variante, Omikron, ab. Da wissen wir noch viel zu wenig darüber. In Labors weltweit wird derzeit intensiv geforscht. Die Wissenschaft tut alles. Wir können nur eines tun: vorsichtig sein, impfen gehen. Dann schaffen wir es aus dieser Pandemie auch wieder raus.
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