Dass die Länder in der ÖVP wieder das Ruder an sich gerissen haben, ist nicht weiter überraschend. Sehr wohl bemerkenswert ist aber die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der dies passiert ist. Eine Analyse von „Krone“-Redakteurin Doris Vettermann.
In den Jahren der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz waren die Länder abgemeldet, sie verhielten sich zahm und ruhig, weil Kurz die Erfolge lieferte. Aber kaum war der ehemalige türkise Obmann am vergangenen Donnerstag von allen politischen Funktionen zurückgetreten, waren die schwarzen Länder sofort zur Stelle und machten nahtlos dort weiter, wo sie Jahre davor aufgehört hatten. Beinahe so, als hätte es die türkise Phase gar nicht gegeben.
Bundesländer stärker als die Bünde
Traditionell, also in der Zeit vor Sebastian Kurz, hatten in der ÖVP die Länder und die Bünde das Sagen. Jetzt schlägt das Pendel eindeutig in Richtung Länder aus. Die Vergabe der Ministerposten erfolgte großteils nach den Kriterien der Geografie. Einzig Tourismus- und Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger profitierte von ihrer Zugehörigkeit zum Bauernbund - die Kärntner Volkspartei ist so schwach, dass sie für niemand ein Rettungsanker ist. Wer gar kein Netzwerk in der Partei hat, musste gehen - Bildungsminister Heinz Faßmann und Außenminister Michael Linhart. Von Letzterem kamen erst in der vergangenen Woche die Umzugskartons aus Paris, wo Linhart Botschafter war, in Wien an.
Innenminister als Feindbild des Partners
Das Wort „Stabilität“ ist in diesen Tagen das wohl am meisten strapazierte. Doch nicht einmal alle in den Reihen der Regierung sind von dessen Wahrheitsgehalt überzeugt. Die Grünen blicken misstrauisch zur ÖVP und auf den erneuten Personalwechsel. Vor allem der neue Innenminister Gerhard Karner, er gilt als strikter Hardliner mit einer nicht gerade zimperlichen Rhetorik, bereitet der Öko-Partei Kopfzerbrechen. Dass Karner als Bürgermeister von Texingtal (NÖ) das dortige Dollfuß-Museum, das immer wieder für die fehlende kritische Auseinandersetzung mit dem Austrofaschismus getadelt wurde, betreibt, hat die Grünen auch sofort auf den Plan gerufen.
„Grüne testen die Sollbruchstellen“
Außerdem wisse man nicht, mit wem man sich jetzt etwas ausmachen solle bzw. ob es halte, wenn der neue Bundeskanzler etwas zusage, oder ob dann die Länder dazwischengrätschen, meint ein Grüner. Und spielt damit auf Tirols Landeshauptmann Günther Platter an, der am Sonntag in der ORF-„Pressestunde“ in Sachen Öffnungen vorgeprescht ist und versuchte, den Weg vorzugeben. Andererseits schaut aber auch die ÖVP skeptisch auf die andere Koalitionsseite und ortet, dass der Juniorpartner in der Regierung „gerade die Grenzen und die Sollbruchstellen auslotet“, wie es ein ÖVP-Vertreter formuliert. Tatsächlich strotzen die Grünen derzeit nur so vor Selbstbewusstsein und scheinen Gefallen daran zu haben, der in die Bredouille geratenen Kanzlerpartei in aller Ruhe zuzusehen.
U-Ausschuss hat an Strahlkraft verloren
Eine mögliche Sollbruchstelle fällt jedenfalls weg. Der in den Startlöchern stehende ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss ist nach dem Rückzug von Sebastian Kurz, dessen ehemaligem Kabinettchef Bernhard Bonelli und Ex-Finanzminister Gernot Blümel (alle drei sind Beschuldigte) nicht mehr das, was er, aus Sicht der Opposition, sein sollte. Nachdem die Protagonisten von der politischen Bühne verschwunden sind, gehen die Vorwürfe an der jetzigen ÖVP eher vorbei.
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