Uni-Professor Kirste

Impfpflicht: „Eingriff in Freiheit, aber nötig“

Salzburg
09.12.2021 11:00

Stephan Kirste ist Universitätsprofessor für Rechtsphilosophie in Salzburg. Mit der „Krone“ spricht er über Solidarität in der Krise, eine allgemeine Impfpflicht, „Fake News“ und darüber, was jetzt passieren muss.

Lockdown für alle, egal ob geimpft oder nicht - ist das überhaupt gerecht?

In der Situation, in der wir jetzt sind, ist das gerecht. Vorher hätte alles getan werden müssen, um zu verhindern, dass das notwendig wird. Denn normalerweise ist natürlich nicht einzusehen, wieso jemand, der alles getan hat, um sich und andere vor einer Infektion zu schützen, sich in seiner Freiheit einschränken muss.

Jetzt müssen sich also alle einschränken. Könnte man dann nicht von einer Minderheit verlangen, sich ein kleines bisschen einzuschränken?

Wenn die öffentliche Gesundheit es erfordert, kann man das weiterhin verlangen. Natürlich unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit.

Wiegt man aktuell das Recht auf „persönliche Freiheit“ mit jenem auf„Leben“ ab? 

Meine Freiheit, über meine Gesundheit zu entscheiden endet dort, wo ich die Gesundheit anderer gefährde. Würde ich mich nicht impfen lassen, schwer and Covid-19 erkranken und dadurch einem Krebspatienten ein Intensivbett wegnehmen, müsste ich mir moralische Vorwürfe machen. Wenn Krebsoperationen verschoben werden, nur weil sich ein Drittel der Bevölkerung nicht impfen lässt, ist das moralisch nicht in Ordnung.

Was ist also das moralische Problem, wenn man sich nicht impfen lässt?

Dass ich meine Konzeption einer Gesundheit über die lebenswichtigen Interessen eines Anderen stelle.

„Krone“-Reporter Benedict Grabner sprach mit dem Rechtsexperten (Bild: Tröster Andreas)
„Krone“-Reporter Benedict Grabner sprach mit dem Rechtsexperten

Entgegen dem gesellschaftlichen Konsens, dass das Impfen die Lösung ist...

Genau. Wenn jetzt die Intensivbetten knapp werden, muss ich moralisch meine Freiheit einschränken, über meine Gesundheit zu entscheiden, um Anderen, die nicht entscheiden können und der öffentlichen Gesundheit den Vorrang einzuräumen.

Wie kommt man nun aus dieser Situation heraus?

Für mich gibt es drei Stufen, die momentan schnell ablaufen. Eigenverantwortung, sektorale Impfpflicht und dann die allgemeine Impfpflicht. Darüber müssten wir als Gesellschaft eigentlich schon lange nachgedacht haben – da darf politisches Kalkül nicht im Weg stehen.

Also „Ja“ zur Impfpflicht?

Für Gesundheitsberufe haben das schon verschiedene Ethikkommissionen mit „ja“beantwortet. Wenn ich einen solchen Beruf ergreife, ist ja das Mindeste, was man erwarten darf, dass ich mir anvertraute Personen nicht gefährde. In diesem Fall durch eine Infektion.

Und was wäre mit einer allgemeinen Impfpflicht?

Das ist natürlich eine massive Freiheitseinschränkung, aber wenn die Situation so dramatisch ist, wie jetzt, sicher gerechtfertigt.

Was ist dabei wichtig?

Dass das auf Basis der Wissenschaft und unserer europäischen Grundwerte erfolgt: Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit. Natürlich muss das verfassungskonform durch den Gesetzgeber entschieden werden - der hat die höchste, nämlich die demokratische, Legitimation.

Was bereitet Ihnen aktuell gesellschaftlich Sorgen?

Die Pandemie trifft uns in einer Situation, in der der Populismus das Vertrauen in unsere Institutionen schwer beschädigt hat. Meine Befürchtung ist, dass unsere Gesellschaft in dieser Krise auseinanderbricht. Viel von der öffentlichen Diskussion hat sich in irgendwelche Chatrooms verlagert. Die Debatte ist vor allem aufgrund von „Fake News“ auseinandergedriftet. Was mich noch beunruhigt ist das Verhältnis vom Einzelnen zum Staat. Da gibt es oft kein ausreichendes Verständnis für den Bezug zwischen Solidarität und individueller Freiheit.

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