Corona-Demonstrationen ohne Ende. Heikle Voraussetzungen für den neuen Innenminister. Mit Conny Bischofberger spricht Gerhard Karner (ÖVP) über Sorgen und Narren, Kanzler Karl Nehammer, „Zündler“ Herbert Kickl und das Problem mit Engelbert Dollfuß.
Sein Übergangsbüro ist unprätentiös, aber weihnachtlich dekoriert. Festlich beleuchteter Christbaum, ein Adventkranz mit violetten Kerzen, auf dem Tisch stehen Nüsse und Zimtsterne. „Mir ist diese Tradition gerade als Familienvater sehr wichtig“, sagt Gerhard Karner, als er die „Krone“ an Maria Empfängnis im Innenministerium in der Herrengasse empfängt, „auch aus religiösen Gründen.“
Es ist sein dritter Tag als Innenminister, und er ist ein bisschen stolz darauf, bereits mit dem Koalitionspartner und der Opposition Gespräche geführt zu haben. Karner trägt einen sportlichen, dunkelblauen Anzug und eine graue, schmale Krawatte zum weißen Hemd. Die Jaques-Lemans Uhr mit den abgebrochenen Sekundenzeigern am linken Handgelenk war ein Geschenk seiner Frau zum 40. Geburtstag.
„Krone“: Der neue Bildungsminister sagte im Fernsehen, dass er als Erstes mit seiner Frau gesprochen habe. Sie auch?
Gerhard Karner: So ist es. Ich war am Donnerstag mit meiner Frau und „Cody“, unserem Münsterländer, auf einer Hunderunde und hatte mein Handy, übrigens ein Tastentelefon, nicht mit. Als wir nach Hause gekommen sind, sagte meine Tochter, dass Karl Nehammer zweimal angerufen habe. Ich habe den Karl - wir kennen uns ja schon sehr, sehr lange - dann natürlich gleich zurückgerufen.
Waren Sie überrascht von dem, was folgte?
Natürlich. Als er mich gefragt hat, ob ich mir vorstellen könnte, in seinem Team zu sein und noch dazu in dieser Funktion, da ging sehr vieles durch meinen Kopf. Ich habe das mit meiner Frau dann intensiv besprochen. Dagmar hat mich bei allen beruflichen Um- und Aufstiegen immer begleitet. Ohne diesen Rückhalt der Familie - die Frau steht hinter dem Mann, aber der Mann steht auch hinter der Frau - würde es nicht gehen. Sie meinte, wenn du das willst, dann unterstütze ich es zu hundert Prozent.
Wie lange hatten Sie Bedenkzeit?
Zwei, drei Stunden.
Haben Sie inzwischen schon ein Smartphone?
Ja, seit heute. Ich mochte mein altes Nokia gern, aber die Techniker hier im Haus meinten, dafür würde der Support schwierig werden. - Lacht.
Innenminister der Republik Österreich, ist das der Höhepunkt Ihrer Karriere?
Es ist eine der verantwortungsvollsten und herausforderndsten Funktionen, die man haben kann. Ich nehme diese Herausforderung mit großem Respekt an, aber auch mit der Gewissheit, dass mein Vorgänger dieses Haus sehr gut bestellt hat. Das habe ich auch bei der Übernahme der Innenministeriumsfahne von meinem Vorgänger, Bundeskanzler Karl Nehammer, betont.
Sie waren ja bei der ÖVP Niederösterreich sein Chef. Jetzt ist es umgekehrt. Wie ist dieser Rollenwechsel für Sie?
Ungewohnt. Aber wenn man sich so gut kennt und einander blind vertraut, dann ist das etwas ganz Besonderes. Das ist entscheidend.
Sie waren Pressesprecher des ehemaligen Innenministers Ernst Strasser, Geschäftsführer ÖVP Niederösterreich unter Landeshauptmann Pröll, haben erfolgreich Wahlkämpfe organisiert, zuletzt waren Sie Landtagspräsident. Was befähigt Sie, Innenminister der Republik zu sein?
Man müsste vielleicht Karl Nehammer fragen, warum er mich für den Richtigen hält.
Ich frage aber Sie. Welche Eigenschaften sind es, die Sie befähigen?
Mir wurde in dem einen oder andern Artikel das Attribut „Hardliner“ zugeschrieben. Tatsächlich glaube ich, dass es für dieses Ressort Härte, aber auch Besonnenheit braucht. Das ist für mich kein Gegensatz, beides ist nötig. Ich denke, dass ich beides kann und bin.
An den letzten drei Wochenenden sind rund 120.000 Menschen gegen Coronamaßnahmen und Impfpflicht auf die Straßen gegangen. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Ich glaube, das bereitet vielen Menschen Sorgen und natürlich ganz besonders dem Innenminister der Republik Österreich. Da sind viele Menschen unterwegs, die gewisse Bedenken und auch Ängste haben. Aber es sind leider auch andere unterwegs, die diese Sorgen auf das Übelste missbrauchen. Wahnsinnige, Narren, Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker. Mein Appell an alle Demonstrierenden ist, sich nicht von diesen Randgruppen missbrauchen zu lassen.
Halten Sie es für möglich, dass es zu einem Bürgeraufstand kommen könnte?
Unsere Aufgabe im Innenministerium ist es, diese Gefahr zu bannen. Menschen müssen die Möglichkeit haben, ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit wahrzunehmen, aber gleichzeitig müssen wir auch konsequent gegen Radikale und Extremisten vorgehen. Nur so können wir die Polarisierung auflösen. Der Bundeskanzler hat dazu schon besondere Worte gefunden.
Wird die Polizei weiterhin beobachten, schlichten, zurückhaltend sein?
Die vielen Polizistinnen und Polizisten, die bei den Demonstrationen Dienst machen, halten ihren Kopf hin, sie werden zum Teil auf das Übelste provoziert, sie werden beworfen, sie werden verletzt. Umso bewundernswerter ist es, mit welcher Besonnenheit, aber auch Härte und Konsequenz, sie da vorgehen. Das wird auch weiterhin die Linie der Polizei sein.
Sie sind für Ihren ruppigen Stil bekannt, geben sich nach außen hin aber sanft und höflich. Haben Sie eine weiche Schale und einen harten Kern?
Diese Zuschreibungen sollen andere machen. Ich denke, dass ich bei allen Dingen sehr konsequent bin, sonst hätte ich möglicherweise diesen Weg nicht gemacht. Ich bin aber auch bereit, immer wieder den Kompromiss und das Gespräch zu suchen.
Sie selbst haben einmal gesagt, dass auf einen groben Klotz ein grober Keil gehört. Sind Sie jetzt der Mann fürs Grobe?
Wenn ich von extremen Randgruppen spreche, die die Demokratie und die Polizei in diesem Land bedrohen, dann ist das ein grober Klotz und dann gehört ein grober Keil darauf. Jawohl. Für sie bin ich gern der Mann fürs Grobe.
Verstehen Sie, wenn viele Leute den Kopf über diese Demonstrationen schütteln? Sie sollen Maske tragen, Abstand halten, Kontakte meiden, und dann dürfen Zigtausende - oftmals ohne Maske und Abstand - stundenlang durch die Straßen ziehen?
Ich verstehe den Ärger und das Unverständnis. Diese Pandemie stellt uns alle vor völlig neue Herausforderungen. Aber die Demokratie hat ihre Regeln, und das Demonstrationsrecht gehört dazu. Die Polizei schreitet entsprechend ein und verfügt Strafen.
In der Regierung arbeiten Sie künftig, anders als in Niederösterreich, auch mit den Grünen eng zusammen. Was ist für Sie das Beste aus dieser anderen Welt?
Ich hatte bereits erste Kontakte mit dem Vizekanzler und auch mit der Klubobfrau der Grünen. Ich denke, dass das eine gute Zusammenarbeit sein wird. Auch wenn es Themen gibt, die für den Koalitionspartner sensibel sind, zum Beispiel bei der illegalen Migration. Da ist das zu tun, was zu tun ist. Da gilt es, eine Ebene zu finden, auf der man miteinander reden und diese Dinge klar ansprechen kann.
Sie haben den Grünen einmal Dummheit vorgeworfen. War das ein Thema bei Ihren Treffen?
Ich muss gestehen, in meiner Zeit als Landesgeschäftsführer habe ich vielen vieles vorgeworfen. Wenn ich mit allen drüber reden müsste, würde das lange dauern. - Lacht. - Beide, sowohl Werner Kogler als auch Sigi Maurer, kennen das politische Geschäft, deshalb war das kein großes Thema.
Wen würden Sie als politischen Gegner bezeichnen?
Der Innenminister der Republik Österreich hat keinen politischen Gegner. Der Gegner ist das Virus. Der Gegner ist Extremismus, egal von welcher Seite.
Ist die FPÖ mit ihrem Anti-Coronamaßnahmen-Kurs kein Gegner?
Die Partei per se nicht, aber wenn einzelne Vertreter extrem agieren und sich gegen demokratische Grundsätze und das Gesetz stellen, dann sind diese natürlich politische Gegner.
Tut das Herbert Kickl im Moment?
An Herbert Kickl kann ich nur appellieren - und zwar dringend - diese Dinge abzustellen. Wir brauchen jetzt Besonnenheit und Ausgeglichenheit. Jeder, der zündelt, gefährdet das Zusammenleben in diesem Land.
Sie appellieren an die Besonnenheit, Kickl appelliert an den Bundespräsidenten, Sie und alle Ihre neuen Kollegen rauszuschmeißen.
Ich lese nicht immer alles, was der Herr Kickl sagt.
Was sagen Sie dazu?
Herr Kickl war selbst einmal in diesem Haus, hatte Verantwortung für die Polizistinnen und Polizisten. Er weiß, dass Polizistinnen und Polizisten verletzt worden sind. Und daher erwarte ich mir von ihm, sich zurückzunehmen.
Er hatte in seinem Büro ein Feldbett stehen, damit er notfalls auch im Büro übernachten kann. Wie wird das bei Ihnen sein?
Ich habe ich vor, nach Hause, nach Niederösterreich zu fahren. Das ist viel Zeit, die ich im Auto verbringe, aber dort kann man auch sehr gut arbeiten und in Ruhe telefonieren.
Zum Dollfuß-Museum, das Sie als Bürgermeister seiner Heimatgemeinde leiteten, haben Sie bereits Stellung genommen. Glauben Sie, dass es legitim ist, mit den Mitteln der Diktatur eine noch schlimmere Diktatur, nämlich die der Nazis, abzuwehren, wie es Dollfuß versucht hat?
Ich glaube, diese Zeit muss noch viel intensiver mit der Bevölkerung aufgearbeitet werden. Anton Pelinka hat es in seinem Kommentar sehr gut beschrieben. Statt Dollfuß-Museum könnte man eine Demokratie-Werkstatt machen. Eine Umbenennung steht im Raum und ist wahrscheinlich. Nach 23 Jahren ist vieles einfach nicht mehr zeitgemäß.
In Niederösterreich war ein Dollfuß-Portait sogar einmal ein Altarbild, wussten Sie das?
Ja, es gab viele, sagen wir Heldenverehrungen. Dass das falsch ist, ist unbestritten. Meine Haltung zum Faschismus ist ebenfalls unbestritten. Der Kampf gegen Antisemitismus und gegen Faschismus ist mir seit meiner Studentenzeit ein Herzensanliegen. Deshalb bin ich auch sehr sensibel, wenn versucht wird, mir in diesem Bereich etwas zu unterstellen.
Auf wen werden Sie in Ihrem neuen Amt hören? Wer ist Ihr politisches Vorbild?
Das war und ist mein Vater, weil er gerade in einer Hochburg der ÖVP, in der Gemeinde St. Gotthard, immer den Kompromiss und das Verbindende mit den anderen Parteien gesucht hat. Er war Bürgermeister. Von ihm habe ich gelernt, dass es einem Politiker gut ansteht, hineinzuhören ins Volk, die Menschen zu fragen, wie sie die Dinge sehen. Das sind die wichtigsten Ratgeber, gerade auch in einer so schwierigen Situation wie wir heute sind.
Geboren am 13. November 1967 in Melk, aufgewachsen in St. Gotthard, das später mit Texingtal zusammengelegt wird. Dort startet Karner seine politische Karriere als Gemeinderat. Von 1996 bis 2000 ist er Pressereferent der ÖVP Niederösterreich, von 2000 bis 2003 Pressesprecher des damaligen Innenministers Ernst Strasser. Als Parteimanager organisiert er mehrere Wahlkämpfe. Ab 2015 ist der studierte Betriebswirt Bürgermeister von Texingtal. Seit 2002 verheiratet mit Dagmar, die im Sozialbereich arbeitet. Das Paar hat zwei Töchter (19 und 17) und einen Sohn, 13 Jahre alt. In seiner Freizeit geht Karner auf die Jagd und ist seit mehr als 20 Jahren leidenschaftlicher Discjockey.
Sind Sie ein Schwarzer oder ein Türkiser?
Ich bin beides. Den Menschen sind Farben nämlich relativ wurscht. Es geht um Werte und um Inhalte. Und da hab ich eine klare, konsequente Linie.
Apropos türkis: Der Vorgänger von Sebastian Kurz, Reinhold Mitterlehner, meinte, Kurz sei in Wahrheit über sich selbst gestolpert. Hat er recht damit?
Ich bitte um Verständnis, dass ich mir einen Kommentar dazu ersparen möchte.
Bereitet es Ihnen Kopfzerbrechen, dass die ÖVP laut letzten Umfragen nach SPÖ und sogar FPÖ auf Platz drei liegt?
Dem Innenminister bereitet vieles Kopfzerbrechen, zum Beispiel die Demonstration am kommenden Samstag, aber sicher keine Umfragen. Ich hatte in meiner beruflichen Laufbahn so viel mit Umfragen zu tun, dass sie mir völlig egal geworden sind. Abgerechnet wird am Wahltag.
Wird der 2024 sein oder früher?
Dass er 2024 sein wird, dafür bin ich und sind wir alle angelobt werden.
Eine private Frage zum Schluss. Sie sind auch bekannt als „DJ Gerard“. Wann haben Sie zuletzt aufgelegt und was?
Das war vor vier Jahren bei meinem 50. Geburtstag. Da gab es ein Fest am Dorfplatz und am Abend war ich dann Discjockey im Saal unseres örtlichen Gasthauses, mit Getränken und Preisen von damals. Gin Fizz um 13 Schilling, dazu der Sound von den Scorpions, ACDC und Deep Purple. Ich liebe es, wenn es rockt.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.