Extremismusforscher Stefan Goertz kennt die Szene der Corona-Maßnahmengegner bestens - und warnt. Neben Morddrohungen könnte es auch zu Gewaltakten kommen.
„Krone“: Woher kommt die Wut gegen unser medizinisches Personal?
Stefan Goertz: Es gibt unterschiedliche Motivationen. Eine Behauptung von Gewaltbereiten ist, sich im „Widerstand gegen eine Diktatur“ zu befinden. Diese wurde von „den Politikern da oben“, einer angeblich „entrückten Elite“, beschlossen. Die Spitäler und Impfzentren setzen diese Vorgaben um und machen sich damit „schuldig“. Wichtig ist: Die Pandemie hat historische Ausmaße, die staatlichen Maßnahmen sind absolut legitim und richtig.
Ist eine zunehmende Radikalisierung bemerkbar?
Bei den großen Demos in Wien gab es zuletzt Fälle von Gewalt gegen Polizisten. Dass in Linz ein Polizeiauto mit Benzin übergossen und angezündet wurde, ursprünglich ein Beamter attackiert und mit Benzin übergossen und angezündet werden sollte, verdeutlicht, dass potenziell große Gewaltbereitschaft gegenüber sichtbaren Vertretern des Staates besteht. In den sozialen Netzwerken gibt es eine spürbare Radikalisierung. Politiker, Bürgermeister, Ärzte und Mitarbeiter von Impfzentren werden als „Teil der Corona-Diktatur“, „Gegner“, „Feind“ konstruiert und dargestellt. Diese Freund-Feind-Muster durch enthemmte Sprache können Einzeltäter oder Zellen radikalisieren, bis hin zu Gewalt und potenziell zu Attentaten.
Nicht jeder Radikalisierte ist ein politischer Extremist, aber Extremisten wie die Identitären nutzen das.
Extremismusexperte Dr. Stefan Goertz
Auch der Verfassungsschutz warnt vor Gewalt - warum heizt sich die Stimmung aktuell derart auf?
Die Pandemie stellt eine Belastung für uns alle dar. Die meisten finden ihren Weg, damit friedlich umzugehen. Nicht jeder Radikalisierte ist ein politischer Extremist, aber Extremisten wie die Identitären nutzen das. Sie wollen in der Mitte der Bevölkerung „fischen“ und Sympathisanten finden. Extremisten, „Reichsbürger“ und „Querdenker“ mischen sich unter Protestzüge, streuen politisches Gift durch Verschwörungstheorien und Fake News. Sie schüren mit falschen Behauptungen gezielt Hass auf den Staat, das ist demokratiefeindlich. Sie wollen das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen und seine Repräsentanten nachhaltig erschüttern und damit den Staat delegitimieren.
Wer sind die Coronagegner und von welcher Gruppe geht die größte Gefahr aus?
Rechtsextremisten, Maßnahmengegner, „Querdenker“ und „Reichsbürger“ sind unterschiedliche Akteure, haben sowohl unterschiedliche als auch ähnliche Ideologieelemente und ein individuelles Verhältnis zu Gewalt gegen ihre „Gegner“ und „Feinde“. Vom Gewalttäter geht körperliche Gewalt aus. Aber jede Form von enthemmter Sprache, Hass in den sozialen Netzwerken, Aufrufen zu Gewalt, kann andere Menschen potenziell radikalisieren und zu Gewalt anstacheln.
Wenn zum Widerstand gegen vermeintliches Unrecht aufgerufen wird, besteht hier eine potenziell große Gefahr.
Extremismusforscher Dr. Stefan Goertz
Müssen wir Sorge vor terrorähnlichen Angriffen haben?
Die Idee von gewaltbereiten Maßnahmengegnern, „Widerstand“ gegen eine angebliche Diktatur zu leisten, ist potenziell gefährlich, weil der Widerstand als „legitime Notwehr“ gegen den Staat dargestellt wird. Wenn zum „Widerstand gegen vermeintliches Unrecht“ aufgerufen wird, besteht hier eine potenziell große Gefahr. In den sozialen Netzwerken fanden sich etwa vor und nach dem Mord an einem Tankstellenmitarbeiter in Deutschland zahlreiche Posts mit den Begriffen „Plant den Tag X“, „Führt Todeslisten für später“, „Bürgerkrieg“. Damit sollen und werden Rachefantasien befeuert. Rufe nach Tribunalen sind Rufe nach der ultimativen Bestrafung der in ihren Augen „Schuldigen“.
Gegen wen richtet sich der Zorn bzw. Hass besonders?
Gegen Politiker, auch gegen Bürgermeister. Bürgermeister sind in der Nähe, sehr „greifbar“. Das gilt aber ebenso für Polizeibeamte, Ärzte und Mitarbeiter von Impfzentren, Lehrer und Journalisten, sogar Mitarbeiter von Geschäften, die den Impfstatus erfassen müssen oder die Maskenpflicht einfordern. All diejenigen, die Corona-Maßnahmen „umsetzen“ oder „einfordern“, sind potenzielle Angriffsziele von gewaltbereiten Corona-Maßnahmengegnern. Das beginnt auf der unteren Stufe mit aggressiver Rhetorik, geht in den sozialen Netzwerken und auf Demos weiter mit enthemmter Sprache sowie Drohungen, auch konkrete, bis hin zu Morddrohungen.
Hier ist auch an das private Umfeld dieser so Angefeindeten zu denken. Nach Sachbeschädigungen von öffentlichen Einrichtungen wie Rathäusern, Impfzentren und Schulen stellt körperliche Gewalt die letzte Stufe dar. In Deutschland haben Impfgegner Buttersäure an Impfärzte verschickt und es wurde zu Gewalt gegen Bürgermeister - deren Namen genannt wurden - aufgerufen. In Bad Doberan wurde dazu aufgefordert, einen Bürgermeister „an der nächsten Laterne aufzuknüpfen“.
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