Seit dreieinhalb Monaten harren junge Klima-Aktivisten in der Lobau aus. Mit ihrem friedlichen Protest wollen sie den Bau der Wiener Stadtautobahn verhindern. Von der grünen Umweltministerin kam Schützenhilfe, der Lobautunnel wurde gestoppt. Aber nun droht ihnen die Stadt Wien mit Räumung und Millionenklagen. krone.tv blickt hinter die Kulissen.
Rückblende. August 2021. Es ist warm, die Sonne taucht die Zelte in der Wiese am Stützpunkt in ein helles Licht. Zwischen den Bäumen sind Hängematten gespannt, in denen die Aktivisten schaukeln oder schlafen. Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, gegen Feinstaub zu protestieren und gleichzeitig im Camp zu rauchen, gibt es eine Raucherzone, abgetrennt mit einem roten Band. Hier ist der „Info-Point“, die erste Anlaufstelle für Freiwillige, Journalisten und andere Neugierige.
Auch Corona-Maßnahmen werden strikt eingehalten. Am Eingang werden Impfnachweise und PCR-Ergebnisse kontrolliert. Die Aktivisten möchten potenzielle Cluster und Negativmeldungen unbedingt vermeiden. Schließlich geht es um die gute Sache. Die geplante Stadtautobahn, die mitten durch ein in Europa einzigartiges Naturschutzgebiet führt, muss verhindert werden.
Der Protest hat viele Gesichter. Eines davon ist die Musik. Drei Aktivisten - wir dürfen sie filmen, aber nicht ihre Namen nennen - spielen Gitarre und singen, angelehnt an den Song „Durch den Monsun“ von Tokio Hotel: „Sie sagen durch den Konsum, rette die Welt, du hast’s in der Hand, ob kein Regen mehr fällt. Geh in Supermarkt - die Regale entlang, wieder ein neues Produkt, dass die Welt ändern kann. Und langsam glaub ich nicht mehr dran. An ein System, dass nichts mehr bieten kann“. Die Szene wirkt fast idyllisch. Heute wird es noch eine Führung durch die von den Aktivisten besetzten Baustellen geben, Gymnastik und gruppendynamische Übungen runden das Tagesprogramm ab.
Asfinag und Strabag-Mitarbeiter dokumentieren Aktivisten
Hirschstettner Straße 44, ein weiterer Basis-Stützpunkt: Der Sommer geht langsam zu Ende. Wenige möchten sprechen. Dann treffen wir Klaus - es ist ein Deckname. Mit FFP2-Mundschutz und Katzenmaske erklärt er, warum er anonym bleiben muss: „Ich möchte nicht sagen, wie lange ich schon hier bin, weil für das Besetzen dieser Fläche Asfinag und Strabag nicht davor zurückschrecken, den Menschen, die hier wohnen, Strafen im vierstelligen Bereich aufzudrücken.“ Aber nicht nur drohende Geldstrafen sind nervenaufreibend. „Täglich kommen Leute und machen Fotos von uns. Es ist nicht lustig, hier zu sein. Natürlich würde ich lieber in einer beheizten Wohnung schlafen oder Urlaub machen. Stattdessen sind wir hier und sitzen im Sand neben dem Stau. Es ist laut und anstrengend, hier zu sein. Es kam auch schon zu Handgreiflichkeiten zwischen Mitarbeitern der Asfinag und Strabag, die leider nicht dokumentiert wurden.“
Dennoch harrt Klaus, wie viele andere, hier aus. „Hoffnung nein und ja, es ist das Richtige, hier zu sein und sich einzusetzen. Ich habe noch viel Jahre auf diesem Planeten und da will ich in einer Welt leben, die nicht fünf Grad wärmer ist“, so Klaus. Nachhaltig ist auch die Ernährung der Lobau-Besetzer. Aus der ganzen Stadt werden Lebensmittel geliefert, die sonst im Müll gelandet werden. Hier im Camp werden daraus köstliche Eintöpfe. Auch Obst und Käse gibt es. Für fließendes Wasser wurde ein eigener Anschluss gespendet - trotzdem entleeren sich die Versorgungstanks schnell.
Vereinte Kräfte
Alles ist in Bewegung hier. Zu Fuß oder am Rad kommt man am besten von Camp zu Camp. Und überall gibt’s was zu tun. Für die Instandhaltung all dieser Stationen haben sich Organisationen wie Greenpeace, Extinction Rebellion, System Change Not Climate Change, Fridays For Future, Hirschtetten retten - und noch viele mehr zusammengeschlossen. Was durch Spenden nicht abgedeckt werden kann, wird gemeinsam bestellt und geliefert. Hier treffen sich täglich unterschiedlichste junge Menschen, die der Protest eint. Eine Herausforderung bei so vielen verschiedenen Altersgruppen und selbst hier können die Meinungen auseinandergehen. Täglich setzt man auf Dialog und Kompromisse. Manchen verlangt das Zusammensein viel ab, sie brauchen dann eine Pause und kommen danach einfach wieder.
Der Herbst beginnt. Die Nächte werden immer kälter, Zelte müssen wetterfest gemacht werden. Sturmböen, Schnee, Regen und Wind verstreuen, was nicht niet- und nagelfest ist. „Wir werden weiter dafür kämpfen, dass die fossilen Straßenbau-Projekte abgesagt werden und eine Mobilitätswende kommt. Auch, wenn der Schnee und die Kälte immer mehr werden. Wir sind winterfest und wir werden hier nicht weggehen“, sagt Flo von Extinction Rebellion. Er ist erst seit zwei Tagen im Camp. Winterschicht sozusagen. Seit dem letzten Besuch gibt es jetzt eine Jute zum Aufwärmen und ein Essenszelt. Sehr stolz sind die Bewohner auf die erbaute Pyramide. „Bei den Besetzungen wurden mehrere Holzkonstruktionen gebaut“, erklärt Flo, „einerseits ein Holzturm, andererseits die Pyramide, die sogar gedämmt wurde.“
„Bleiben, bis Stadt Wien ernsthafte Gespräche führt“
Vor drei Monaten kam Shiri ins Camp. „Ich bin rechtzeitig für die Winterruhe hier“, scherzt er. „Wir müssen hierbleiben. Wir sollten über ganz andere Dinge reden, wir sollten schon viel weiter sein, was Alternativen betrifft, anstatt zwanzig Jahre alte Bauprojekte umzusetzen, die nicht zukunftstauglich sind. So lange bleiben wir hier - bis das eingesehen und akzeptiert wird. Bis die Stadt Wien mit uns ernsthafte Gespräche führt.“ Momentan versuchen die Aktivisten, sich einen Überblick zu verschaffen, was noch gebraucht wird. Man will die Menge an Zelten minimieren. Im Essenszelt hat nun vorübergehend auch der „Kost-nix-Laden“ ein „Schaufenster“ Platz gefunden. Bücher, Pullover und mehr werden hier kostenlos weitergegeben.
„Es ist nichts Luxuriöses“
Fibi macht sich gerade einen Tee mit Honig und erzählt von ihrer Motivation. „Dieses Camp ist ein Experimentierraum und Entfaltungsraum, wo man Projekte starten und neue Dinge ausprobieren, sich im Zusammenleben mit Menschen üben kann. Es ist nichts Luxuriöses. Wir schaffen jeden Tag Trinkwasser an. Es ist mit recht viel Arbeit verbunden. Der Alltag sowie auch die Strategie - die Überlegung, wie kommen wir eigentlich hin an unser Ziel, den Bau des Lobautunnels und der Stadtautobahn zu verhindern. Das fordert viel strategische, theoretische Arbeit, aber auch handwerkliche Arbeit und tägliches Tun“, sagt Fibi. Auf dem Essenszelt hat sich Wasser gesammelt. Fibi hebt das Zelt an, ein Wasserfall aus kondensiertem Schnee ergießt sich auf die Kabel am Boden. Gemeinsam legen sie die Pfütze mit Heu trocken.
Neben der U2-Station Hausfeldstraße soll die Stadtstraße entstehen. Hier haben Aktivisten 100 Schwarzkiefer-Bäume gepflanzt, um ein Zeichen gegen die Trasse zu setzen. „Ich lebe hier zivilen Ungehorsam, weil ich als ehrenwerter Bürger die Verpflichtung habe, dem Staat und den Gesetzten etwas entgegenzusetzen, wenn diese Regierung und deren Gesetze nicht für die Sicherheit meines Lebens und meiner Kinder sorgt.“ Der Mann, der so spricht, nennt sich „Geh was hackeln“. Momentan hält das Wetter alle auf Trab. Wenn ein Sturm alles zerstört, „kostet uns das einen Tag, um alles wieder wetterfest zu machen“, sagt der 35-Jährige.
Und weiter: „Dass der Lobautunnel gekippt ist, freut mich sehr. Ich hoffe, es bleibt dabei. Es ist nur ein Teilerfolg, weil die Stadtstraße noch immer im Raum steht. Darüber hinaus geht es aber um mehr. Es gibt noch immer viel zu viel Verkehr, viel größere Baustellen kosten uns die Zukunft. Die Stadtstraße ist etwas Schönes, weil sie hier ist, da können alle herkommen und mitreden, sich treffen und vernetzen und etwas Alternatives hinstellen wie dieses Öko-Dorf oder Innovationszentrum.“ Gemeint ist das Zusammenleben hier im Niemandsland.
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