Dramatische Folgen der Lockdowns für die Jugendlichen: Die Belastungsgrenze ist überschritten. 62 Prozent der Mädchen und 38 Prozent der Burschen leiden psychisch schwer. Ein Fünftel der Mädchen und 14 Prozent der Burschen leiden unter wiederkehrenden suizidalen Gedanken.
Gerade haben die jungen Leute ihre Freiheit entdeckt, schon wurde ihnen diese genommen. Bald zwei Jahre Pandemie und ihre Lockdowns haben tiefe Spuren in der Psyche von Kindern und Jugendlichen hinterlassen. Soziale Kontakte beschränken sich seitdem auf virtuelle Chats, Sport- und Kultureinrichtungen sind geschlossen. Feiern ist und war seit Monaten nur „heimlich“ erlaubt. Und selbst die Teilnahme am normalen Schulunterricht ist mit Schwierigkeiten und ständig neuen Regeln verbunden.
Bis jetzt - und das Wintersemester neigt sich bereits dem Ende - wissen etwa die Maturanten nicht, ob wie bei ihren Vorgängern die mündliche Reifeprüfung auf freiwilliger Basis stattfindet oder nicht. Studenten kennen die Uni meist nur noch von außen. Die jungen Menschen blicken verunsichert in ihre Zukunft.
Es ist besorgniserregend. Ein Fünftel der Mädchen und 14 Prozent der Burschen leiden unter wiederkehrenden suizidalen Gedanken.
Prof. Dr. Christoph Pieh, Studienautor
Depression, Angstzustände, Schlafstörung
So kommt eine aktuelle Studie der Donau-Universität Krems zu einem alarmierenden Ergebnis: 62 Prozent der Mädchen und 38 Prozent der Burschen sind mittelgradig entmutigt. Weiters haben sich depressive Symptome, Angstsymptome, aber auch Schlafstörungen verfünf- bis verzehnfacht. Studienautor Christoph Pieh fordert daher mehr Unterstützung.
Seit Beginn der Covid-19-Pandemie nimmt das Department für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit die psychische Gesundheit der Bevölkerung unter die Lupe. Besonders gravierend sind die Ergebnisse bei jungen Menschen, die schon in den vergangenen Untersuchungen stets am stärksten belastet waren.
Kinder benötigen Kinder für ihre Entwicklung. Es braucht eine gute Gesundheitsversorgung und ausreichend Therapiemöglichkeiten.
Dunja Gharwal, Kinder- und Jugendanwältin
Dieses Mal wurden von Oktober bis November die Daten von 1500 Schülern im Alter von 14 bis 20 Jahren erhoben. Besorgniserregend ist die Tatsache, dass rund ein Fünftel der Mädchen und 14 Prozent der Burschen unter wiederkehrenden Suizid-Gedanken leidet. Im Klartext: Sie denken entweder täglich oder an mehr als der Hälfte der Tage daran, sich etwas anzutun.
„Psychische Probleme ernst nehmen“
„Die Ergebnisse machen eines klar: Die Belastungsgrenze der Jugendlichen ist weit überschritten“, so Pieh. Es ist ein dringender Appell an alle Beteiligten, sofort mehr für die psychische Gesundheit der Jugendlichen zu tun. Gleichzeitig werden Jugendliche nachdrücklich gebeten, psychische Probleme auch ernst zu nehmen.
„Kinder brauchen Kinder“
„Hilfe in Anspruch zu nehmen ist ein Zeichen der Stärke und ist gerade in schweren Fällen dringend anzuraten“, fügt er hinzu. „Kinder brauchen Kinder“, kennt auch Dunja Gharwal von der Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft das Problem. Denn die schulischen Kontakte würden nicht ausreichen für ihre Entwicklung. Sie fordert die ganze Palette von Therapiemöglichkeiten. Diese wäre auch unter Einhaltung der Hygieneregeln machbar.
Interview: „Solch erschreckende Zahlen müssen ein Weckruf sein“
Bundesschulsprecherin Susanna Öllinger macht sich für Schüler stark, fordert Gleichstellung von psychischer und physischer Gesundheit.
„Krone“: Frau Öllinger, Sie sind Bundesschulsprecherin und sind mit der Situation an Österreichs Schulen vertraut. Was ist Ihre Forderung in Hinblick auf die psychische Gesundheit der heimischen Schüler?
Susanne Öllinger: Die Schülerschaft fordert eine Gleichstellung der psychischen mit der physischen Gesundheit: Es ist ganz normal, zum Arzt zu gehen, wenn man sich den Fuß verstaucht, aber sobald jemand erzählt, er besuche seine Psychotherapeutin, sorgt das für Aufsehen und Erschrockenheit.
Warum möchte niemand darüber sprechen, wenn er unter Depressionen leidet?
Aufgrund vieler Stigmata und Vorurteile trauen sich Kinder und Jugendliche nicht, über ihre psychischen Belastungen zu sprechen. Gemeinsam müssen wir jetzt jungen Menschen helfen, ihre Not früh zu erkennen. Und sich auch trauen, diese auszusprechen und Hilfe anzunehmen.
Was ist die Ursache dafür, dass sich die Situation dramatisch zugespitzt hat?
Durch die zusätzliche Belastung der vergangenen 1,5 Jahre haben Studienergebnisse ihren erschreckenden Höhepunkt erreicht. Leider hat es erst eine Pandemie mit Statistiken und Umfragewerten geschafft, das Thema in die Mitte der sozialen Diskussion zu stellen. Die Zahlen müssen ein Weckruf sein.
Welche Bedeutung haben die Schule und das pädagogische Personal?
Schule ist viel mehr als nur Auswendiglernen aus Schulbüchern und trockener Frontalunterricht. Wir Schülerinnen und Schüler verbringen fast unsere ganze psychosoziale Entwicklung in der Schule, wodurch diese auch einen großen Einfluss auf uns als Wesen hat. Die Schule ist der Ort, den fast alle Kinder und Jugendlichen täglich besuchen. Diese Frequenz muss genutzt werden, um die nötigen Strukturen zur Unterstützung von Schülern bei psychischen Problemen zu schaffen. Gerade bereits vorhandene Ressourcen wie Lehrkräfte können gezielt dafür eingesetzt werden. Für uns sind dabei Vertrauenslehrer ein wirklich wichtiger Schlüsselpunkt.
Sollten Sie oder eine Ihnen nahestehende Person Unterstützung benötigen, bietet Ihnen die Telefonseelsorge unter der kostenlosen Telefonnummer 142 rund um die Uhr Beratung für alle Lebenslagen. Mehr Infos finden Sie hier.
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