Österreichs Top-Schauspieler Peter Simonischek erinnert sich im Interview mit uns an sein Weihnachten in der Kindheit zurück, erzählt, warum er die Traditionen seiner Eltern gerne an die eigenen Kinder weiterträgt und sinniert über die Schwierigkeiten des Weihnachtsfriedens in Zeiten der zunehmenden Gesellschaftsspaltung.
„Krone“: Herr Simonischek, verändert sich die Bedeutung des Weihnachtsfestes mit den fortschreitenden Jahren?
Peter Simonischek: Absolut. Ich erinnere mich an eine christlich-romantische Kindheitserwartung, die in meinem Fall sehr aufregend war. Mein Vater hat das mit dem Schüren der Erwartungen immer schön gemacht. Ich bin 1946 geboren und nach den Jahren des Krieges und der schrecklichen Zeit war Weihnachten etwas ganz Besonderes - auch für meinen Vater. Da konnte man wieder daran anknüpfen, was vor dieser grauenhaften Zeit war. Heute herrscht zu viel Brutalität in der Sprache. Hören Sie sich eine Rede von Kickl an. Selbst im Parlament. Er sitzt selbst darin und vergleicht es mit einem Laufhaus. Wo sind wir denn?
Herrscht bei uns zu Weihnachten nur mehr eine Scheinbesinnlichkeit? Jetzt noch mehr, als es früher der Fall war?
Man kann nicht alle über einen Kamm scheren. Es gibt viele Menschen, denen Weihnachten auch aus religiösen Gründen ein hohes Fest ist und die ihre Rituale mit Begeisterung leben, nur sind das sicher weniger als früher. Ich versuche das Weihnachten der Kindheit in die Gegenwart zu retten: eine romantische Tradition. Nachdem ich von Beruf Schauspieler bin, habe ich keine Probleme damit, mich mit Fantasie und fantastischen Dingen zu beschäftigen und sie als bare Münze und Wahrheit zu nehmen. Selbstverständlich gibt es auch in der Fantasie eine Wahrhaftigkeit.
Diese Wahrhaftigkeit wird vom Konsumdenken und dem Shoppingwahn konterkariert. Jetzt, zu den zweiten Pandemieweihnachten, ist das etwas eingeschränkter, aber immer noch deutlich spürbar.
Ich entkomme dem Konsumdenken offensichtlich, denn ich habe nicht mal mitgekriegt, dass der letzte Sonntag offen war. Ersatzweise werden diese sonst geschlossenen Geschäfte aber erfolgreich konterkariert mit der Aufregung wegen der Anti-Impf-Demonstrationen. Es ist für mich eine schmerzliche Erfahrung, dass es völlig sinnlos ist, mit Freunden anderer Meinung darüber zu reden.
Steckt man nicht viel zu viele Sehnsüchte und Erwartungen in den Heiligen Abend einerseits und die gesamte Adventzeit andererseits?
Es gibt Leute, die die Riten mit der Kirche mitgehen und ein Programm haben. Es gibt auch Familien, wo in der Adventzeit viel gesungen wird. Bei uns zuhause setzt sich meine Frau ans Klavier und klimpert Weihnachtslieder. Sie ist keine große Pianistin, aber sie übt im Dezember immer. Meine zwei Buben und ich machen die Herbergssuche, aber das ist mehr Gaudi als ernsthaftes Gedenken. Weihnachten ist für mich zu 90 Prozent Tradition und das Besinnen auf Traditionen. Es gibt auch welche, denen geht Weihnachten sprichwörtlich am Arsch vorbei. Heute hat jeder alle Freiheiten. Jeder kann machen, was er will. Das ist historisch einmalig, so eine Dimension an Freiheit hat es nie gegeben. Nur wie gehen wir damit um? Damit sind viele Menschen überfordert. Die digitalen Medien haben uns sehr verändert.
Ist die Weihnachtszeit noch die einzige im Jahr, wo man sich Nostalgie zurückholen kann?
Natürlich hängt da auch ein großer Markt dran. Heute kann man alles auch virtuell erleben. Als ich Volksschüler war, stand ich zweimal die Woche um 5.30 Uhr auf und war eine halbe Stunde später bei der Messe ministrieren. Wenn man als Kinder im Finstern durch den Schnee stapft und in die Sakristei kommt, erlebt man mehr, als vor dem Computer. Diese Erinnerungen sind unersetzlich, egal wie viel man an den Knöpfen am PC herumdrückt. (lacht)
Vergegenwärtigen Sie sich heute gerne die weihnachtlichen Momente aus Ihrer Kindheit, weil sie vielleicht die heilsten und schönsten waren?
Sehr sogar. Nikolaus und Weihnachten sind unvergesslich. Die Aufregung, dass das Christkind kommt, war die größte des Jahres. Großvater hatte einen tollen Schmäh und meinte immer, er hätte was gesehen. Der Vater hat dann immer theatralisch gefragt, warum das Fenster bei eingeschalteter Heizung offen sei und natürlich hatte es keiner aufgemacht. Plötzlich waren da Goldstaub und ein goldenes Haar. Waren die Engel schon da? Ich hatte so viel Gänsehaut, ich bin dabei fast ausgerastet. Jetzt weiß ich, warum ich zum Theater gegangen bin. (lacht)
Haben Sie auch die Briefe ans Christkind geschrieben und beim offenen Fenster deponiert?
Natürlich. Zwischen die Fenster und irgendwann war der Brief weg. Was das wieder für eine Aufregung war! Heute sind meine Söhne schon groß, aber als sie zwölf Jahre alt waren, konnte ich ihre Wunschzettel nicht entziffern. Es waren nur Fachausdrücke drauf. Welcher Anschluss genau zu welchem Gerät passt. Man kann die Kinder gar nicht mehr beschenken. Man kann es natürlich versuchen, aber wenn der Zuständige beim Media Markt mir sagt, er hätte das eine oder andere gerade nicht da, bin ich schon aufgeschmissen. Dann läuft alles aufs Bargeld raus und sie beschenken sich damit selbst. (lacht)
Wollten Sie die schönen Momente ihrer Kindheit an Ihre eigenen Kinder weitergeben?
Freilich. Menschen, die zu weihnachtlichen Events gehen, gehen auch deshalb dorthin, weil sie die Zeit ein bisschen zurückdrehen wollen. Weil sie sich gerne an die Vergangenheit erinnern. Es gibt schöne Geschichten wie von Trude Marzik, wie Weihnachten früher war. Das Christbaumschmuck basteln und schmücken. Ich habe bei meinen Kindern immer vollen Ehrgeiz reingelegt. Wenn es klingelt, dann war mir wichtig, dass alle bei Tisch sitzen und nicht der ominöse Eine fehlt. Früher habe ich mit Spagat akrobatische Züge über den Balkon gemacht, damit das Glockerl läutet und wir trotzdem am Tisch waren. Später habe ich das elektronisch gelöst. Ich habe eine CD gebrannt, wo nach zehn Minuten das Läuten losging. Man muss nur geschickt sein. (lacht)
Sind Sie gerne Weihnachtsnostalgiker?
Ich bin einer der längst gedienten Nikoläuse. Für die Schauspieler, früher im Internat und später für andere Kinder. Wenn ein Nikolaus gefragt war, habe ich ihn gespielt.
Heute gibt es zunehmend Glaubensdiskussionen zwischen Christkind und Weihnachtsmann. Wie sehen Sie die Situation?
Bei mir kam natürlich immer das Christkind und das ist in meiner Familie so geblieben. Der Weihnachtsmann ist absolut okay, aber für mich ist er ein Zwitter aus Nikolaus und Knecht Ruprecht.
Die Weihnachtszeit geht für viele Menschen auch Hand in Hand mit Einsamkeit, Melancholie und Trauer. Kann man etwas gegen diese Gefühle tun?
Bei meiner Frau zuhause war es früher immer Tradition, zu Weihnachten jemanden von der Straße einzuladen. Das ist eine ganz bestimmte Geste. Manchmal lädt man jemanden ein und fühlt sich selbst nicht mehr so schlecht.
Also geht es da gar nicht um die Nächstenliebe?
Das würde ich natürlich nicht allen Leuten unterstellen, aber bei karitativen Aktionen gab es das schon immer. Im Barock gab es kein Sozialsystem in dem Sinn. So haben die Adeligen an die Bettler gespendet, die um die Kirche standen. Dann lief neben einer mit, der die Glocke bei jeder Spende läutete, damit alle Menschen sehen, dass der „Herr von Sowieso“ wieder gnädig Geld in den Hut geschmissen hat. Heute gibt’s auf Parkbänken Taferl. Gespendet vom „Herrn Medizinalrat“. Aktionen wie „Licht ins Dunkel“ sind toll. Man möchte meinen, dass der Staat mehr macht, aber wo da das Geld hingeht, das ist ein Wahnsinn. Es wird so viel Geld für die Rüstungsindustrie ausgegeben. Andererseits würde es einen Bruchteil kosten, Flüchtlingen etwas zu essen zu geben. Aber das wird nicht gemacht. Wenn jemand seine Firma so leiten würde wie unsere Politiker das Land, wir wären alle überrascht. Flüchtlinge überraschen die Regierung, obwohl sie immer da sind. Die Deutschen sind überrascht über die Wiedervereinigung, obwohl sie im Grundgesetz steht. Wir werden überrascht von der Pandemie. Von der ersten, zweiten und jetzt bereits fünften Welle. Auch der Klimawandel überrascht alle. Das kann ja nicht sein.
Zusätzlich kommt der Gemeinschaftsgedanke immer mehr ins Wanken.
Aufeinander zugehen und helfen, das sollte ja nicht nur zu Weihnachten passieren. Wir werden in den nächsten Jahren sehr viel guten Willen brauchen, um aufeinander zuzugehen. Seit ich auf der Welt bin, habe ich so eine Spaltung noch nicht erlebt. Im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis hört man von gewissen Leuten nichts mehr. Ich habe selbst ein Problem anzurufen, denn das Impfthema muss man penibel ausklammern. Was man sich da alles anhören muss… das ist reines Gift.
Zu Weihnachten fanden sich die erbittertsten Gegner für kurze Zeit zusammen oder haben zumindest stillschweigend temporären Frieden beschlossen. Sogar im Ersten Weltkrieg. Ist das Impfthema nun eines, das nicht einmal mehr zu Weihnachten einen und verbinden kann?
Weihnachten war doch immer auch ein äußerst konfliktträchtiger Abend. Die Polizei muss wohl oft ausrücken, denn es ist auch der Abend, wo die Schwiegermütter zu den Familien stoßen. Das birgt in den unterschiedlichen Beziehungen viel Sprengstoff, wie es schon die Legion der Schwiegermütterwitze beweist. Was ist flüssiger als Wasser? Die Schwiegermutter, die ist überflüssig. (lacht) Jetzt wäre es aber schon angebracht, sich um Annäherung zu bemühen. In der Weihnachtsliturgie heißt es „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf den Erden den Menschen, die guten Willens sind“. Den guten Willen muss man im Moment aber suchen.
Welchen Stellenwert hat die Religion für Sie in Verbindung mit dem Weihnachtsfest?
Einen romantischen Stellenwert. Ich gehe in die Kirche, weil ich mich dort wohlfühle und mich an meine Kindheit erinnert fühle. Ich war neun Jahre lang in einem Benediktinerkonvikt in Sankt Paul im Lavanttal. Die ganze Mittelschulzeit in einem katholischen Internat. Danach gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder schauen Sie eine Kirche nie wieder von innen an, oder sie wird ein Teil Ihres Lebens. Und so ist es bei mir. In dieser romanischen Stiftskirche habe ich später sogar geheiratet, wo ich früher im Internet war. Furchtbar viele Menschen sind aus der Kirche wegen der Missbrauchsfälle ausgetreten, sie machten einen radikalen Schnitt. Ich finde, man muss zwischen Kirche und Religion unterscheiden.
Man kann auch aus der Kirche austreten und trotzdem gläubig sein.
Das geht natürlich auch. Das, was wir glauben und was unsere Glaubenssätze und Dogmen sind, wird von der katholischen Kirche und in der Schule überwacht. Im Islam ist das ganz anders, dort kann jeder den Koran so auslegen, wie er es für richtig hält. Mir meinen Islam, dir deinen Islam. Bei uns gibt es aber Dogmen, wo es nicht immer leicht ist, ihnen zu folgen. Bei der leiblichen Auferstehung bin ich etwa komplett überfordert. Andere Religionen geben das ein bisschen billiger.
Haben Sie Weihnachten durch Ihre Kinder selbst noch einmal anders kennengelernt?
Meine Frau bringt die Traditionen aus ihrer Familie in Kärnten und ich meine aus meiner in der Steiermark mit. Das hat zur Folge, dass die Rituale insgesamt mehr werden. Durch meine Frau gibt es jedes Weihnachten eine Schlutzkrapfensuppe, eine Kärntner Spezialität. Ich bin begeisterter Schwammerlsucher, -finder und -esser. Zu Weihnachten gab es dann abends bei meiner Mutter immer die ersten eingelegten Schwammerl. Das Internat damals war so wie heute ein Gefängnis. 60 Leute in einem Schlafsaal, um 6 Uhr aufstehen und Silentium bis nach dem Frühstück. Ein sehr strammes Programm. Das Nachhausekommen hatte dadurch eine ganz andere Qualität. Ich durfte in der Früh auch mal ausschlafen. Aber auch nicht immer, denn mein Vater war begeisterter Waldläufer. Der kam oft schon um 5 Uhr früh und packte mich am Zeh, damit ich mit ihm loslaufe. Der hat sich natürlich auch gefreut, dass sein Bub daheim ist und wollte dann sofort mit mir los. (lacht)
Was war das schönste Weihnachtsgeschenk, das Sie je bekommen haben?
Ich kann mich gut an eine Gitarre erinnern, das war extrem lustig. Mit den Geschenken war es früher nicht so. Ich wünschte mir immer ein Fahrrad, das gab es nie. Jedenfalls ging ich damals in mein Zimmer und da lag eine Gitarre als Torte. Das war natürlich schön, aber ich fühlte mich auch unfair behandelt. Kriege ich wirklich einen Kuchen aus Gitarre? Dann hat mein Vater die Cremesaiten angegriffen und plötzlich hörte ich einen Klang. Er hatte die Gitarre unterm Tisch festgebunden und vor mir versteckt und der Kuchen war drüber. Das ist Liebe. Wenn sich die Eltern für einen so etwas einfallen lassen, das vergisst man nie.
Ist es Ihnen wichtig, selbst bewusst zu schenken?
Ich habe eher Probleme damit, genau zu Weihnachten schenken zu müssen. Ich schenke irrsinnig gerne, aber wenn ich was sehe, dann will ich das mitnehmen und sofort schenken. Zu Weihnachten muss es sein, aber damit habe ich Probleme. Man hat nicht immer auf Knopfdruck die geniale Idee. Meine Söhne sind dahingehend wirklich gut. Der Mittlere hört das ganze Jahr gut zu, er spitzt die Ohren. Der ging her und schenkte mir zu Weihnachten ein paar „Prinz Eisenherz“-Hefte. Da war ich den Tränen nahe. Er hat aufgepasst und sich gemerkt, dass ich selbst als Bub die Zeichnungen des Illustrators Hal Foster so mochte. Ich weiß dann genau, dass er diese Hefte wo gesucht und aufgetrieben hat. Er hat sich gemerkt, dass es die Kindheit seines Papas war. So etwas ist schön und freut mich. Solche Volltreffer würde ich auch gerne machen.
Verbringen Sie Ihre Weihnachten in Wien, Kärnten oder der Steiermark?
Als meine Eltern noch lebten, haben wir sie immer nach Wien eingeladen. Mein Vater war darüber nicht so glücklich. Er feierte lieber daheim und je älter man wird, umso beschwerlicher werden die Reisen. Die Eltern kamen dann aber doch. Weihnachten ist immer anders, wenn man kleine Kinder hat. Meine drei Söhne sind alle in Berlin geboren und ich habe dann das gleiche gemacht, wie mein Vater mit mir. Es ist schön, wenn man das so weitergeben kann. Heute ist es etwas grotesk, denn meine Frau und ich sind eigentlich alleine. Meine zwei Enkelkinder sind aus meiner ersten Ehe und die feiern in Tirol, wo die Schwiegertochter lebt. Meistens gehen die Frauen mit ihren Kindern zur Mutter.
Wir fahren auf unsere Almhütte auf die Teichalm. Da ist heuer viel Schnee und der jüngste Sohn kommt mit. Dort werden wir zusammen ein paar Weihnachtslieder singen. Es wird gekocht und es werden Spiele gespielt. Je älter man wird, umso schwieriger wird die Weihnachtsmotivation. Wenn kleine Kinder im Spiel sind, sieht das aber anders aus. Dann kommen auch wieder die alten Bilder hervor. Die eine Oma, die in der Ecke sitzt und das Weihnachtspapier aufwickelt, weil man es immer wieder verwenden kann. (lacht) Die andere Oma, die von einem zum nächsten geht und jedes Geschenk kommentiert. Das sind die Erinnerungen an früher.
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