Arbeitsminister Martin Kocher zieht Bilanz über sein erstes Jahr in der Politik. Im „Krone“-Interview spricht er über seine Abneigung gegenüber Wetten, das Feiglingsspiel, die Sonntagsöffnung und darüber, warum er für die Beibehaltung der 3G-Regel im Job ist.
„Krone“: Sie sind nun knapp ein Jahr im Amt. Es war turbulent, in jeder Hinsicht. Ist das Ministerdasein dennoch so wie erwartet?
Martin Kocher: Durchaus. Ich denke, ich hatte sehr realistische Erwartungen. Es war klar, dass es aufgrund der Pandemie turbulent wird, was den Arbeitsmarkt betrifft. Dass sich politisch so viele Turbulenzen ergeben, war nicht zu erwarten, aber Politik ist ein kurzlebiges Geschäft.
Sie haben zu Beginn Ihrer Polit-Karriere gesagt, Sie möchten sich auf Ihren Bereich konzentrieren und nicht alles kommentieren. Vor dem Rücktritt von Sebastian Kurz als Bundeskanzler haben Sie jedoch das sogenannte „Chicken game“ (Anm.: Beim „Feiglingsspiel“ rasen zwei Sportwagen aufeinander zu. Wer ausweicht, beweist seine Angst und hat verloren. Weicht keiner aus, haben beide zwar die Mutprobe bestanden, sterben aber.) getwittert.
Natürlich kann man sich nicht ganz aus allen politischen Diskussionen heraushalten. Es gibt Situationen, wo es notwendig ist, dass man sich klar auf eine Seite begibt. Der Tweet war eine Analyse der Situation, die Lage hat sich zugespitzt, und es war wichtig, dass alle wissen, dass diese Zuspitzung auch auf Kosten des Staates gehen kann.
Ich habe vor Kurzem ein Interview mit den Klubobleuten der Koalition, Sigrid Maurer und August Wöginger, gemacht. Beide meinten auf die Frage, wie viel sie bei einer Wette, dass die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode 2024 hält, einsetzen würden: sehr viel. Wie viel würden Sie einsetzen?
Ich wette sehr ungern.
Ich habe fast befürchtet, dass Sie das sagen.
(lacht) Aber ich wäre natürlich bereit zu wetten. Ich bin optimistisch, dass die Regierung die nächsten Jahre hält. Das eine oder andere Monat früher oder später ist schwer abschätzbar.
Sie sind bei Ihrem Amtsantritt mit vielen Vorschusslorbeeren von vielen Seiten überhäuft worden. Ein Jahr später sieht die Sache anders aus, es gibt Kritiker, die Ihnen vorwerfen, nur ÖVP-Klientelpolitik zu betreiben.
Es ist klar, dass es mit der Zeit eine stärkere Polarisierung gibt. Es ist auch immer eine Frage der Erwartungshaltung. Meine Aufgabe war, die Folgen der Pandemie auf dem Arbeitsmarkt so gut wie möglich einzudämmen. Das ist uns gelungen. Die zweite Aufgabe war, die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung zu stellen. Wir haben heuer und nächstes Jahr das größte Budget seit Langem. Alles andere sind Wunschvorstellungen.
Einer der Vorwürfe dreht sich um die Debatte um einen europäischen Mindestlohn. Sie sind dagegen. Wieso?
Wir waren nie dagegen, wir haben uns bei der Abstimmung enthalten. Uns ist wichtig, dass das System der Kollektivvertragsautonomie nicht gefährdet wird und dass Kollektivverträge nicht ausgehebelt werden.
Im November waren 363.494 Menschen arbeitslos gemeldet beziehungsweise in einer AMS-Schulung, dazu kommen 81.805 Beschäftigte in Kurzarbeit. Gleichzeitig klagen Betriebe, dass sie kein Personal finden. Wie passt das zusammen?
Es passt insofern zusammen, als es einen unglaublichen Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt gegeben hat im Laufe des Sommers. Wir haben viele offene Stellen, so kommt es auf dem Arbeitsmarkt vor allem regional zu einer Knappheit. Das Schwierige ist zu verstehen, dass dies parallel zu einer Pandemie passiert, die eigentlich negative Folgen auf die Wirtschaft hat. Aber auf dem Arbeitsmarkt sind diese nur mehr begrenzt sichtbar.
Sie haben im Sommer mit Sanktionen für Arbeitslose gedroht, für jene, die angebotene Jobs nicht annehmen. Sind Drohungen der richtige Weg?
Wir haben während der ersten Phase der Pandemie, als die Lage auf dem Arbeitsmarkt besonders schlecht war, Sanktionen, die gesetzlich vorgesehen sind, ausgesetzt. Dann kam die Erholung, und es war klar, dass wir auch bei den Sanktionen wieder auf den früheren Status kommen müssen.
Sie haben eine Reform des Arbeitslosengeldes angekündigt. Diese hätte im ersten Quartal 2022 kommen sollen, verspätet sich aber. Wann wird die Reform nun fertig sein, und wie sehen die Eckpunkte aus?
Es haben sich einige Gespräche verschoben, es dürfte nun das zweite Quartal werden, aber das ändert nichts am geplanten Inkrafttreten ab 2023. Mir ist wichtig, dass wir die Reform als Gesamtpaket sehen, daher ist es schwierig, Einzelmaßnahmen zu diskutieren. Es wird intensiver in Richtung eines degressiven Arbeitslosengeldes gearbeitet. Wir haben auch gelernt, dass die Zuverdienstmöglichkeit, so wie sie jetzt ausgestaltet ist, nicht optimal ist. Da könnte es eine zeitliche Befristung oder andere Einschränkungen geben, um Arbeitslosigkeit nicht verfestigen zu lassen. Und dann gibt es noch einige Dinge, die mit Zumutbarkeitsbestimmungen zusammenhängen. Ich bitte um Verständnis, dass wir das als Paket vorstellen, wenn es so weit ist.
Es gab vor Kurzem einen Einkaufssonntag, der die Debatte über eine generelle Sonntagsöffnung wieder angeheizt hat. Wie stehen Sie dazu?
Das war eine Einmal-Aktion, es gab eine Vereinbarung zwischen Gewerkschaft und Arbeitergebervertretern. Mir ist wichtig, dass es angemessene Zuschläge gibt. Wenn das von beiden Kollektivvertragsparteien so vereinbart wird, hätte ich nichts dagegen.
Im Februar tritt die allgemeine Impfpflicht in Kraft. Auf dem Arbeitsplatz gilt weiterhin 3G. Ist das nicht eine etwas schizophrene Situation?
Das würde ich umgekehrt sehen. Bei 2G auf dem Arbeitsplatz würden Menschen, die sich nicht impfen lassen, sofort den Job verlieren, den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung und den Anspruch auf Sozialhilfe. Das heißt, sie würden vollständig durch das soziale Netz fallen.
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