Die Wiener Holocaust-Überlebende Gertrude Pressburger, die im Präsidentschaftswahlkampf 2016 mit einem Facebook-Video als „Frau Gertrude“ zur öffentlichen Figur wurde, ist am Freitag nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 94 Jahren gestorben. Das gab ihre Familie der APA bekannt. Ihre von der Journalistin Marlene Groihofer aufgezeichneten Erinnerungen „Gelebt, erlebt, überlebt“ erschienen Anfang 2018. Präsident Alexander Van der Bellen zeigte sich in „tiefer Trauer“.
Pressburgers Lebensgeschichte begann in einer Zimmer-Küche-Wohnung im Wien-Meidling der 1930er-Jahre, wo sie als Tochter eines Tischlers mit ihren beiden jüngeren Brüdern aufwuchs. Wie ein einfaches und unspektakuläres Leben jäh gegen die Hölle auf Erden getauscht werden kann, davon erzählt „Gelebt, erlebt, überlebt“ in schlichten Worten.
Als 16-Jährige nach Auschwitz deportiert
Der Vater wurde von der Gestapo wegen angeblicher politischer Betätigung verhaftet und gefoltert, später konnte die Familie zunächst nach Jugoslawien ausreisen. Im Frühling 1944 endete eine sechsjährige Flucht, die die Familie unter sich ständig verschärfenden Bedingungen durch jugoslawische und italienische Städte geführt hat, nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Italien auf grausame Weise. In Viehwaggons wurden die Pressburgers nach Auschwitz-Birkenau gebracht. Bei der Selektion an der Rampe sah die 16-Jährige ihre Eltern und ihre Geschwister das letzte Mal.
Kurz vor Kriegsende kam Pressburger bei einem vom schwedischen Grafen Bernadotte organisierten Gefangenaustausch frei. In Schweden lernte sie Bruno Kreisky kennen, damals Vorsitzender der „Österreichischen Vereinigung in Schweden“. Er riet ihr davon ab, ins hungernde Wien zurückzukehren. Sie fuhr trotzdem, machte als Holocaust-Überlebende im Nachkriegs-Wien so manche bittere Erfahrung, und fasste einen Entschluss: „Ich bin nicht nach Wien zurückgekommen, um mich wieder unterdrücken zu lassen. Ich schwöre mir, mir nichts mehr gefallen zu lassen. Ich kämpfe mit meinem Mundwerk.“
Ich bin nicht nach Wien zurückgekommen, um mich wieder unterdrücken zu lassen. Ich schwöre mir, mir nichts mehr gefallen zu lassen. Ich kämpfe mit meinem Mundwerk.
Holocaust-Überlebende Gertrude Pressburger
Das tat sie auch 2016, nachdem sie über vieles Erlittene lange nicht einmal im Familienkreis gesprochen hatte. Eine Radiosendung von Marlene Groihofer machte die Überlebens-Geschichte von Pressburger erstmals bekannt.
Facebook-Video als „Frau Gertrude“ im Präsidentschaftswahlkampf 2016
Die zunehmende Polarisierung Österreichs im Präsidentschaftswahlkampf brachte Pressburger dazu, sich in einem fünfminütigen Facebook-Video an junge Leute zu wenden, vor politischem Hass zu warnen und sie aufzufordern, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. „Ich habe einfach das gesagt, was ich mir gedacht habe. Das war‘s. Und das hat eingeschlagen. Ich habe nie verstanden, warum“, sagte sie danach in einem APA-Interview.
Den wahren Anteil des Video-Aufrufes am Wahlergebnis „werden wir nie so genau wissen, aber dass es einen Impact hatte, also eine Wirkung, und ganz besonders bei jungen und sehr jungen Leuten, davon bin ich überzeugt“, sagte Bundespräsident Van der Bellen später bei der Präsentation von „Gelebt, erlebt, überlebt“.
„In ihrem Leben haben die Mitmenschen, die Freundschaften und das Vertrauen, das man jemandem schenkt, eine besondere Rolle gespielt. Und der Mut“, twitterte Van der Bellen Samstagnachmittag über Gertrude Pressburger.
Sie habe den Mut gehabt, ihre Geschichte als Holocaust-Überlebende zu erzählen, zu ihrer Meinung zu stehen, Tatsachen anzusprechen und die Wahrheit auszusprechen. „Und sie konnte etwas, was nicht viele können: Ihre Beobachtungen und Gefühle so in Worte fassen, dass dies von anderen Menschen nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen erfasst werden konnte“, würdigte Van der Bellen die Verstorbene. „Meine Frau Doris und ich sind sehr dankbar für die Freundschaft mit Gertrude Pressburger. In diesen traurigen Stunden sind unsere Gedanken besonders bei ihrer Tochter, der Familie und ihren Freundinnen und Freunden.“
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.