Wie viele Fotos männlicher Genitalien ohne Bitte gesendet werden, ist nicht bekannt, aber viele Frauen kennen das Problem aus dem Internet. „Die wenigsten Frauen berührt das gar nicht, so was ist ja schon ein sehr, sehr übergriffiges Verhalten“, sagt die deutsche Psychologin und Kriminologin Sandra Schwark, Expertin für sexualisierte Gewalt.
Viele fühlten sich belästigt, seien angeekelt oder beschämt. Wie belastend die Situation sei, habe unter anderem damit zu tun, ob man schon schlimme Vorerfahrungen mit sexualisierter Gewalt hatte. Dann könne der Empfang eines Penis-Bildes auch retraumatisierend sein.
In vielen Fällen geht es nicht um die Anbahnung von sexuellen Kontakten, sondern es ist wie sexuelle Belästigung auf der Straße ein Zeichen von Machtausübung.
Kriminologin Sandra Schwark
„In vielen Fällen geht es nicht um die Anbahnung von sexuellen Kontakten, sondern es ist wie sexuelle Belästigung auf der Straße ein Zeichen von Machtausübung“, sagt Schwark. Das passiere häufig nach dem Motto: „Ich kann das gerade hier machen, ich kann dich in eine Situation bringen, die für dich unangenehm ist, und es hat für mich im Zweifelsfall überhaupt keine Konsequenzen.“ Studien zu sexueller Gewalt und Belästigung seien „alle ziemlich deutlich zu dem Ergebnis gekommen, es geht um diesen Machtfaktor, um Machtausübung über eine andere Person“.
Studie: Motivation für „Dickpics“ vielfältig
Die Autorinnen einer bekannten Studie zu „Dickpics“ (Penisbildern) gehen davon aus, dass viele Männer, die Penisbilder versenden, zwar nicht bewusst von Feindseligkeit oder Sexismus motiviert sind, aber diesen mit dem Versenden trotzdem verstärken.
82 Prozent der befragten Männer, die Genital-Bilder unverlangt versendet hatten, hofften bei der Untersuchung des Teams um Flora Oswald (2019), die Empfängerin oder den Empfänger damit sexuell zu erregen. Jeder zweite (50 Prozent) gab an, der Empfänger oder die Empfängerin sollte sich durch das Bild selbst attraktiv fühlen. Und etwa gleich viele erhofften sich als Antwort „sexy Bilder“ (51 Prozent), wollten den anderen anturnen (53 Prozent) oder so das eigene sexuelle Interesse signalisieren (49 Prozent).
Je eher man das Gefühl hat, dass das Verhalten keine negativen Konsequenzen hat, desto eher wird es wiederholt.
Psychotherapeut Jonas Kneer
Ein Problem: „Je eher man das Gefühl hat, dass das Verhalten keine negativen Konsequenzen hat, desto eher wird es wiederholt“, erklärt Psychotherapeut Jonas Kneer. „Deshalb ist es gut, so etwas strafrechtlich zu verfolgen und deutlich zu machen, dass es übergriffig ist. Klar ist aber: Die Verantwortung liegt immer beim Täter, niemals beim Opfer.“
Kneer arbeitet im Präventionsprojekt „I Can Change“ (englisch: Ich kann mich ändern) an der Medizinischen Hochschule Hannover mit Menschen, die fürchten, ihre sexuellen Impulse nicht mehr kontrollieren zu können. So sollen Übergriffe im Voraus verhindert werden.
Website soll Anzeigen erleichtern
Recht einfach können Betroffene in Deutschland eine Anzeige über die Homepage Dickstinction.com vorbereiten. Dort bekommen sie Tipps, wie man den Vorfall am besten dokumentiert (mit einem Screenshot, der neben dem „Dickpic“ auch Datum und Uhrzeit der Nachricht sowie den Namen des Absenders enthält), und werden mit Fragen zum Vorfall durch die Anzeige-Erstellung geführt. Die fertige Anzeige kann ausgedruckt und an die Polizei geschickt oder dort abgegeben werden.
Erschwert werden Ermittlungen, wenn Betroffene den Absender nicht kennen und auch aus dem Profilnamen nicht hervorgeht, um wen es sich handelt, sagt „Dickstinction“-Mitgründer Stefan Bieliauskas. Bei der Entscheidung, ob man Anzeige erstatten möchte und wie man die Situation sonst bewältigen kann, können Frauennotrufe und -beratungsstellen helfen.
Viele Menschen haben ein schlechtes Gefühl für eigene sexuelle Bedürfnisse und die anderer - das begünstigt sexuelle Grenzüberschreitungen.
Psychotherapeut Jonas Kneer
Damit sich etwas ändert, müsse in der Gesellschaft mehr über Konsens gesprochen werden, über Gewalt und Geschlechterbilder, findet Psychologin Schwark. Auch Psychotherapeut Kneer sieht Potenzial durch Lernen: „Viele Menschen haben ein schlechtes Gefühl für eigene sexuelle Bedürfnisse und die anderer - das begünstigt sexuelle Grenzüberschreitungen. Es ist wichtig, zu lernen, die Bedürfnisse anderer zu erfragen und ein Gefühl zu entwickeln, wie man sexuell aktiv sein kann und dabei Grenzen wahrt.“
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