„Riskante Welle“

Experten erwarten beschleunigte Durchseuchung

Österreich
04.01.2022 12:37

Omikron „schreibt gerade die Spielregeln für den Umgang mit der Pandemie neu“. Die neue Corona-Variante werde zur beschleunigten Durchseuchung führen und erfordere daher einen neuen Umgang mit der Pandemie, heißt es in einem „Policy Brief“ des Complexity Science Hub Vienna. Die Modellrechner fordern die Politik auf, rasch zu entscheiden, ob die Durchseuchung langsam oder ungebremst erfolgen soll. Letzteres wäre „eine riskante Wette mit enorm hohem Einsatz“.

Die Politik müsse der Bevölkerung klar kommunizieren, was auf sie zukommt und erklären, dass es nun vermehrt um die Eigenverantwortung jedes einzelnen gehe, heißt es im „Policy Brief“ des Complexity Science Hub. Grundlage der Einschätzung ist eine Modellrechnung, laut der Omikron den Immunschutz der Bevölkerung deutlich reduziert: Während Impfung und Genesung noch über 70 Prozent gegen eine symptomatische Infektion durch die Delta-Variante geschützt haben, sind gegen Omikron nur noch 40 Prozent der Bevölkerung geschützt (siehe Grafik unten).

Zeitfenster zur Eindämmung bereits verstrichen
Die CSH-Wissenschaftler Peter Klimek und Stefan Thurner halten in dem „Policy Brief“ fest, dass das Zeitfenster, in dem man ein Eindämmen der sich gerade aufbauenden Omikron-Welle noch hätte versuchen können, bereits verstrichen ist: „Somit bleibt wieder einmal nur die Frage, ob man die Durchseuchung langsam oder schnell geschehen lassen will. Die gewählte Strategie sollte von der Politik jedoch umgehend kommuniziert werden, damit sich die Bevölkerung darauf mit individuellen Schutzmaßnahmen vorbereiten kann.“

Neuausrichtung im Pandemiemanagement nötig
Bisher verfolgte Österreich eine Strategie der Abflachung in der Pandemiebekämpfung. Dabei wurde das Infektionsgeschehen erst nachhaltig mit nicht-pharmazeutischen Maßnahmen (Lockdowns) gesenkt, als in den Spitälern definierte Kapazitätsgrenzen in den Intensivstationen erreicht wurden. Mit Omikron könnte der Fall eintreten, dass dieser Ansatz obsolet wird, da andere Kapazitätsgrenzen in kritischen Infrastrukturen früher erreicht werden könnten. Eine Neuausrichtung im Pandemiemanagement müsse daher angedacht werden.

Eine riskante Wette“
Im Falle eines Durchlaufenlassens sei davon auszugehen, dass sich etwa zehn bis 20 Prozent der Bevölkerung mit Omikron infizieren, bevor sich die Welle verlangsamt. In diesem Fall wäre mit Personalausfällen in dieser Größenordnung im Gesundheitssystem, aber auch in anderen kritischen Infrastrukturen zu rechnen. Für Klimek wäre diese Variante „englisches Roulette“, wie er gegenüber der APA sagte: „Eine riskante Wette mit unbekannter Wahrscheinlichkeit zu gewinnen und enorm hohem Einsatz.“

Im Falle des ungebremsten Durchlaufens wäre erst mit einer Verlangsamung der Dynamik zu rechnen, wenn etwa zehn Prozent der Bevölkerung infiziert wurden und weitere zehn Prozent in Quarantäne sind oder ihre Kontakte freiwillig reduzieren. In Österreich wären das bei knapp neun Millionen Einwohnern zwischen 900.000 und 1,8 Millionen Menschen.

20 Prozent des Personals könnten ausfallen
Neben den Spitälern sollten sich daher auch alle anderen öffentlichen und privaten Unternehmen darauf einstellen, dass bis zu 20 Prozent des Personals durch Krankheit oder Quarantäne ausfallen könnten. Die Quarantäneregeln müssten daher dynamisch und antizyklisch an die Infektionsdynamik angepasst werden.

Impfung bleibt wesentliches Element
„Zusammenfassend zwingt uns Omikron, unseren Zugang in der Pandemiebekämpfung zu überdenken. Betrüblicherweise besteht dafür kaum noch Zeit.“ Die Impfung bleibe das wesentlichste Instrument, auch wenn sie zunehmend so verstanden werden muss, dass sie einen länger dauernden Schutz vor schwerer Erkrankung und nur einen kurzfristigen Schutz vor symptomatischer Infektion bietet.

Ein dauerhaftes Eindämmen der Pandemie mithilfe der Impfung werde damit schwerer und schwerer erreichbar. „Dauerhafte Auffrischungsimpfungen in entwickelten Ländern unterlaufen auch zu einem gewissen Grad Bemühungen, das globale Ungleichgewicht in der Verteilung der Impfstoffe zu bekämpfen“, heißt es weiter in dem Schreiben.

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