Revolution droht
Kasachstan: Volk sind 30 Jahre Autokratie genug
In Kasachstans Bevölkerung schlummerte schon lang die Unzufriedenheit. Die Erhöhung des Treibstoffpreises war nun der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Präsident Kassym-Jomart Tokajew wollte gegensteuern, doch es ist wohl zu spät. Er rief Russland zu Hilfe. Die Demonstranten fordern einen Regimewechsel.
In Kasachstan droht die Revolution. Die Demonstranten besetzten (vorübergehend) Flughäfen und Regierungsgebäude. Die Nachrichtenagentur TASS meldete unter Berufung auf das kasachische Gesundheitsministerium, mehr als 1000 Menschen seien während der Proteste verletzt worden. Die Polizei teilte mit, sie habe Dutzende Unruhestifter getötet. Das staatliche Fernsehen berichtete, 13 Angehörige der Sicherheitskräfte seien ums Leben gekommen, es seien zwei enthauptete Leichen entdeckt worden. Alle Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen.
Problem der Opposition: Fehlende Identifikation
Präsident Tokajew bat Russland um Hilfe, das im Rahmen der OVKS (Organisation für den Vertrag über kollektive Sicherheit), der auch Kasachstan angehört, Truppen nach Zentralasien schickte. In Kasachstan herrschte seit 1990 Nursultan Nasarbajew, der die Hauptstadt Astana nach sich umbenennen ließ. 2019 dankte er zugunsten Tokajews ab, zog aber weiter die Fäden. Bemerkenswert ist daher auch das Ausmaß der Proteste in einem autokratisch geführten Land. „Das ist ein Indiz dafür, wie viel an Frustration sich über die Jahre angestaut hat“, sagt Zentralasien-Expertin Andrea Schmitz. Das Land stagnierte, die Kluft zwischen Arm und Reich wuchs. „Das wiegt für die Bevölkerung umso schwerer, als das Land über enorme Öl- und Gasvorkommen verfügt“, so Schmitz. Und damit der eklatante Anstieg des Treibstoffpreises den Zorn in der Bevölkerung entflammte.
Tokajew nahm die Teuerung zurück, doch geht es längst um mehr als nur Treibstoffpreise. Unter Druck „stürzte“ nun Langzeitherrscher Nasarbajew endgültig. Tokajew entzog dem 81-Jährigen seinen Vorsitz im Nationalen Sicherheitsrat, „und damit ein Amt, das ihm auch nach seinem Rücktritt Anfang 2019 noch maßgebliche Entscheidungsbefugnisse sicherte“, wie Schmitz erklärt. Das Problem der Opposition: Es gibt keine Identifikationsfigur. Und ein Rücktritt Tokajews steht nicht zur Debatte. Zurück kann dieser laut Schmitz aber auch nicht mehr. „Mit kosmetischen Veränderungen wird sich die zunehmend aufbruchsorientierte Generation auf Dauer nicht mehr befrieden lassen. Die politische Elite wird umdenken müssen und glaubwürdige Angebote für politische Reformen vorlegen müssen.“
Ein schwieriger Prozess. Denn die Vertreter des autokratischen Systems gelten als äußerst beharrlich.
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