Patientin gestorben

Falscher Notarzt vor Richter: “War nicht überfordert”

Wien
02.05.2011 22:14
Jener falsche Notarzt, der im Sommer 2010 in Wien unter anderem 55 Einsätze für den Arbeiter-Samariter-Bund gefahren ist, hat am Montag Vorwürfe zurückgewiesen, infolge unzureichender medizinischer Behandlung den Tod einer Patientin verursacht und eine weitere Frau ins Koma befördert zu haben. Er sei auch definitiv nicht überfordert gewesen, wie er vor Gericht ausführte. Der Prozess gegen den 38-Jährigen ist auf zwei Tage anberaumt.

Der aus Deutschland stammende Schauspieler bekannte sich zu den Anklagepunkten fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen und fahrlässige Körperverletzung "nicht schuldig". Der in seiner Heimat wegen diverser Betrügereien mehrfach vorbestrafte Mann räumte zwar ein, kein Medizinstudium abgeschlossen und ein solches auch gar nie begonnen zu haben, dennoch hatte er keine Bedenken, im Notarztwagen mitzufahren.

"Ich bin mir sicher, dass ich nicht überfordert war", sagte der Angeklagte und machte in diesem Zusammenhang "praktische Erfahrung, die ich mir während der vergangenen Dekaden zugelegt habe", geltend. Dabei verwies der 38-Jährige auf seine Zivildienst-Tätigkeit, im Rahmen derer er einen Sanitäter-Kurs besucht habe, sowie Tätigkeiten als Krankenpfleger, in der Altenpflege und bei einem Bestattungsinstitut.

Zur Kurpfuscherei und dem Betrug - dabei ging es um die einkassierten Honorare von insgesamt 4.400 Euro - war der 38-Jährige geständig.

Geldnot, weil Schauspielkarriere stockte
Nach seinem Umzug nach Österreich hatte sich der Mann, dessen beruflicher Werdegang ursprünglich bei der Polizei begonnen hatte, gezwungen gesehen, dringend Geld zu verdienen. Von seiner Schauspielerei konnte er nicht leben, nach seinen eigenen Angaben waren mehr als Komparsen-Rollen ("Ich war einer von hundert Leuten, die im Hintergrund einmal durchs Bild laufen") nicht drinnen. Zu diesen Kurzauftritten zählte übrigens auch eine Rolle als Chefarzt in einer "Kommissar Rex"-Folge.

Urkunde gefälscht und Kurs für Notfallmedizin besucht
Als Sanitäter wollte der 38-Jährige nicht arbeiten, zumal er die Ausbildung nicht abgeschlossen hatte bzw. diese Branche "heillos überlaufen" sei, wie er Richter Stefan Apostol erklärte. Also beschloss er, Notarzt zu werden, indem er zunächst beim Heeresspital mit einer gefälschten Approbationsurkunde, die ihn als Arzt auswies, einen Kurs für Notfallmedizin belegte. "Der Kurs war Vollzeit gestaltet, sechs Tage die Woche, zwölf Stunden am Tag. Ich denke, dass man ein umfassendes medizinisches Tiefenwissen braucht, um diesen Kurs zu bestehen", legte der Angeklagte dar.

Bei Prüfung "mit Bomben und Granaten" durchgefallen
Dies war dem Schwindler aber erst im zweiten Anlauf gelungen. Beim ersten Prüfungstermin wollte er etwa eine Defibrillation direkt auf einem Herzschrittmacher durchführen und flog "mit Bomben und Granaten" durch, wie der Richter wörtlich aus dem Akt zitierte. Bei der Nachprüfung genügte dann die Beantwortung von 20 statt zunächst 80 Fragen.

Der 38-Jährige erlangte so ein Zeugnis, mit dem er sich beim Arbeiter-Samariter-Bund vorstellte und unter neuerlicher Vorlage des falschen Approbationszeugnisses unverzüglich auf Honorarbasis angestellt wurde. Daneben wurde er auch für das Landesklinikum Mostviertel, die Polizeisportvereinigung Linz und die Österreichische Cartsportvereinigung als Notarzt tätig.

Bewusstlose weder intubiert noch beatmet

Im August 2010 erlitt dann eine 63-jährige Frau während eines Krankentransports einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Anstatt sich um sie zu kümmern, soll der falsche Notarzt jedoch in Befunden geblättert haben. Dem Strafantrag zufolge hätte die Frau unverzüglich mit Atropin oder einem in der Wirkung ähnlichen Medikament versorgt werden müssen. Außerdem unterblieb das Absaugen von in die Luftröhre geratenem Schleim.

Laut Staatsanwaltschaft wäre die mangelnde Sauerstoffversorgung des Gehirns zu verhindern gewesen, sodass die tragischen Folgen - die Frau liegt seither mit einer dauerhaften Hirnschädigung im Koma - laut Anklagebehörde dem Schauspieler schuldhaft zuzurechnen sind.

Nur einen Tag danach soll der Mann fahrlässig den Tod einer 68-Jährigen herbeigeführt haben, die wegen akuter Kreislaufprobleme die Rettung gerufen hatte. Während der Fahrt ins Spital verlor die Patientin das Bewusstsein. Die Anklagebehörde wirft dem Schwindler in diesem Fall vor, die Frau weder intubiert noch beatmet zu haben. Er verzichtete zudem erneut darauf, über eine Kanüle Schleim abzusaugen. Dieses Gesamtverhalten stand einem medizinischen Gutachten zufolge ohne Zweifel in kausalem Zusammenhang mit dem Ableben der Patientin.

"War ein Einsatz wie jeder andere auch"
In beiden Fällen wies der Angeklagte jede Schuld von sich. Zu der verstorbenen Frau merkte er an, die Patientin sei beatmet und stabilisiert worden: "Auf die Intubation konnte man verzichten, weil sie in vier bis fünf Minuten im Spital gewesen wäre."

Zu der seither im Koma liegenden Patientin bemerkte der 38-Jährige, er habe die Lebensgefahr erkannt. Allerdings habe man sich zu diesem Zeitpunkt mit der transportierten Frau schon im Spital befunden: "In der Sekunde war schon der andere Herr Doktor anwesend." Daher habe er davon Abstand genommen, sich weiter um die Frau zu kümmern. Der Angeklagte betonte, das Ganze sei "letzten Endes ein Einsatz wie jeder andere auch gewesen". Man habe hinterher darüber nicht geredet.

Von Sanitätern schwer belastet
Das dreiköpfige Sanitäter-Team, das ihn bei beiden Vorfällen, die dem Anglagten angelastet werden, begleitet hatte, belastete ihn dagegen schwer. Im Fall der Frau, die seit vergangenem August im Koma liegt, erklärte einer der Zeugen, der 38-Jährige wäre "nur dabei gestanden". Obwohl die Patientin nur mehr einen Puls von 30 hatte, habe der vermeintliche Arzt erklärt: "Passt schon, sie ist stabil." "Ein paar Sekunden später haben wir sie reanimieren müssen", sagte der Sanitäter.

Behandlung mit Sauerstoff "war a bissl a Blödsinn"
Die Frau wiederum, die den Notarzt-Einsatz nicht überlebte, habe nur mehr eine Sauerstoffsättigung von 75 Prozent aufgewiesen: "Eine Intubation wäre absolut indiziert gewesen." Von einer solchen nahm der falsche Notarzt Abstand. Er schlug stattdessen vor, man möge der Frau vier Liter Sauerstoff zuführen. "Das war a bissl a Blödsinn. Wir sind mit 15 Liter reing'fahren und haben damit nur einen Sättigungsgrad von 85 Prozent erreicht", so einer der Zeugen.

Einer der Sanitäter hatte sich auch beim Betriebsrat über den vermeintlichen Notarzt beschwert, weil ihm dieser "a bissl komisch" vorkam, wie der Mann nun im Zeugenstand deponierte. Richter Apostol machte in diesem Zusammenhang aus seiner Verwunderung kein Geheimnis, dass der Arbeiter-Samariter-Bund die Approbationsurkunde, die den 38-Jährigen als Arzt auswies, ohne Weiteres akzeptiert hatte. Wie Apostol zu verstehen gab, wäre dieses Dokument insofern relativ leicht als Fälschung zu erkennen gewesen, als es weder einen Stempel noch ein Siegel aufwies. Auch die Machart an sich sah für Apostol nicht unbedingt glaubwürdig aus.

Als er dies einem Vertreter des Arbeiter-Samariter-Bundes vorhielt, der den 38-Jährigen eingestellt hatte, erwiderte der Zeuge: "Ich habe selten Approbationsurkunden aus Deutschland. Das ist das Problem." Er habe "nicht den geringsten Zweifel gehabt, dass das passt". Außerdem habe der 38-Jährige "einen sehr seriösen Eindruck gemacht".

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