Prozess in Deutschland
4000 Opfer: Lebenslang für syrischen Folterknecht
In Deutschland ist im weltweit ersten Prozess wegen Staatsfolter in Syrien ein Urteil gefällt worden. Am Donnerstag hat das Koblenzer Oberlandesgericht den Angeklagten zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Richter sprachen den 58-jährigen Anwar R. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 27-fachen Mordes, Folter und weiterer Delikte schuldig. Der frühere Mitarbeiter des Geheimdiensts von Machthaber Bashar al-Assad hatte in Syrien ein berüchtigtes Gefängnis geleitet.
In der Al-Khatib-Haftanstalt in der syrischen Hauptstadt Damaskus sollen unter der Befehlsgewalt des Angeklagten zwischen April 2011 und September 2012 mindestens 4000 Häftlinge mit Schlägen, Tritten und Elektroschocks gefoltert worden sein. Viele starben dabei. Das Urteil entsprach weitgehend der Forderung der Bundesanwaltschaft, die in dem weltweit mit Aufmerksamkeit verfolgten Prozess die Anklage vertreten hatte. Die Verteidigung forderte Freispruch.
Beschuldigter war Befehlshaber in berüchtigtem Gefängnis
Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft hatte R. als militärischer Befehlshaber die Vernehmungsbeamten und Gefängniswärter zum Dienst in dem berüchtigten Gefängnis eingeteilt und ihre Arbeitsabläufe bestimmt. Er habe auch über das Ausmaß der Folterungen Bescheid gewusst. Die Misshandlungen hätten dazu gedient, Geständnisse zu erzwingen und Informationen zu erlangen, betonte die Behörde dabei.
Untergebener wegen Verbrechen gegen Menschlichkeit verurteilt
In dem im April 2020 gestarteten Prozess war auch ein zweiter Mann angeklagt, der als Untergebener an den Folterungen beteiligt war. Ihn verurteilte das Gericht bereits vor fast einem Jahr im Februar 2021 in einem abgetrennten Verfahren wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu viereinhalb Jahren Haft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Peiniger von Opfern nach Flucht in Deutschland wiedererkannt
Ins Rollen war der Fall gekommen, weil nach Deutschland geflüchtete frühere Opfer ihre mutmaßlichen Peiniger wiedererkannt hatten. Diese wurden in Zweibrücken sowie in Berlin festgenommen. Dass der Prozess in Deutschland stattfindet, liegt am sogenannten Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht. Demnach dürfen auch Taten verhandelt werden, die keinen unmittelbaren Bezug zu Deutschland haben.
Menschenrechtler würdigten Urteil als bahnbrechend
„Das ist wirklich historisch“, sagte der Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bei einer Pressekonferenz am Donnerstag im schweizerischen Genf. Der Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, Markus N. Beeko, erklärte in Berlin, das Urteil sei ein „historisches Signal im weltweiten Kampf gegen die Straflosigkeit“. Weitere Prozesse in Deutschland und anderen Staaten müssten nun folgen.
Video: Anwalt Mazen Darwish über das Urteil
„Vergangenheit ist eine Waffe“
Auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, begrüßte den „historischen Schuldspruch“. Der bekannte Menschenrechtsaktivist Omar al-Shughri (26), der in Syrien selbst Opfer von Folter wurde, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Der symbolische Wert des Urteils ist ein Beweis dafür, wie ein Trauma uns antreibt, Dinge wieder aufzubauen, von denen wir nie dachten, dass sie jemals erreicht werden könnten. Unsere Vergangenheit ist eine Waffe gegen unsere Feinde.“
Urteil schafft „solide Basis“
Das European Centre for Constitutional and Human Rights erklärte, das Urteil schaffe eine „solide Basis“ für andere Strafverfolger. Der deutsche Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat das Gerichtsurteil als Vorbild für die Strafverfolgung auch in anderen Staaten empfohlen: „Ich würde es begrüßen, wenn andere Rechtsstaaten diesem Beispiel folgen.“
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