Die Familie jener 13-Jährigen, die am 12. August 2020 in einer Wohnung im Tiroler Telfs (Bezirk Innsbruck-Land) an einer Drogen-Überdosis gestorben ist, zieht nun die Tirol Kliniken zivilrechtlich zur Verantwortung. Die Verhandlung findet voraussichtlich am 21. Jänner statt. Die ersten Standpunkte beider Seiten liegen der „Krone“ vor.
Auf der einen Seite steht die Familie von Melina (Name geändert), die durch Rechtsanwalt Markus Abwerzger vertreten wird. „Der Hauptzweck des Gerichtsverfahrens ist nicht der Schmerzensgeldbetrag von 20.000 Euro für den Kindsvater, sondern das Aufzeigen von eklatanten Missständen und das Herbeiführen von Verbesserungen“, betont der Anwalt. Gerade in Tirol sei die Todesrate bei schwer suchtgifterkrankten Jugendlichen in den vergangenen Jahren hoch gewesen und nicht mehr hinnehmbar.
Heimische Gesetzeslage ist ganz klar geregelt
Nach dem österreichischen Recht ist es nicht möglich, eine Person – auch wenn diese noch nicht volljährig ist – gegen deren Willen in einer Klinik festzuhalten. Es sei denn, es liegt Selbst- und Fremdgefährdung vor. Da die 13-Jährige diese Kriterien laut der behandelnden Ärzte nicht erfüllte, wurde sie stets nach wenigen Stunden wieder entlassen.
Es scheint grotesk, dass eine unmündige Minderjährige zwar nur eingeschränkt Rechtsgeschäfte vornehmen kann, aber selbst bestimmen kann, ob sie stationär in einer psychiatrischen Klinik aufgenommen werden soll.
Anwalt Markus Abwerzger
„Es scheint grotesk, dass eine unmündige Minderjährige zwar nur eingeschränkt Rechtsgeschäfte vornehmen kann, aber selbst bestimmen kann, ob sie stationär in einer psychiatrischen Klinik aufgenommen werden soll. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass es sich bei Melina um eine an starke Suchtmittel gewöhnte 13-Jährige gehandelt hat, die sich Suchtgift bereits intravenös zugeführt hatte, was eigentlich das Endstadium eines jeden Suchtgiftkranken ist“, sagt Abwerzger.
„Entlassung, ohne Melina jedoch in Obhut zu geben“
Melina sei mehrmals wegen einer Überdosis in der Kinder- und Jugendpsychiatrie aufhältig gewesen – unter anderem Mitte Juli 2020. „Sie wurde in der geschlossenen psychiatrischen Klinik für Erwachsene in Innsbruck untergebracht. Offenbar sei man in Hall aufgrund der Bettenkapazität nicht bereit gewesen, Melina aufzunehmen. Sie wurde dann doch überstellt, aber eine Unterbringung sei mangels der Voraussetzungen nicht möglich gewesen“, sagt Abwerzger. Auch eine Woche vor ihrem Tod sei die 13-Jährige entlassen worden, „aber offenbar ohne sie in die Obhut einer dazu befugten Person zu geben“.
„Akute Selbstgefährdung lag vor“
Für Abwerzger steht fest: „Die Behandlung der Minderjährigen durch die Kinder- und Jugendpsychiatrie war nicht lege artis. Die Klinik hat sich Behandlungs-, Aufklärungs- sowie Dokumentationsfehler vorzuwerfen.“ Wegen des Suchtgiftes in Kombination mit enormen psychischen Problemen und Selbstmordgedanken habe die Klinik, sofern am 4. August eine ordentliche Anamnese erfolgt wäre, Melina nicht am 5. August entlassen dürfen.
Man hätte die Minderjährige vor sich selbst schützen müssen.
Anwalt Markus Abwerzger
„Eine akute Selbstgefährdung lag vor, Melina hatte auch Selbstmordgedanken geäußert. Eine weitere stationäre Anhaltung sei somit gesetzlich geboten gewesen. Man hätte die Minderjährige vor sich selbst schützen müssen, es wäre nicht zu einer weiteren Überdosis gekommen.“
„Familie und Betreuer haben darum gebettelt“
„Auf diesen Umstand hat der Vater von Melina, dessen Schwester und insbesondere auch mehrere Betreuerinnen des Amtes für Kinder- und Jugendhilfe die Klinik mehrfach und inständig hingewiesen. Prinzipiell haben sie häufig darum gebettelt, die 13-Jährige stationär aufzunehmen. Vor allem ihre Entlassung eine Woche vor ihrem Tod war daher grob fahrlässig“, ist Abwerzger überzeugt.
Was die Gegenseite zu den Vorwürfen sagt, lesen Sie HIER.
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