Die Digitalisierung ist praktisch, aber nicht nachhaltig. Mit dem stetigen Anwachsen der Datenflut wächst der Stromverbrauch für die Speicherung der Daten, und Trägermedien wie Festplatten oder CDs überdauern im besten Fall Jahrzehnte. Forscher aus Gmunden wollen diese Probleme mit keramischen Datenträgern lösen, die praktisch unbegrenzt halten und damit das Gedächtnis der Menschheit langfristig bewahren sollen.
„Allein im Jahr 2020 sind weltweit mehr als 60 Zettabyte an Daten in Archiven und Datenzentren gespeichert worden“, erklärt Martin Kunze, einer der beiden Geschäftsführer von Ceramic Data Solutions, im Gespräch mit der APA. Vergleicht man das mit der Datendichte eines Buches, dann wäre ein Bücherregal mit 60 Zettabyte zehnmal so lang wie der Durchmesser des Sonnensystems, rechnet Kunze vor.
Weltweiter Daten-Alzheimer
Die Tendenz ist stark steigend. Treibende Kraft hinter dem enormen Wachstum an Daten sind nicht zuletzt die Milliarden von Smartphone-Benutzern, die immer mehr Fotos und Videos in immer höherer Auflösung in ihre User-Accounts hochladen und teilen. Das führt dazu, dass laut einer Berechnung des Energieforschungs-Unternehmens Enerdata 2030 bereits bis zu zwanzig Prozent des weltweiten Energieverbrauchs allein auf das Senden, Bearbeiten und Behalten von Daten entfallen wird. Zum Vergleich: 2018 waren es fünf bis neun Prozent. In nicht allzu ferner Zukunft könnte die Energie laut Experten nicht mehr ausreichen, all diese Daten zu speichern - man müsste dann entscheiden, welche Daten verzichtbar sind. Das Szenario wird in Fachkreisen salopp „globaler Alzheimer“ genannt.
Möglichst viele Informationen auf möglichst kleinem Raum
Damit es nicht dazu kommt, forscht das in Gmunden ansässige Unternehmen mit einem Team der Technischen Universität Wien an Langzeitspeichern auf ultradünnen flexiblen Gläsern. Darauf befindet sich eine keramische Schicht, in die ein Laser per Tiefenablation Informationen eingraviert. Mithilfe eines am Institut für Fertigungstechnik und Photonische Technologien der TU Wien entwickelten Femtosekundenlasers testen die Forscher systematisch verschiedene Materialkombinationen mit drei unterschiedlichen Wellenlängen durch.
Alles mit dem Ziel, so viele Informationen wie möglich auf kleinstem Raum unterzubringen. Auf einem der ultradünnen Keramik-Glas-Plättchen von zehn mal zehn Zentimetern lässt sich derzeit die Speicherdichte einer Blu-ray-Disc erzielen, also 125 Gigabyte.
Kein Strom und keine Treibhausgase für Speicherung
„Herkömmliche digitale Speichermedien halten nur drei bis fünf Jahre, dann müssen sie getauscht werden. Darauf basiert unsere globale Erinnerung, das ist ein sehr schwaches Fundament“, erklärte Christian Pflaum, die andere Hälfte des Geschäftsführer-Duos. Die Glas-Keramik dagegen hält sowohl Korrosion, Feuchtigkeit, Strahlung, Säure oder extremer Hitze stand und kann Informationen über Hunderttausende Jahre speichern. Zudem braucht es für die Datenspeicherung keinen Strom und es werden keine Treibhausgase emittiert.
Langzeitarchiv der Menschheit
Während damit einerseits große Industrieanbieter von Speichermedien oder Datenzentren angesprochen werden sollen, gehen die Überlegungen auch in Richtung des Langzeiterbes der Menschheit. Das Verfahren, Informationen auf Keramikplatten zu verewigen, stammt von Kunze. Der diplomierte Keramiker ist Initiator des 2012 gegründeten „Memory of Mankind“(MOM)-Archivs. Die MOM-Initiative hat sich zur Aufgabe gesetzt, eine Selektion der wichtigsten Dokumente der Menschheit als analoge Abbildungen, aufgebrannt auf Keramikfliesen im Salzbergwerk in Hallstatt zu konservieren.
Die ständig wachsende Sammlung (aktuell ca. 800 Stück) umfasst Bücher und Zeitungsartikel, aber auch private Texte und Bilder aller Art können eingelagert werden. Um größere Mengen Text im MOM unterbringen zu können, entwickelte Kunze den „keramischen Mikrofilm“: eine ein Millimeter dicke Hightech-Keramik mit einer dunklen keramischen Schicht, in die mit Laser graviert wird. Fünf Zeilen pro Millimeter können noch leicht mit einer Lupe gelesen werden.
Praktikable Lösung für die Ewigkeit
Rein rechnerisch könnte man bei einer Speicherung der Bücher auf keramischem Mikrofilm etwa das Tiefenlager der Österreichischen Nationalbibliothek auf mindestens ein Zweihundertstel seines Volumens reduzieren, schätzt Kunze. Deshalb ist laut Projektteam überall dort, wo große Datenmengen und Langzeitarchivierung eine Rolle spielen, das Interesse an der Technologie spürbar - vom Kernforschungszentrum CERN über Bibliotheken bis Museen.
Hinzu komme ein generelles Problem im Archivbereich: „Der Mikrofilm, wie wir ihn heute kennen, ist noch immer weit verbreitet, hat aber ein Ablaufdatum“, sagte Kunze, der auch als Delegierter des österreichischen Außenministeriums die Nuclear Energy Agency der OECD in Sachen Langzeitspeicherung berät. Mit den hochresistenten keramischen Datenträgern könnte eine praktikable Lösung für die Ewigkeit gefunden sein, ist der Experte überzeugt.
Das offiziell noch bis Ende Juni 2022 laufende Projekt zielt nun darauf ab, Informationen nicht nur zweidimensional, sondern auch in die Tiefe zu speichern. „Das ist sehr ambitioniert und wird uns noch ordentlich beschäftigen“, so Pflaum: „Für analoge Abbildungen haben wir bereits die 100-fache Speicherdichte von herkömmlichem Mikrofilm erreicht, forschen aber in Richtung digitaler Datenspeicherung. Wir wollen die Videos, die wir jetzt aufnehmen, in 20 oder 50 Jahren noch einmal ansehen können. Das ist unsere Erinnerung, und daran arbeiten wir.“
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