Misstrauensvotum
Partei-Rückhalt gefallen, Johnson droht „D-Day“
Wie lange kann sich der britische Premier Boris Johnson noch im Amt halten? Selbst in der eigenen Partei will man ihn stürzen, und schon am Mittwoch könnte Johnson in Form eines Misstrauensvotums der „D-Day“ drohen. Denn selbst aus der eigenen Fraktion wollen ihm zahlreiche Abgeordnete das Misstrauen aussprechen. Und potenzielle Nachfolger scharren schon in den Startlöchern ...
Wie mehrere britische Medien in der Nacht auf Mittwoch berichteten, wollen zahlreiche Abgeordnete von Johnsons konservativer Partei dem Regierungschef das Misstrauen aussprechen. Es sei gut möglich, dass damit jene 54 Stimmen erreicht werden, die für ein Misstrauensvotum gegen den Premier nötig sind. Schon am Mittwoch drohe Johnson der „D-Day“, der Tag der Entscheidung, hieß es.
„Seine Zeit ist abgelaufen“
„Seine Zeit ist abgelaufen“, zitierte der „Telegraph“-Reporter Christopher Hope einen Parlamentarier. Zu einer Misstrauensabstimmung in der Fraktion würde es kommen, falls sich 15 Prozent der 360 konservativen Abgeordneten gegen Johnson aussprächen - was 54 Stimmen entspricht. Nach Zählung der „Times“ hatten sogar 58 Abgeordnete Johnson bereits öffentlich kritisiert.
In geheimer Wahl in der Fraktion müsste der Premier dann mindestens 50 Prozent der Mitglieder auf seine Seite bekommen, um die Abstimmung zu überstehen. Johnson steht seit Wochen erheblich unter Druck wegen Enthüllungen über Partys im Regierungssitz während des Corona-Lockdowns. Sein Ansehen in der Bevölkerung und der Partei gilt bereits als schwer beschädigt.
Wenn morgen Wahlen wären, würde die Regierung sie verlieren, daran besteht überhaupt kein Zweifel.
Meinungsforscher und Politik-Professor Roger Mortimore
Aktuelle Umfragen zeigen, dass Johnsons Regierung massiv angeschlagen ist: „Wenn morgen Wahlen wären, würde die Regierung sie verlieren, daran besteht überhaupt kein Zweifel“, sagte der britische Meinungsforscher und Politik-Professor Roger Mortimore im Gespräch mit der APA.
Einstige Verbündete stellen sich gegen Johnson
Für Aufsehen sorgt vor allem, dass es sich bei den Stimmen gegen Johnson um Abgeordnete handeln soll, die erst aufgrund von Johnsons fulminantem Wahlsieg 2019 ins Parlament gekommen sind. Sie trafen sich am Dienstag im Büro von Alicia Kearns. Weil deren Wahlkreis um den Ort Melton Mowbray bekannt für Schweinefleisch-Pasteten ist, sprechen Medien von einem „Pork Pie Putsch“.
Johnson widersprach am Dienstag Vorwürfen seines Ex-Beraters Dominic Cummings, er habe in der „Partygate“-Affäre gelogen. Niemand habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass eine Veranstaltung im Mai 2020 im Garten seines Amtssitzes gegen die damals geltenden Corona-Auflagen verstoßen könnte, beteuerte der Premier. Die Zeitung „Guardian“ nannte das Interview mit dem Sender Sky News, bei dem Johnson wiederholt ins Stottern geriet und nach Worten rang, „verheerend“. Dem 57-Jährigen schlug auf breiter Basis Spott entgegen. „Niemand hat mich gewarnt, dass die Party gegen Regeln verstößt, sagt der Mann, der die Regeln gemacht hat“, titelte die Zeitung „Independent“.
Aufhebung der Corona-Maßnahmen als „Exit“?
Johnson kämpft seit Wochen um sein Amt. Um Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, will er am Mittwoch - wie von konservativen Hardlinern seit Langem gefordert - einige Corona-Regeln aufheben, die er erst kurz vor Weihnachten wegen der Ausbreitung der Omikron-Variante wieder eingeführt hatte. Dazu zählen die Vorgabe, möglichst von zu Hause aus zu arbeiten, sowie Impfnachweise als Bedingung für die Teilnahme an größeren Veranstaltungen. Zudem soll die Maskenpflicht in Geschäften und im öffentlichem Nahverkehr wieder aufgehoben werden, wie die BBC berichtete.
Das Ende der Maßnahmen gilt als zentraler Punkt von Johnsons Plan zur Besänftigung seiner Partei, getauft auf den Namen „Operation Red Meat“ - „rohes Fleisch“, das den kritischen Abgeordneten hingeworfen wird. Dazu zählen auch Vorhaben wie ein Ende der Beitragszahlungen für die BBC und der Einsatz des Militärs gegen Migranten im Ärmelkanal.
Viele Kandidaten für Nachfolge
Die Tory-Rebellen scheinen sich jedoch nicht mehr von ihrem Vorhaben abbringen zu lassen. Retten könnte den Premier höchstens noch, dass es - zumindest derzeit - keinen klaren Herausforderer gibt, hinter dem sich seine Gegner sammeln könnten. Als mögliche Nachfolger gelten Außenministerin Liz Truss, die Johnson öffentlich ihre volle Unterstützung zugesichert hatte, sowie Finanzminister Rishi Sunak. Der Schatzkanzler vermied bisher ein Bekenntnis zum Premier und machte sich zuletzt rar.
Aber auch der Brexit-Hardliner Michael Gove, aktuell Minister für Wohnen und Kommunen oder der Außen- und Gesundheitsminister Jeremy Hunt, der Johnson 2019 bei der Wahl zum Parteivorsitzenden unterlag, werden als mögliche Kandidaten gehandelt. Gesundheitsminister Sajid Javid und Innenministerin Priti Patel haben eher Außenseiter-Chancen. Dominic Raab, stellvertretender Premierminister und Justizminister, vertrat Johnson bereits während dessen Covid-19-Erkrankung an der Regierungsspitze. Ob er die Torys angesichts seiner Nähe zu Johnson hinter sich vereinigen könnte, ist allerdings fraglich.
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