Russland-Botschafter:

„Es gibt keine Pläne, in Ukraine einzumarschieren“

Ausland
20.01.2022 06:01

Zwischen Russland und der Ukraine brodelt es. In Kiew fürchtet man täglich den Einmarsch der russischen Armee, 100.000 Mann stehen nahe der Grenze. Russlands OSZE-Botschafter Alexander Lukaschewitsch sagt im „Krone“-Interview, die Aggression gehe nicht von Russland, sondern von der NATO und Ukraine aus.

„Krone“: Herr Botschafter, können Sie garantieren, dass Russland nicht in die Ukraine einmarschieren wird?
Alexander Lukaschewitsch: Der Präsident, der Außenminister und der Verteidigungsminister der Russischen Föderation, sowie der Chef des Generalstabs des russischen Heeres haben mehrmals betont, dass es keine Pläne gibt, in die benachbarte Ukraine einzumarschieren. Das würde den Prinzipien der russischen Außenpolitik widersprechen. Wir haben die Aussagen ukrainischer Spitzenpolitiker und Militärs registriert, dass sie Russland als existenzbedrohendes Risiko für die Ukraine ansehen. Daher nehmen wir die Aussagen von gewissen Kreisen in der Ukraine sehr ernst, die davon gesprochen haben, dass in naher Zukunft die ukrainischen Soldaten am Roten Platz aufmarschieren werden. Wir haben hingegen keine hundertprozentige Garantie, dass die Ukraine mit Unterstützung der USA und der NATO die Lage im Donbass nicht eskalieren lässt. Was machen Armeeangehörige der Nato auf dem Territorium der Ukraine? Es stellt sich die Frage, wer bereitet sich da worauf vor? Russland macht Manöver, aber auf seinem eigenen Gebiet.

Das heißt, von Russland wird fix keine Aggression ausgehen?
Im Fall der Fälle wird Russland angemessene Maßnahmen ergreifen, um die „bösen Jungs“ zu zähmen. Es gab mehrere OSZE-Missionen im Donbass, die angaben, dort keine russischen Truppen angetroffen zu haben. Ein westlicher Botschafter sagte: „Das gibt es nicht. Machen sie die Augen weiter auf.“ Das kann doch nicht sein. Russland hat das Recht von der NATO zu fordern, dass die NATO keine solchen aggressiven Staaten wie die Ukraine und Georgien aufnimmt.

Soldaten der ukrainischen Armee bereiten sich auf Ernstfall vor. (Bild: AP)
Soldaten der ukrainischen Armee bereiten sich auf Ernstfall vor.

Die Ukraine hat aber auch das Recht, um einen NATO-Beitritt anzusuchen.
Theoretisch ja. In der Charta für Europäische Sicherheit von 1999, die von 54 Staaten unterzeichnet wurde, steht, dass jedes Mitgliedsland seine Sicherheitsvorkehrungen frei wählen und ändern kann, einschließlich Bündnisverträgen. Jeder ist frei, neutral zu sein. Aber es steht weiter: Jeder Staat verpflichtet sich, seine Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten stärken. Dieses Dokument hat sowohl der NATO-Generalsekretär, als auch die EU-Kommission unterzeichnet.

Und mit den NATO-Ambitionen der Ukraine sehen Sie diesen Vertrag gebrochen?
Zweifellos. Die Expansion der NATO hin zu den Grenzen Russland ist eine Bedrohung unserer Sicherheit. Dadurch treibt uns die NATO zurück in die Zeiten des Kalten Kriegs. Deswegen haben wir den USA und der NATO zwei Verträge vorgeschlagen, um die Sicherheit im Raum Euroatlantik zu gewährleisten. Neben der Nichterweiterung geht es darum, keine Angriffswaffen in der Nähe von Russland zu stationieren.

Aber hat Russland mit der Annexion der Krim diesen Vertrag nicht ebenfalls gebrochen?
Die Krim wurde nicht annektiert. Auf der Krim befanden sich Soldaten des russischen Heeres aufgrund eines früheren Abkommens mit der Ukraine, das bis 2049 galt. Wegen unserer Schwarzmeerflotte. Sie griffen aber in keine Kampfhandlungen ein. Auf der Krim gab es ein Referendum, wonach 97 Prozent der Bevölkerung für die Wiedervereinigung in die Russischen Föderation ausgesprochen haben.

Ein Referendum, das aber nicht anerkannt wird.
Das ist aber das Problem des Westens, nicht unseres. Man sollte in diesem Zusammenhang Dokumente lesen, was das Recht eines Volkes auf Selbstbestimmung betrifft.

Das macht die Ukraine ja auch, wenn sie der NATO beitreten will. Also da dreht man sich ja im Kreis.
Das wird ausgeglichen durch die Tatsache, dass die Ukraine die Sorgen der Anrainerstaaten auf ihre Sicherheit berücksichtigen muss, und Russland hat diese Sorgen. Stellen wir uns theoretisch vor, die Ukraine wird in die Nato aufgenommen. Sie wird die NATO um Truppenstationierung in ihrem Land bitten. Unter dem Vorwand, die Ukraine vor dem Aggressor von außen, also Russland, zu schützen. Das ist ein direkter Weg zu einem Konflikt in Europa. Um das zu verhindern haben wir Verhandlungen mit den USA und der NATO aufgenommen. Ich zweifle, dass es auf der Welt so verrückte Staatsmänner gibt, die sich von solch verrückten Politiker wie in der Ukraine leiten lassen. Wir erwarten von der NATO drei Dinge, die haben wir auch kommuniziert. Keine Erweiterung nach Osten, Aufhebung des Budapest-Abkommens von 2008, wonach Georgien und der Ukraine die Aufnahme in Aussicht gestellt wurde und die Rückkehr zum Status von 1997.

Wieso stellt Russland Forderungen, von der sie weiß, dass die NATO sie nicht erfüllen kann und wird?
Wir wissen vorläufig nichts Konkretes, wir warten auf eine schriftliche Antwort der USA und den NATO-Mitgliedsländern. Wir machen keine Politik auf Basis von Hypothesen.

Und was passiert, wenn die NATO auf keine der Forderungen eingeht?
Das ist eine Frage der nächsten Etappe. Aber die Gespräche in Genf, Brüssel und Wien haben uns gezeigt, dass die Befürchtungen Russlands ernst genommen werden.

Von Russland geht also keine Aggression aus. Warum aber trommelt gerade die USA ein russisches Bedrohungsszenario so vehement?
Das müssen sie die Amerikaner fragen, aber ich kann das erklären. Russland als Bedrohungsszenario ist notwendig für den aggressivsten Teil im US-Senat und Kongress und auch im Establishment, die sogenannten „Falken“. Und das Szenario soll aufgebaut werden, damit man Militär-Stützpunkte in der Ukraine errichten kann. Gerade vor dem Hintergrund dieser aggressiven Haltung fordern wir sowohl von den USA und der NATO die Garantie, dass auf dem Territorium der Ukraine keine Angriffswaffen stationiert werden.

Die Ukraine will ja nur Defensivwaffen.
Wer kann das glauben? Die Ukraine sieht eine Bedrohung von außen, bereitet sich aber selbst auf den Angriff vor.

Russische Soldaten bei einer Militärübung in Kadamowskii, nahe der Grenze zur Ukraine (Bild: AP)
Russische Soldaten bei einer Militärübung in Kadamowskii, nahe der Grenze zur Ukraine

Was hat Ihnen die Ukraine eigentlich getan?
In der Ukraine ist 2014 ein Staatsstreich verübt worden. Und gerade die Ukraine verabschiedet Gesetze, die die Verwendung der russischen Sprache nicht gestattet und wo es unmöglich ist, dass sich ein russischer Staatsbürger sicher fühlen kann. Es gibt Aussagen von Präsident Wolodymyr Selenskji, der sagt: „Wenn die Russen in der Ukraine Russisch sprechen wollen, wenn sie auf russische Art und Weise leben wollen, sollen sie aus der Ukraine weggehen und in ihr Heimatland zurückkehren. Die Ukraine ist für die Ukraine da.“ Das war früher nicht so. Da gab es eine Bruderschaft der slawischen Staaten.

Der frühere OSZE-Generalsekretär Lamberto Zannier sagte in einem Interview mit der Austria Presse Agentur, er schließt eine militärische Reaktion der NATO auf einen russischen Angriff auf die Ukraine nicht aus. Was sagen Sie dazu?
Der ehemalige Generalsekretär kann sagen, was er will. Er ist ein sehr vernünftig denkender Mensch und ich kann es fast nicht glauben, dass er solche Aussagen getroffen hat. Ich werde ihn noch persönlich kontaktieren und fragen, ob die Aussagen in diesem Interview tatsächlich stimmen. Sollte das stimmen, dann Schande über das Haupt dieses Menschen.

Wenn Sie sagen, Russland führt mit den 100.000 Soldaten an der Grenze nur ein Manöver durch: Wann endet dieses Manöver?
Es gibt da eigentlich keine zeitliche Grenze. Es gibt solche Übungen, wo in kürzester Zeit die Kampfbereitschaft der Truppen überprüft werden soll. Das ist eine normale Praxis jeder Armee, damit die Armee imstande ist, in jedem Moment das eigene Territorium zu verteidigen. Dies umso mehr, als die NATO sehr nahe an der russischen Grenze Manöver durchführt unter Beteiligung der Ukraine. Russland führt keine Manöver an der Grenze der USA durch. Und wir nennen die USA und die NATO nicht als Bedrohung. Aber wir werden als Bedrohung bezeichnet, die man zurückhalten muss. Dieses Denken des Kalten Krieges muss ein Ende haben. 

Vize-Außenminister Rjabkow wählte mehrmals eine sehr martialische Sprache, wenn es um die Ukraine geht ...
Um hier ihre Frage von vorhin nochmal aufzugreifen, dass die NATO wahrscheinlich nicht auf die Vorschläge Russlands eingehen wird, würde ich darauf antworten: Das heißt innerhalb der NATO gibt es Länder, die in Kriegskategorien denken. Der Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg, hat in einem Interview für die Financial Times am 9. Jänner, also am Vortag des Russland-Nato-Gipfels folgendes gesagt: „Die Allianz ist bereit für einen Konflikt mit Russland in Europa.“ Ist es die Position der NATO? Gleich nach der Sitzung klang Stoltenberg schon anders und sprach von Dialogbereitschaft. Eine Fortsetzung des Dialogs mit Russland ist richtig.

Zitat Icon

Niemand braucht Kriege. Aber wenn es die Befürchtung eines kriegerischen Konflikts gibt, setzen wir uns auf ein Bier oder einen Schnaps zusammen und werden das ernsthaft und ehrlich besprechen.

Russlands OSZE-Botschafter bleibt diplomatisch.

Rjabkow hält aber eine Fortsetzung der Gespräche unter Umständen für nicht sinnvoll.
Er hat wörtlich folgendes gesagt: Wenn wir keine konkreten auf Papier fixierten Aussagen von den Amerikanern oder der NATO erhalten, hat es keinen Sinn, Verhandlungen um der Verhandlungen willen zu führen. Russland braucht in dieser Situation eine schnelle, inhaltsreiche und begründete Antwort.

Der Aufmarsch der russischen Truppen ist also Ihren Worten zur Folge „nur“ ein Manöver, hat also mit der Ukraine nichts zu tun. Trotzdem stellt Russland Forderungen an die NATO. Was bietet Russland als Gegenleistung?
Wir sprechen nicht von Gegenleistungen, wir sprechen über einen ernsthaften Verhandlungsprozess über die Sorgen Russlands, die in ein konkretes Dokument überführt werden sollen. Deshalb sagen wir auch, dass unsere Vorschläge kein Ultimatum darstellen, sondern Vorschläge zu einem ernsthaften, tiefen Gespräch sind.

Wir können also beruhigt schlafen, von Russland wird kein Krieg ausgehen?
Wir sehen die Bedrohung vonseiten der NATO. Wir sind ein friedliebendes Volk, genauso wie die Österreicher. Niemand braucht Kriege. Aber wenn es die Befürchtung eines kriegerischen Konflikts gibt, setzen wir uns auf ein Bier oder einen Schnaps zusammen und werden das ernsthaft und ehrlich besprechen.

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