Virus macht nicht Halt

„Auch mit Omikron noch keine Herdenimmunität“

Österreich
20.01.2022 07:35

Selbst nach der Omikron-Welle dürfte die Pandemie noch nicht ausgestanden sein. Denn auch von dieser SARS-CoV-2-Mutation gibt es bereits weitere Varianten. „Wir befinden uns in einem hochdynamischen Ereignis“, sagte der Experte Andreas Bergthaler (MedUni Wien) am Mittwochabend in einer Online-Ärztefortbildung. In der Therapie von Covid-19 hätten durch die ständige Mutation der Erreger die meisten Antikörper-Medikamente ihre Wirkung wieder verloren. Bis zur viel zitierten Herdenimmunität dürfte es also noch dauern.

„Von Beginn der Epidemie an sind wir ständig überrascht worden. Wir sind jetzt bei so vielen Fällen (an Infektionen; Anm.), wie wir sie noch nie hatten. Wir haben sehr effektive Impfstoffe zur Verfügung. Aber ich weiß, dass ich nicht viel weiß“, erklärte Bergthaler, der vor kurzem eine Professur für Molekulare Immunologie an der MedUni Wien (Centrum für Molekulare Medizin; CeMM) übernommen hat und sich seit Anfang der Covid-19-Pandemie, seiner Verbreitung und seinen Mutationen beschäftigt. Völlig unklar sei auch, wie lange die Welt noch mit SARS-CoV-2 in seinen unterschiedlichen Varianten zu kämpfen haben werde.

Mutationen treiben die Pandemie an
Was die Pandemie weiter antreibt, das sind die ständig neu auftauchenden Mutationen des Virus. Bergthaler: „Die Mutationen von SARS-CoV-2 erfolgen zwei- bis dreimal langsamer als bei der Grippe (Influenza; Anm.).“ Aber durch die extrem kurze Replikationszeit der Krankheitserreger komme es ständig zu neuen Mutationen, wahrscheinlich gebe es sogar beim einzelnen Covid-19-Patienten eine ganze „Wolke“ an minimal unterschiedlichen Viren. Die fitteste Variante könne sich dann weiter verbreiten.

Mikrobiologe Andreas Bergthaler (Bild: APA/ROLAND SCHLAGER)
Mikrobiologe Andreas Bergthaler

Das Verständnis darüber, was von welcher Virusvariante zu erwarten ist, bleibt bei allen Fortschritten gering. Die Delta-Variante, die vergangenes Jahr auch in Österreich sprichwörtlich das „Kommando“ übernahm, war international ab März 2020 bekannt gewesen. In Indien hätte die Verbreitung monatelang stagniert, wie Bergthaler bei der Veranstaltung der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (OEGIT) rekapitulierte. Dann explodierte plötzlich die Übertragung mit allen Konsequenzen faktisch weltweit.

Omikron „entkommt“ der Immunabwehr besser
„Entscheidend sind die Transmissionsfähigkeit, die Pathogenität (wie stark krank machend; Anm.) und die Fähigkeit zur ,Immun-Escape‘ (Ausweichen der Immunabwehr, auch von Impfungen; Anm.)“, erklärte der Experte. Omikron schlage die anderen bekannten Virusvarianten bezüglich des Entkommens der Immunabwehr „um Längen“. „Die Omikron-Variante repliziert in der Petrischale (Labor; Anm.) recht schlecht. Sie ist wahrscheinlich abgeschwächt, hüpft aber schneller von Mensch zu Mensch. 

Alles in allem sind die Verläufe viel milder als bei Delta.“ In der Reproduktionszahl (R0) sei das ursprüngliche Wuhan-Virus bei einem Faktor von 2,5 gelegen (ein Infizierter infiziert im Durchschnitt 2,5 weitere Personen). Die SARS-CoV-2-Alpha-Variante weise einen Reproduktionsfaktor zwischen vier und fünf auf, Delta und Omikron lägen zwischen fünf und acht.

„Omikron ging verdammt schnell“, sagte Bergthaler. Laut Daten Kalifornien führten Erkrankungen durch Omikron im Vergleich zur Delta-Variante aber um 52 Prozent seltener zu notwendigen Spitalaufnahmen. Es kommt um 74 Prozent seltener zur Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung. Die Mortalität ist um 91 Prozent geringer.

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Wir sehen pro Monat etwa zwei Mutationen. Das ist erstaunlich konstant. Man kann sozusagen seine Schweizer Uhr danach stellen.

Andreas Bergthaler, Professor für Molekulare Immunologie an der MedUni Wien

Abwasseranalysen zum Aufspüren neuer Varianten
Wie es weitergeht, bleibt laut dem Experten ungewiss. „Wir sehen pro Monat etwa zwei Mutationen. Das ist erstaunlich konstant. Man kann sozusagen seine Schweizer Uhr danach stellen.“ In Österreich haben die Experten mittlerweile über die Abwasseranalyse aus mehr als 80 Kläranlagen und somit 55-prozentiger Abdeckung der Bevölkerung einen recht guten Überblick über die epidemiologische Situation. So hätte man auch bereits neue Subvarianten von Omikron registriert.

SARS-CoV-2 als „bewegliches Ziel“ schlägt bisher auch regelmäßig den vorläufig effizientesten Therapien ein Schnippchen. In den vergangenen zwei Jahren sind bereits zahlreiche monoklonale Antikörper zur möglichst frühen Behandlung von Hochrisikopatienten zugelassen worden und auf den Markt gekommen. Die Antikörper blockieren die Infektion von Zellen durch die Covid-19-Erreger, indem sie am Spike-Protein an der Oberfläche der Viren andocken. Das senkt die Rate der schweren Krankheitsverläufe um rund 80 Prozent.

Keine „Herdenimmunität“ nach Omikron
Doch Omikron entkommt den meisten dieser Medikamente. Laut dem Infektiologen Florian Thalhammer (MedUni Wien/AKH) ist derzeit nur ein monoklonaler Antikörper (Sotrovimab) bei Omikron-Infektionen wirksam. Es werde aber bald wieder neue derartige Arzneimittel mit besserer Wirksamkeit geben.

Der Infektiologe Florian Thalhammer (Bild: APA/HERBERT NEUBAUER)
Der Infektiologe Florian Thalhammer

Die Zukunft rund um die Pandemie steht jedenfalls in den sprichwörtlichen Sternen. Bergthaler erwartet auch mit der derzeit laufenden Omikron-Welle nicht unbedingt eine „Herdenimmunität“ durch die Infektion vieler Menschen. Jede neue Virusvariante werfe die Menschheit wieder zurück. Und am Wiener AKH gibt es laut Thalhammer viele Patienten, die dreimal geimpft oder auch zweimal geimpft und einmal von SARS-CoV-2 genesen und nun mit Omikron wieder krank - mit mildem Verlauf - geworden seien. Bekannt sei auch der Fall eines ungeimpften Spitalsmitarbeiters, der sowohl durch das ursprüngliche Wuhan-SARS-CoV-2-Virus, durch einen Erreger der Delta-Variante und zuletzt auch noch durch Omikron infiziert worden und erkrankt sei.

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