Die Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie werden immer aufgeheizter, die Gewaltbereitschaft wird größer. Verfassungsschutzchef Omar Haijawi-Pirchner meint, die Szene gehöre aktuell „zu den größten Bedrohungen der Republik“. Aber müssen wir uns sorgen? „Man muss unterscheiden zwischen dem legitimen Recht, Protest auf die Straße zu tragen - wogegen nichts zu sagen ist -, und zwischen den Fanatisierungstendenzen, die wir in der Szene sehen“, sagt Rechtsextremismus-Forscher Bernhard Weidinger im Interview mit Damita Pressl.
„Wenn man sich die Größe der Demonstrationen ansieht, passiert dort bislang eigentlich relativ wenig. Die Szene insgesamt repräsentiert das nicht“, relativiert Weidinger. Und dennoch: „Es gibt Indizien für eine gewaltsame Radikalisierung. Wir haben in der rechtsextremen Szene in Österreich alle paar Wochen einen massiven Waffenfund. Es gibt eine Minderheit, die seit geraumer Zeit die Ansicht vertritt, es brauche ein härteres Vorgehen als das friedliche Demonstrieren allein. Und es gibt wirklich Leute, die ernsthaft glauben, die Regierung will sie dazu zwingen, ihren Kindern eine Giftspritze zu injizieren. Wenn man so etwas glaubt, ist man zu sehr vielem fähig.“
Die größere Gefahr würden aber Verschwörungstheorien, Falschmeldungen und Lügen darstellen, die Menschen gefährden, so Weidinger, etwa, „wenn dazu aufgerufen wird, sich auf eine Art und Weise behandeln zu lassen, die zum Tod führen kann“. Mitverantwortlich seien jene Plattformen, auf denen diese Informationen kursieren. „Es braucht auch in sozialen Medien gewisse Regulierungen, die dort greifen, wo es gemeingefährlich wird. Aber grundsätzlich sollte Meinungsfreiheit sehr breit gefasst sein und eine Demokratie muss es auch aushalten, wenn Leute Blödsinn verzapfen.“
Die Motivationen hinter der Desinformation sind unterschiedlich: „Es gibt sicher Leute, die diese Thesen verbreiten, die aufrichtig davon überzeugt sind, und andere, die das aus kommerziellem Interesse tun.“ Die freiheitliche Partei jedenfalls hat die Teilnahme an den Demonstrationen bereits zum Teil ihrer Strategie gemacht. Das sei sicher auch politisches Kalkül, sagt Weidinger, denn in der Frage könne man ein Monopol besetzen. Schließlich nimmt keine andere Partei ähnliche Positionen ein.
Aber die Strategie sei wenig überraschend: „Auch vor Corona waren die Impfskepsis und die Wissenschaftsskepsis unter FPÖ-Wählern größer als bei anderen Parteien.“
Rechtsextreme spielen bei den Demos „wichtige Rolle“
Nicht nur die FPÖ mischt auf den Anti-Maßnahmen-Demos mit, sondern auch rechtsextreme Gruppierungen. Aber die meisten Protestierenden sind doch einfach besorgte Bürger? „Es stimmt, dass Rechtsextreme eine Minderheit auf diesen Demonstrationen sind. Aber sie spielen eine wichtige Rolle in der Organisation, auf den Bühnen, auf den Podien, sie sind üblicherweise in den ersten Reihen und prägen durch auffällige Plakate die Außenwahrnehmung“, so Weidinger. „Wenn man auf eine Demonstration geht, wo die ersten Reihen von Rechtsextremen gebildet werden, auf der Bühne Rechtsextreme sprechen und im Außenbild rechtsextreme Transparente dominieren, dann muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, dass es eine aktive politische Entscheidung war, sich dort zu beteiligen.“
Ob sich das für die FPÖ lohnt, ist noch unklar - Maßnahmenkritiker könne man dazu gewinnen, Bürgerlich-Liberale verlieren: „Man gewinnt und verliert Leute. Was herauskommt, wird sich bei den nächsten Wahlen zeigen. Solang dieser Kurs nicht kontraproduktiv ist und man in Umfragen abstürzt, wird sich nichts ändern. Die Frage ist, was bleibt, wenn die Pandemie vorbei ist.“
Klar sei aber, dass die FPÖ seit dem Ausscheiden aus der Regierung verstärkt den Kontakt zum rechten Rand pflege, so Weidinger. Die Übernahme von Herbert Kickl habe „diesen Kurs verfestigt. Was neu ist, ist, dass sich die FPÖ aktiv als Partner von rechtsextremen Gruppen, wie etwa den Identitären, oder von Alternativmedien versteht.“
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