Könnten die EU-Klimaziele mit mehr Investitionen in die Kernkraft leichter erreicht werden? Diese Frage beantworten die beiden Energieforscher Helmut Haberl und Franz Meister aus Österreich mit Nein. Denn Kernreaktoren, deren Bau in den letzten Jahren begonnen hat, hätten Bauzeiten von zehn bis 15 Jahren und würden bei Fertigstellung oft das Dreifache kosten. Die Menge an förderbarem Uran ist begrenzt, zudem ist auch die Lagerung des radioaktiven Abfalls, der bei der Kernspaltung entsteht, ein großes Problem.
Schaut man sich den CO₂-Fußabdruck der verschiedenen Formen der Energiegewinnung an, schneidet die Atomkraft wesentlich besser ab als Kohle und Gas und reiht sich ungefähr neben erneuerbaren Energieträgern ein. Das Problem hierbei sei jedoch, dass man die Emissionsberechnungen aus früheren Atomprojekten nicht direkt auf zukünftige Vorhaben übertragen könne. Ein wichtiger Faktor sei hier die Gewinnung und Aufbereitung des Urans. Viele Studien, die sich mit der Berechnung der Emissionen befassen, würden dabei von Uranminen ausgehen, die eine sehr gute Ausbeute haben.
Für zukünftige Betrachtungen sei das jedoch nicht zu lässig, weil es nur eine endliche Menge an förderbarem Uran auf der Welt gebe. „Die Uranminen in Europa sind ausgefördert“, eine weitere Förderung wäre mit einem sehr hohen Aufwand und damit auch mit mehr Treibhausgasen verbunden, erklärt Meister, Energieexperte des Umweltbundesamts. Uran zu importieren, würde andererseits lediglich dazu führen, dass die verursachten Emissionen nicht in der europäischen CO₂-Bilanz aufscheinen. Dem Klima helfe das freilich wenig.
Risiko „nicht verantwortbar“
Die Treibhausgase seien letztendlich auch nur ein kleiner Teil der Frage, ob es sinnvoll ist, Atomenergie als Klimaschutztechnologie einzusetzen, wie es derzeit im Kontext der EU-Taxonomie diskutiert wird, sagt Haberl. Da sei zum einen das Risiko der Kernenergie, das Haberl für „nicht verantwortbar“ hält. Ein weiteres großes Problem seien die Ewigkeitslasten, also der radioaktive Abfall, der bei der Kernspaltung entsteht. „Da gibt es Forschung zur Frage, wie man Piktogramme entwickelt, die die Leute auch in 10.000 Jahren noch entziffern können“, um ihnen zu erklären, dass der radioaktive Müll noch immer gefährlich ist, so Haberl.
Darüber hinaus sei die Kernenergie schlicht zu langsam, um einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. „Wenn man das 1,5-Grad-Ziel ernst nimmt, ist eine Dekarbonisierung in den nächsten 20 bis 30 Jahren notwendig“, in Österreich will man es gar in 18 Jahren schaffen, erklärt der Forscher von der Universität für Bodenkultur. Die Kernreaktoren, deren Bau in den letzten Jahren in Europa begonnen wurde, hätten alle Bauzeiten von zehn bis 15 Jahren und würden am Ende dreimal so viel kosten, wie ursprünglich veranschlagt. Meister verweist hier unter anderem auf den Block 3 des Kernkraftwerks Olkiluoto in Finnland: Baubeginn war 2005, die Fertigstellung war für 2009 geplant. Der Reaktor ist Ende 2021 mit 13 Jahren Verspätung ans Netz gegangen und hat zehn Milliarden Euro gekostet, statt der ursprünglich budgetierten drei Milliarden Euro.
Mini-Kraftwerke „auch keine Lösung“
Das Argument, diese Reaktoren seien die ersten ihrer Art und Bauverzögerungen und Kostenexplosionen seien „Kinderkrankheiten“, lässt Meister nicht gelten: „Die Neubauprojekte der Kernenergie sind alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Warum man ihnen in der Taxonomie nun eine gloriose Zukunft attestiert, ist fern von der Realität.“ Die Aufnahme der Kernkraft in die EU-Taxonomie könnte unter Umständen zwar die Finanzierungskosten senken, die Baukosten blieben allerdings gleich, so Meister. Auch die viel besprochenen „Small and Medium Reactors“, also kleinere, modulare Reaktoren, seien keine Lösung. Diese würden zwar weniger kosten, es seien dann aber natürlich mehr Reaktoren notwendig, um die gleiche Leistung zu generieren. Eine große Atomindustrie, die eine solche Produktion stemmen könnte, gebe es derzeit gar nicht.
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