„Krone“-Interview

Madrugada: „Wir gingen durch dunkle Zeiten“

Wien
01.02.2022 06:00

Die Rückkehr der lange auf Eis gelegten Madrugada ist ein Glücksfall für die melancholische Rock-Ecke der Musikindustrie. Auf „Chimes At Midnight“ zeigen sich Sivert Høyem und Co. balladesk und bedrückend, aber ungebrochen einzigartig. Wir haben uns mit den norwegischen Rockern einst schon beim Live-Comeback im Wiener WUK getroffen.

Übersetzt bedeutet Madrugada „Morgengrauen“. Passend, denn am besten lässt sich die Musik nämlich bei einem heißen Kaffee auf der Veranda genießen, wenn der Frühnebel das Gelb der aufgehenden Sonne am Feld noch versteckt hält. In ihrer Heimat waren sie jahrelang Top-Stars und hatten ein Abo auf die obersten Chartplätze, das Debütalbum „Industrial Silence“ machte sie 1999 auch in Resteuropa bekannt. Die Erfolge gingen weiter, bis Gründungsmitglied und Gitarrist Robert Burås im Juli 2007 tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde. Ursache unbekannt. Die Band veröffentlichte noch ein letztes Album, zog sich 2008 aber aufgrund des Schockerlebnisses aus dem Musikbusiness zurück.

Eine Frage der Zeit
Erst zehn Jahre danach fanden sich der charismatische Sänger Sivert Høyem, Frode Jacobsen und Jon Lauvland Pettersen für ein paar „Industrial Silence“-Jubiläumsshows in Oslo wieder zusammen. Die Chemie passte so gut, dass eine ganze Europa-Tour folgte, die auch im ausverkauften Wiener WUK Halt machte. Als dann im März 2019 mit „Half-Light“ der erste neue Song nach elf Jahren entstand war langsam klar - ein Comeback-Album ist mehr als ein Gerücht. Die Pandemie spielte der Band freilich nicht in die Hände, doch das wundervolle „Chimes At Midnight“ erscheint nun doch und damit einhergehend sollen Madrugada am 30. März auch in der Wiener Arena spielen (Tickets unter: www.oeticket.com).

Kurz vor Einbruch der Pandemie mietete sich die Band im Februar 2020 in Los Angeles ein und stellte den Grundstock der neuen Songs fertig. Rund 30 Prozent des Materials soll aus alten Ideen stammen, 70 Prozent nigelnagelneu sein. Auch wenn das Feuer der kompositorischen Vergangenheit teils ein bisschen fehlt - Høyems unglaublich charismatische Stimme und das konziliante Zusammenspiel des Trios machen das locker wett. „Chimes At Midnight“ ist melancholischer Kaminfeuer-Rock im besten Sinne und die Schönheit von Songs wie „Imagination“, „Help Yourself To Me“ oder „Call My Name“ ist beispiellos. Die Schönheit liegt hier in der Stimmgewalt und der balladesken Ruhe verortet.

„Krone“: Im Juni 2018 habt ihr Tausende Menschen glücklich gemacht, als ihr aus heiterem Himmel auf eurer Facebook-Seite angekündigt habt, dass ihr ein paar Shows spielen werdet. Dann wart ihr gleich ganz auf Europatour. Was war ausschlaggebend dafür, dass ihr euch zehn Jahre nach der Auflösung für ein Comeback entschieden habt?
Jon Lauvland Pettersen: Die Zeit dafür war richtig und wir sind davor oft zusammen abgehangen. Wir haben ein paar Bier getrunken, uns gut verstanden und 2017 darüber nachgedacht, dass unser Debütalbum „Industrial Silence“ 2019 sein 20-Jähriges feiern würde. Sivert und ich trafen uns zum Mittagessen, mit ein paar weiteren Bieren, und mit Frode habe ich schon vorher darüber geredet. Es lag etwas in der Luft und es war an der Zeit, wieder etwas zusammen zu machen. Wir haben uns im Proberaum getroffen, um zu schauen, ob bei uns noch Magie herrschen würde. Von der ersten Note weg haben wir uns wohlgefühlt. Wir haben die alten Songs gespielt und irgendwann wollten wir mehr daraus machen. Dann waren wir im Osloer Spektrum und die Show war dort sofort ausverkauft.

Ihr wusstet vom ersten gemeinsamen Ton an, dass daraus mehr werden würde?
Sivert Høyem: Absolut. Ohne das richtige Gefühl hätten wir das nie gemacht. Madrugada sind etwas sehr Spezielles für uns und wir wollten dem Album würdig Tribut zollen. Für uns ist das Ganze fast etwas Heiliges und wir waren sehr vorsichtig dabei, alles wirklich mit Liebe und Hingabe zu gestalten. Es geht um alte Freundschaften, um eine gemeinsame Jugend und wundervolle, romantische Erinnerungen. So etwas will man natürlich nicht versauen. Wir probten seit April 2018 eine Woche pro Monat und ab Jänner 2019 haben wir das intensiviert.
Pettersen: Als ich die Band 2002 verließ, ging es bei uns ziemlich chaotisch zu. Alles wurde dunkler und wir haben nicht besonders gut zusammengespielt. Für uns war es jetzt schon wichtig zu zeigen, dass wir es als alte Freunde besser können, als es damals war.

Musstet ihr eure Freundschaft wieder neu finden oder sie euch erarbeiten?
Frode Jacobsen:
 Die musikalische Partnerschaft zwischen uns dreien war 16 Jahre lang inexistent. Wir mussten uns und all unsere Pläne mit Respekt behandeln, damit es auch wirklich funktionieren würde. Es ging darum, sich erwachsen zu verhalten und der Geschichte dieser Band gerecht zu werden.

Da habt ihr euch doch schon selbst ziemlich viel Druck auferlegt, wenn ihr aus allen Richtungen mit einem derartigen Perfektionismus an die Sache rangegangen seid?
Jacobsen:
 Deshalb haben wir es niemanden erzählt, wollten es noch länger geheim halten. Wir haben uns als Teenager und Musikliebhaber getroffen und unsere erste Form von Kommunikation war die Musik. Wir haben damals fünf Jahre gebraucht, um „Industrial Silence“ zu erschaffen, weil wir lange darüber diskutiert haben, in welche Richtung wir gehen möchten. Wir wollten das erste Album nicht veröffentlichen, bevor wir nicht für alles drumherum bereit waren. Wenn du Velvet Underground, die Talking Heads oder die Pixies hörst, weißt du nach zehn Sekunden, wer da spielt - das war immer unser Ziel. In diesen fünf Jahren haben wir gelernt, Songs zu schreiben und irgendwann wussten wir, dass wir das Maximum unserer Fähigkeiten erreicht haben. Als das Album rauskam wussten wir, besser können wir nicht mehr sein. (lacht) Klar, bei den weiteren Alben hatten wir natürlich das Gefühl, dass wir unsere Kreativität noch weiter ausreizen konnten, aber damals waren wir fürs Erste einfach platt. Das Album drehte sich um Leute, die zusammen aufgewachsen sind und gemeinsame Träume hatten.

Für uns ist das Comeback ein Ausflug in eine Welt voll guter Erinnerungen. Wir haben in einem Interview einmal gesagt, dass wir nur mit Leuten abhängen, die mit uns in der Band sind oder Kinder mit uns haben. (lacht) Als Jon die Band 2002 verließ, gab es einen Riss. Damals merkten wir das erste Mal, dass Dinge, die wir als selbstverständlich erachteten, gar nicht selbstverständlich waren. Der Grund, warum ich das hier jetzt wieder mache, ist das Gefühl der Gemeinschaft. Als wir im Osloer Spektrum spielten, war ich supernervös. Es waren 10.000 Leute in der Arena und wir hatten zehn Jahre nicht mehr zusammengespielt. Da kam alles zusammen. Bei der zweiten Show fühlte ich mich nicht mehr als bloßer Teil des Konzerts. Es war so, als schwebte ich über den Dingen. (lacht)
Høyem: Ich war ziemlich selbstsicher, habe aber auch nie mit der Musik aufgehört und hatte andere Voraussetzungen. Ich habe als Solokünstler und mit vielen Kooperationen weitergemacht und habe natürlich eine ganz andere Routine, die mir das Leben bei diesen beiden Konzerten erheblich erleichterte.

Sivert, dich habe ich solo in der Szene Wien gesehen, als du dein letztes Album „Lioness“ präsentiert hast. Macht es für dich einen großen Unterschied, jetzt mit alten Freunden wieder die Bühne zu teilen?
Høyem: 
Nicht wirklich. Es ist ein einfach ein Teil von mir, der wieder zum Leben erwacht ist. Auch meine Soloalben waren immer mit Madrugada verbunden, denn ich bin nicht klug genug, um mich selbst dauernd neu zu erfinden. Ich bin nicht David Bowie. Ich habe mich in Richtung Folk und anderen Dinge ausgestreckt, die mich interessierten, aber der Kern meines Wesens ist mit Madrugada konnotiert. Ich kenne genug Bands, in denen ich nicht sein möchte, weiß aber, dass ich bei Madrugada goldrichtig bin. Bei unserer ersten Probe habe ich sofort gemerkt, dass alles zusammenpasst. Wie Frode schon meinte - wenn du nicht mit den Kernmitgliedern einer Band zusammenspielst, verbrauchst du zu viel Zeit, um all deine Wünsche und Ansichten zu erklären. Frode und ich haben bis 2008 gespielt, aber als Jon nun zurückkam, war das sensationell. Für mich ist das wie ein Heimkommen.

Die Menschen verändern sich natürlich auch mit zunehmendem Alter und steigender Erfahrung. Hat sich eure Freundschaft im privaten, wie auch im künstlerischen Sinne über die Jahre verändert?
Pettersen:
 Wir haben uns an einem Tiefpunkt voneinander entfernt. Die Stimmung war dunkel und wir spielten nicht mehr gut zusammen, als ich die Band verließ. Es gab so viele Spannungen und interne Probleme. Dass wir jetzt als erwachsene, gereifte Menschen in einem Proberaum wieder aufeinandertrafen, war wie eine total andere Welt. Wir alle haben viele Fragen aus der Vergangenheit beantworten können und wussten, dass wir falsche Entscheidungen trafen. Wir haben nicht einmal offen darüber reden müssen. Jeder von uns saß lange genug in seinem Zimmer, um sich darüber Gedanken zu machen und zu wissen, woran alles scheiterte. Als wir in den Proberaum zurückkehrten, waren die Spannungen einfach weg. Es trafen gereifte, ältere Menschen aufeinander, die ihre inneren Dämonen besiegen konnten.

Jacobsen: Die Freundschaft unter uns hat sich schon verändert. Das erste Album haben wir in einer Art Blase, einer selbstgewählten Isolation erschaffen. Als wir es veröffentlichten, hat sich alles verändert, weil plötzlich die Presse kam, die Fans kamen und die Maschinerie sich ausdehnte. Das war eine schwierige Phase, weil wir nicht auf diesen Erfolg vorbereitet waren. Wir hatten auch kein Management, dass uns den Rücken freiräumte, sondern waren auf uns gestellt. Viele Sachen waren schwierig, weil wir als Team und auch als Einzelpersonen alles selbst benandelten. Wir kamen auf Nummer eins in Norwegen und plötzlich erkannten uns Menschen auf der Straße und die Medien rannen uns die Türen ein. Das war wirklich schwierig. Unseren Gitarristen Robert Burås stilisierten die Medien zu einer Art Keith Richards hoch. Er wurde über Nacht zu einem Rockstar geformt. All das hat die Dynamiken in der Band verändert. Als wir in den letzten Jahren weit voneinander entfernt waren, haben wir auch mehr über uns gelernt. Wir konnten in Ruhe darüber nachdenken, was in den zehn Jahren Pause alles passiert ist.

War es aufgrund der Geschwindigkeit eures Erfolgs auch schwierig, am Boden zu bleiben und nicht den Sinn für die Realität zu verlieren?
Pettersen:
 All die Erwartungen der Plattenfirma, der Medien und auch uns selbst führten dazu, dass das zweite Album einfach nicht mehr so gut war. Wir waren damals noch verdammt jung und wurden mit einer unglaublichen Erwartungshaltung konfrontiert. Für mich war das der Hauptgrund, die Band zu verlassen. Ich schaffte das nicht mehr. Ich weiß auch, dass ich eine schwierige Person war. Einfach deshalb, weil mich die Situation überlastete. 
Jacobsen: Es war bei uns schon hart, aber stell dir mal vor, du bist Kurt Cobain und beginnst in einer Punkband namens Nirvana. Das ist absolut unvorstellbar.
Høyem: Für jeden wäre das hart gewesen. Du steigst aus dem Nichts in lichte Höhen. Das verträgt niemand gleich gut.

Gerade in Norwegen wart ihr nicht nur geschätzte Musiker, sondern richtiggehende Celebritys. Konntet ihr nach einer gewissen Zeit besser damit umgehen?
Pettersen: 
Die erste Tour war großartig, wir fühlten uns lebendig. Ich kann mich noch gut an den ersten Gig in Berlin erinnern, denn wir kommen aus einem kleinen Ort in Norwegen und wollten immer raus und die Welt sehen. Als uns erstmals eine ausverkaufte Show in Berlin gelang, in einer Location, wo auch Iggy Pop und David Bowie spielten, war das ein erfüllter Traum. Wir haben jetzt, als wir nach dem Comeback wieder in Berlin spielten, dieselbe Atmosphäre verspürt. Es war einfach unvergesslich.

Ist dieses Comeback ein Tribut an euren Gitarristen Robert, der 2007 tragisch und aus ungeklärten Umständen verstarb? Wollt ihr damit ihn und sein Vermächtnis ehren?
Høyem: In gewisser Weise schon. Ich habe mittlerweile an die 100 Interviews gegeben, wo ich über Robert geredet habe. Sein Tod ist über zehn Jahre her und natürlich vermissen wir ihn. Wir waren uns damals über alle Schritte beim Debütalbum einig und im Endeffekt feiern wir diese Phase unseres Lebens und damit auch ihn als Person. Als die Band 2008 auseinanderbrach, hatten wir eine sehr dunkle Zeit zu durchtauchen. Ich musste aus meiner Warte aus unbedingt noch etwas Positives daraus machen, um diese Zeit zu überdecken. Ich denke immer noch die ganze Zeit an Robert, denn er war ein unglaublicher Musiker, toller Songwriter und guter Freund. Für mich geht es aber eher darum, mit Madrugada etwas Positives zu erschaffen - und zwar mit uns dreien, die dieses Vermächtnis jetzt aufrechterhalten.

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